Mit welcher Botschaft wollen die Sozialdemokraten im kommenden Jahr um die Wiederwahl des Kanzlers werben? Muss die Partei ihren Kurs in der Migrationspolitik ändern? Die SPD-Führung und der Kanzler müssen schwierige Fragen beantworten.

Korrespondenten: Tobias Peter (pet)

Die SPD hat bei der Europawahl ein historisch schlechtes Ergebnis erzielt. Die Aussichten für die drei Landtagswahlen im Osten im Herbst sind mäßig. Auch wenn die Ampelkoalition hält, ist der Termin der nächsten Bundestagswahl nur noch gut ein Jahr entfernt. Vor der Parteispitze und dem Kanzler liegen große Herausforderungen. Die wichtigsten Baustellen im Überblick:

 

Der Ampelüberdruss „Kontaktschande.“ SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert hat es viel Kritik eingebracht, dass er dieses Wort im Zusammenhang mit Grünen und FDP gebraucht hat. Das Fremdheitsgefühl vieler Wähler gegenüber Grünen und Liberalen färbe auch auf die SPD ab. Richtig ist: Die Ampel stößt auf breite Ablehnung. Das Ergebnis der Europawahl ist – in einer Schulnote ausgedrückt – eine Fünf für das Regierungsbündnis. Vergeben wurde sie, um im Bild zu bleiben, von einem Lehrer, der vom Schüler so genervt ist, dass er sich nicht mehr mit den Leistungen im Einzelnen auseinandersetzen möchte. Der Gesamteindruck: Der Schüler stört – und er will, so das hartnäckige, wenn auch unzutreffende Gerücht im Lehrerzimmer, auch die Heizungsanlage in der Schule lahmlegen. Schuld am schlechten Gesamtbild sind alle drei Parteien, der Kanzler ist Sozialdemokrat. Helfen könnte eine bessere Zusammenarbeit. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist nicht groß.

Haushalt und Zusammenhalt Die SPD und Kanzler Olaf Scholz wollen nicht im Sozialen sparen. FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner will keine weitere Ausnahme von der Schuldenbremse machen und die Steuern nicht erhöhen. Angesichts des Milliardenlochs im Haushalt werden schmerzhafte Einschnitte nötig sein. Die Frage ist, ob Scholz für Zugeständnisse an Lindner noch die volle Rückendeckung der Fraktion hat. Bislang ist die Stärke der SPD ein überraschend starker Zusammenhalt in Zeiten schlechter Wahlergebnisse und Umfragewerte. In dieser Woche gab es hinter verschlossenen Türen in der Fraktionssitzung aber viel Kritik am Kanzler.

Krieg und Kommunikation „Frieden.“ Mit diesem Wort als Slogan ließ sich der Kanzler landauf, landab plakatieren. Nicht mal eine Woche vor der Wahl musste er dann – unter dem Druck der Ereignisse im Kampf um Charkiw und einer neuen Linie der USA – die Entscheidung treffen, dass mit deutschen Waffen auch auf russisches Territorium geschossen werden darf. Grundsätzlich sind viele in der SPD der Auffassung, dass ein mittlerer Kurs richtig ist: Deutschland sei mit Recht einer der verlässlichsten Unterstützer der Ukrainer. Es sei aber auch richtig, den Bürgern Besonnenheit zu signalisieren. Nur: Der Kanzler müsse seinen Kurs besser erklären – persönlich und nicht, indem er den Regierungssprecher vorschickt.

Das Thema Migration Für die SPD ist die Migrationspolitik ein schwieriges Thema, weil die Meinungen dazu in ihrer potenziellen Wählerschaft weit auseinandergehen. Während Teile der SPD überzeugte Anhänger der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel waren, sind es gerade Menschen mit niedrigen Einkommen, die etwa noch stärkere Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt fürchten. Der Zeitgeist hat sich hin zum Wunsch nach mehr Ordnung und Begrenzung verschoben. Scholz hat mehr Abschiebungen versprochen. Bleibt die Frage: Muss die SPD stärker in Richtung einer härteren Linie einschwenken? Oder wäre das falsch und würde sie zerreißen?

Eine Erzählung für die Wahl Olaf Scholz hat die Bundestagswahl 2021 gewonnen, weil die Menschen in ihn die Erwartung projiziert haben: Dieser Mann kann – besser als alle anderen Kandidaten – Kanzler. Scholz setzt offenkundig darauf, dass er auch beim nächsten Mal mehr überzeugen wird als etwa der wahrscheinliche Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz. Die ungeklärte Frage ist: Was soll die politische Erzählung sein, weshalb die Menschen Scholz wiederwählen sollen? Hat er neue Themen, oder setzt er wieder auf den Mindestlohn? Die Zeit, sich inhaltlich für den Wahlkampf 2025 aufzustellen, ist nicht mehr lang.