Cyberkriminalität Der Staat ist schlecht gerüstet

Die Zahl der Straftaten im Internet nimmt rasant zu. Doch für eine effiziente Verfolgung fehlt es den Behörden an geeignetem Personal. Hat der Staat schon kapituliert?
Stuttgart - Die Kriminalität mittels Computern und Internet wächst rasant. Doch die Strafverfolgungsbehörden tun sich damit schwer. Es mangelt vor allem an ausreichend qualifiziertem Personal. Die Ausbildung von Juristen und Polizisten sei im analogen Zeitalter stecken geblieben, beklagen Experten. Baden-Württemberg ist nach Angaben des hiesigen Innenministeriums „das erste Bundesland, das landesweit einen ganzheitlichen Bekämpfungsansatz umgesetzt hat“.
Im Jahr 2016 verbuchte das Bundeskriminalamt 82 649 Fälle von Cybercrime. Das entspricht einem Zuwachs von mehr als 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Delikte mit so genannter Ransomware haben Konjunktur. Dabei werden Computer von Firmen, öffentlichen Einrichtungen oder Privatleuten mittels eingeschleuster Programme verschlüsselt und nur gegen Lösegeld wieder freigegeben. In diesem Bereich verzeichneten die Ermittler des BKA einen Zuwachs von 94,4 Prozent. Der prominenteste Fall war das Schadprogramm „Wannacry“, das im Mai 2017 230 000 Computer in 150 Ländern lahmlegte.
Alles digitalisiert sich – die Juristen aber denken analog
Den Drahtziehern und Profiteuren dieser Art von Kriminalität auf die Schliche zu kommen, ist schwer. Die Kapazitäten der Stafverfolgungsbehörden sind noch nicht überall auf der Höhe der Zeit. „Alles digitalisiert sich, aber unsere Juristenausbildung bleibt komplett analog“, beklagt Oberstaatsanwalt Andreas May von der Zentralstelle für Internetkriminalität in Gießen gegenüber unserer Zeitung. „Moderne Kriminalitätsformen haben an den Universitäten bisher keinen Einzug gehalten. Auch bei der Polizeiausbildung spielen die keine Rolle. Die Ausbildung ist noch sehr traditionell.“ Polizei und Justiz seien, „was die Ausbildungskonzepte angeht, sehr unbeweglich“.
Die Schwierigkeiten lägen auf tatsächlicher Ebene, weil es schwierig sei, Datenspuren zu sichern, und die Server, von denen die Schadsoftware gesteuert wird, oft im Ausland stehen. „Aber die Probleme liegen besonders auch bei der Strafverfolgung“, bestätigt Jörg Eisele, der Tübingen Computerstrafrecht lehrt. Im Bereich der Computertechnik gebe es einen „unendlichen Bedarf an guten Leuten“, da sei „für die Justiz sehr schwer, mit der üblichen Besoldung für Beamte da jemanden zu gewinnen“.
Wettstreit um die besten Köpfe
„Bei einer Großbank könnte ich ein Mehrfaches verdienen“, bekräftigt Deutschlands führender Cyber-Ermittler Andreas May. Er hatte sich unlängst schon bei einer Veranstaltung des Bundeskriminalamtes beklagt: „Die Gewinnung von qualifiziertem Personal gestaltet sich zunehmend schwieriger.“
„Wir als Land stehen mit der Wirtschaft in einem Wettstreit um die besten Köpfe“, räumt der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) ein. Bei der Polizei wurden seit 2011 eine dreistellige Zahl von Cyber-Experten eingestellt und 4500 Beamte aus- und fortgebildet. Laut „Spiegel“ zählt Baden-Württemberg zu den Ländern mit den meisten Cyber-Ermittlern pro Einwohner.
Wegen personeller Engpässe beauftragen Polizei und Justiz zum Teil private Dienstleister mit Cyber-Ermittlungen. Das kommt auch in Baden-Württemberg vor. Dabei geht es vor allem um Kinderpornografie und komplexe Betrugsfälle, bei denen Unmengen an Daten zu sichten sind. „Es hängt damit zusammen, dass man irgendwann nicht mehr hinterher gekommen ist“, sagt Oberstaatsanwalt May. Eine Reihe von Bundesländern lasse heiklen Daten mangels eigenem Personal nur noch privat auswerten.
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