Die Unmöglichkeit der Aufklärung: Steven Uhly hat mit „Finsternis“ eine geheimnisvolle, düstere Geschichte vorgelegt.

Stuttgart - Endlich mal ein Krimi, dessen Ende man verraten kann: Der junge Kriminalbeamte Abid Malik sitzt im Gefängnis und redet ein letztes Mal mit seiner Therapeutin. Sie beruhigt ihn und fasst den Fall noch einmal zusammen, an dessen Schluss er immerhin seinen Kollegen gerettet hat. Er antwortet: „‚Natürlich. Sie haben vermutlich Recht.‘ Stille. ‚Und doch…‘“ Nichts ist klar in Steven Uhlys Roman „Finsternis.“ Eine Aufklärung findet zwar statt, ein Mann hat für seine Tat gebüßt, ein anderer sitzt für seine Tat im Gefängnis. Und doch . . . Klar sind die Fäden der Handlung, aber ob es die richtigen Fäden sind, bleibt im Dunkeln. Und auch die beiden Hauptcharaktere bleiben im Dunkeln.

 

Brutaler Sexualmord

Der Kriminalroman beginnt ganz normal: Malik, aus Kaschmir stammend, und sein deutscher Kollege Jan West werden zu einem Sexualmord mit sadomasochistischem Hintergrund gerufen. Wer die nackte, etwa sechzigjährige Tote ist, die grün und blau geschlagen und missbraucht worden ist, kann zunächst nicht festgestellt werden. Dann aber zeigt ihm Jan ein Video, das man ihm anonym zugeschickt hat. Eine Frau ist zu sehen, die sagt: „Hallo Jan. Es tut mir sehr leid, dass du mich unter diesen Umständen kennengelernt hast, bitte glaube mir das.“ Es ist die Tote, die erzählt, dass sie seine leibliche Mutter sei. Und sie wusste, dass er das Video erst sehen würde, wenn sie tot ist.

Malik muss schwören, dass er niemandem, auch nicht den Kollegen, die immer noch nicht die Identität der Ermordeten kennen, von diesem Video erzählt. Und so beginnt ein kompliziertes Spiel, in dem Jan West und Abid Malik auf eigene Faust den Täter suchen, das aber gleichzeitig vor ihren Kollegen verheimlichen müssen. Immer wieder nimmt die Geschichte unerwartete Verläufe, immer tiefer verstricken sich die beiden in emotionale und berufliche Knäuel, bis es am Ende zu mehreren überraschenden Volten kommt, die Malik völlig aus der Bahn werfen.

Ungewöhnliche Erzählweise

Nicht nur die düstere, bis zum Ende nicht wirklich aufgeklärte Geschichte ist mysteriös und unheimlich, auch die Art des Erzählens ist ungewöhnlich: In zwölf Gesprächen zwischen Malik und seiner Therapeutin wird sie nach und nach aufgerollt, immer aus Maliks Sicht, unterbrochen von Kommentaren, Einwürfen und Hilfeversuchen der Therapeutin. Und sehr oft von dem Wort „Stille“ – wenn Malik eine Pause macht, nicht weitererzählt.

Steven Uhly hat einen hochphilosophischen, soziologischen Krimi geschrieben, der meisterhaft mit den Perspektiven spielt, in dem man niemandem mehr trauen kann, nicht einmal seinem besten Freund oder seiner Frau: Was ist die Wirklichkeit? Wie gut kann man seine Augen verschließen, um Zusammenhänge nicht zu sehen? Wie sehr kann man sich in Loyalitäten verstricken, die von der anderen Seite längst aufgekündigt wurden? Wie sind Beziehungen, zwischen Eheleuten oder zwischen Kollegen? Der Titel „Finsternis“ bezeichnet sehr passend die Finsternis in allen und über allem, die Unmöglichkeit einer Aufklärung, denn am Schluss weiß niemand, was wirklich passiert ist. Ein Meisterwerk der Unsicherheit und Verunsicherung.

Steven Uhly: Finsternis, Secession Verlag , 190 Seiten, 20 Euro