Mitte Dezember fallen in Stuttgart bis zu 250 Plätze zur Abgabe von Ersatzstoffen an Drogenabhängige weg, ein Viertel des Angebots. Das stürzt die Suchthilfe in eine Krise. Dem System droht der Kollaps.

Lokales: Mathias Bury (ury)

Stuttgart - Lange Jahre ging es in der Drogenpolitik der Stadt eher ruhig zu. Das ist nicht zuletzt den Substitutionspraxen zu danken, in denen Heroinsüchtige den Ersatzstoff Methadon erhalten. Dadurch können sie dem Teufelskreis ihrer Sucht entrinnen. Doch das Hilfesystem ist überlastet. Nun drohen 250 der rund 1000 Substitutionsplätze wegzubrechen.

 

Zum Ende des Jahres läuft der Mietvertrag der Gemeinschaftspraxis Schnaitmann, Trein, Schaffert und Beck an der Schwabstraße im Stuttgarter Westen aus. „Wir sind auf der Suche nach neuen Räumen“, sagt Suchtmediziner Eiko Schnaitmann. Zwar konnten die Ärzte mit dem Vermieter, der Gesellschaft für Wohnungs- und Gewerbebau Baden-Württemberg (GWG), offenbar einen Folgevertrag für die allgemeinärztliche Praxis, die einen Schwerpunkt in der Infektiologie hat, aushandeln. Stand jetzt aber wird die Substitutionspraxis Mitte Dezember die Ausgabe von Methadon beenden müssen.

Sicherheitsvorkehrung nur bedingt erfolgreich

Zwar haben die Praxisinhaber zur Beruhigung des Umfelds etwa einen Sicherheitsdienst und Videoüberwachung eingesetzt. Dennoch ist es immer wieder zu Zwischenfällen gekommen – etwa, dass in dem Bereich dennoch Drogen konsumiert oder gehandelt wurden. Ein Problem ist die schwierige Kontrolle der Tiefgarage.

„Die Praxis hat viel getan“, sagt Uwe Collmar, Dienststellenleiter Psychosoziale Betreuung von Substituierten bei der Suchtberatung Release. Er führt auch „nur einen Teil des Ärgers“ auf die Substitutionspatienten der Praxis zurück. Der Eigentümer und seine Mieter des Wohn- und Geschäftshauses wollen diesen künftig aber nicht mehr hinnehmen. Man betrachtet die Vorgänge als geschäftsschädigend.

Die Ärzte in der Suchthilfe sind überlastet

Aus der Sicht von Uwe Collmar wäre der ersatzlose Wegfall der Plätze für das Hilfesystem und die betroffenen Menschen eine Katastrophe. Die Kapazität in anderen Praxen zu erhöhen hält der Suchtexperte nicht für möglich. „Die verbleibenden Ärzte ächzen jetzt schon, die sind überbelegt.“ Das bestätigt Andreas Zsolnai, der zwei Suchthilfepraxen mit insgesamt 355 Plätzen in Stuttgart betreibt, eine an der Senefelderstraße im Westen der Stadt, die andere an der Kriegsbergstraße in Mitte. „Bei uns rufen pausenlos Patienten an, die fragen, ob wir sie übernehmen können“, erzählt der Suchtmediziner. „Aber unsere Kapazitäten sind jetzt schon übervoll.“

Die Folgen des drohenden Endes der Substitution an der Schwabstraße merke man den Patienten jetzt schon an, hat Uwe Collmar festgestellt. „Die Leute fangen zum Teil schon wieder mit Beikonsum an, um sich zu beruhigen.“ Unter den Betroffenen seien zum Teil auch Menschen, die durch die Substitution seit Jahren stabil leben, die Arbeit und Familie haben.

Angst vor offener Drogenszene

Durch den Wegfall dieses großen Anteils an Substitutionsplätzen in der Stadt fürchtet Andreas Zsolnai einen Rückfall in überwunden geglaubte Zeiten. „Wir werden wieder eine offene Drogenszene bekommen.“ Zumal es im Grunde schon bisher in Stuttgart zu wenige Substitutionsplätze gegeben habe.

Und die Lage wird sich in den kommenden Jahren weiter verschärfen. Die Zahl der substituierenden Suchtmediziner, von denen etliche im Rentenalter sind, geht weiter zurück. Dass die Landeshauptstadt als Zentrum des Großraums bei diesem Thema auch noch Lasten von außerhalb zu tragen hat, ist seit Langem bekannt. „In den umliegenden Landkreisen der Region ist es noch viel schlimmer“, sagt Uwe Collmar.

Stadt verweist auf Kassenärztliche Vereinigung

Auch bei der Stadt ist das Problem seit einiger Zeit Thema. „Ich kümmere mich“, sagt Sozialbürgermeister Werner Wölfle (Grüne). „Wir tun alles, was in unserer Macht steht.“ Auch er verwendet bei der Beschreibung der Situation starke Worte und spricht von „Gefahr im Verzug“. Der Versuch, den Vermieter doch noch umzustimmen, hat aber nicht gefruchtet. Aus einer möglichen Alternativimmobilie ist zuletzt nichts geworden. „Es gibt zu wenige Ärzte, die substituieren, und nirgends leer stehende Immobilien“, sagt Werner Wölfle.

Der Bürgermeister verweist in der Sache auch auf die Kassenärztliche Vereinigung (KV), die hier „einen Sicherstellungsauftrag“ habe. In der kommenden Woche soll es ein Gespräch mit den Verantwortlichen der KV geben. Für Uwe Collmar ist angesichts des Zeitdrucks klar: „Wir brauchen eine Notfalllösung.“ Er kann sich sogar vorstellen, dass irgendwo Container aufgestellt werden, die einen Ersatz schaffen für die wegfallenden Substitutionsplätze.