Im Ringen um den Vorsitz der Grünen-Bundestagsfraktion setzt Katrin Göring-Eckardt auf Hilfe von links. Dennoch kann sich Kerstin Andreae aus Freiburg große Hoffnungen machen.

Berlin - Noch am 24. August hatten sie in trauter Eintracht auf dem Freiburger Rathausplatz gemeinsam Wahlkampf gemacht und um Stimmen für die Grünen geworben. Sechs Wochen und eine vergeigte Bundestagswahl später sind Kerstin Andreae und Katrin Göring-Eckardt zu Rivalinnen geworden: Die Politikerinnen, die beide zum Realo-Flügel zählen, wollen Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion werden. Wer das Duell gewinnt, entscheiden die 63 Abgeordneten der Grünen-Fraktion im Bundestag am Dienstag.

 

Schon seit geraumer Zeit leben die Realos mit einem selbst verschuldeten Machtvakuum. Sie stellten den Führungsanspruch von Fraktionschefin Renate Künast infrage, ohne zu klären, wer ihr nachfolgen soll. Um eine Alternative zu Künast aufzubauen, ermunterten zwar die Realos im Herbst 2012 Göring-Eckardt, bei der Urwahl des Spitzenkandidaten-Duos für die Bundestagswahl anzutreten. Und „KGE“, wie Göring-Eckardt bei den Grünen genannt wird, setzte sich beim Votum der 60 000 Parteimitglieder wider Erwarten gegen Künast und Claudia Roth durch.

Allerdings entpuppte sich die evangelische Kirchenfunktionärin im Wahlkampf keineswegs als das von den Realos erhoffte Gegengewicht zum zweiten Spitzenkandidaten, Jürgen Trittin. Vielmehr trat Göring-Eckardt als linke Sozialpolitikerin auf, warb mit dem Slogan „Für Mut gegen Armut“ und verstieg sich gar zu der Aussage, dass „bis zu einem Viertel der Bevölkerung“ von Armut betroffen sei.

Kretschmann bevorzugt die Freiburgerin

Nun gibt es fraglos Arme in Deutschland, aber bis zu 20 Millionen – das wäre das von Göring-Eckardt genannte Viertel der Bevölkerung – sind es sicher nicht. Kein Wunder also, dass die 47-Jährige bei vielen Realos an Kredit einbüßte. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann zum Beispiel, der sie bei der Urwahl unterstützte, sähe jetzt lieber Kerstin Andreae an der Fraktionsspitze. Und bei einem Treffen, zu dem etwa 150 Realo-Anhänger am 27. September in Berlin zusammenkamen, fiel der Beifall für Göring-Eckardts Rede, wie Teilnehmer der Sitzung unisono erzählen, mager aus. Nur gibt Göring-Eckardt keineswegs auf. Wer im Duell obsiegt, zeigt sich am 7. Oktober. Dann wollen die 34 Abgeordneten, die sich zu den Realos zählen, die Realo-Bewerberin küren. Andreae halten viele vom realpolitischen Flügel für die bessere Wahl, weil die 44 Jahre alte Freiburgerin die Grünen wieder stärker zur politischen Mitte hin profilieren könne. „Sie spricht einfach mehr Leute an“, sagt ein Mitglied der Fraktion. Göring-Eckardt hingegen sei in ihrer Sprache und im Auftreten stark den kirchlichen Milieus verhaftet. Auch sei „KGE“ in der Öffentlichkeit allein als linke Sozialpolitikerin bekannt. Zwar könne sie versuchen, dieses Bild zu korrigieren, „aber wie glaubwürdig ist das denn?“, fragt ein Insider.

Göring-Eckardt geht das Duell mit einer doppelten Strategie an. Einerseits übt sie heftige Kritik am Wahlkampf und damit an sich selbst – schließlich war sie Spitzenkandidatin: „Wir haben total übersteuert“, erklärte sie auf dem kleinen Parteitag kurz nach der Bundestagswahl: „Die Leute haben sich von uns bedroht und belehrt gefühlt.“ Andererseits gibt sie dem linken Parteiflügel ein Signal. Die Gerechtigkeitsfrage wolle sie nicht der SPD und der Linkspartei überlassen. Und auch wenn die soziale Frage in den Regionen unterschiedlich stark brenne, brenne sie auch für die Bürger, die nicht direkt betroffen seien. Dieses Signal zeigt, dass Göring-Eckardt im internen Machtpoker mit vollem Einsatz spielt. Sie erwägt, am 8. Oktober auch dann anzutreten, wenn sich die Realo-Abgeordneten am Tag zuvor mehrheitlich für Kerstin Andreae aussprechen sollten. Dieses Kalkül ist keineswegs unrealistisch. Vielen Abgeordneten vom linken Flügel ist „KGE“ nämlich lieber als Andreae, die ihnen zu liberal und zu wirtschaftsfreundlich ist.

Andreae könnte den Draht zur Wirtschaft verbessern

Die „Brücke zur Wirtschaft“, die die Diplom-Volkswirtin Andreae bauen will, um Unternehmer, Handwerker und Investoren für Klimaschutz und nachhaltiges Wirtschaften zu gewinnen, klingt für die Linken nach Abschied vom Sozialen. Mit den Stimmen einiger Realos und von Abgeordneten des linken Flügels könnte Göring-Eckardt also zur Fraktionschefin gewählt werden. Das wäre allerdings ein Novum in der Geschichte der Grünen. Seit sie 1983 erstmals in den Bundestag einzogen, gab es häufig interne Duelle der beiden Parteiflügel. Doch setzte sich dabei nie der unterlegene Aspirant über das Votum seines eigenen Flügels hinweg. Nach der Bundestagswahl von 1998 zum Beispiel rangelten bei den Realos Rezzo Schlauch und Werner Schulz um den Fraktionsvorsitz. Nachdem Schlauch die Mehrheit der Realos gewonnen hatte, zog Schulz seine Kandidatur zurück und stellte sich in der Fraktion nicht zur Wahl.

Möglicherweise geht Göring-Eckardt am 8. Oktober aber einen anderen Weg. Möglicherweise wird sie dann neben Anton Hofreiter, den der linke Flügel als Nachfolger Jürgen Trittins nominiert, die Fraktionsvorsitzende. Dann hätte sie gewiss einen Sprung auf der Karriereleiter geschafft. Nur hätte sie zugleich den Realo-Flügel gespalten und wäre eine Vorsitzende von Gnaden der Parteilinken.