Eine noch nie dagewesene, breite Allianz aus 26 Verbänden hat vor den aktuellen Haushaltsberatungen einen dringenden Appell an alle Landtagsabgeordneten formuliert, mehr Mittel für den Wohnungsbau zu reservieren. „Das ist ein einmaliger Aufruf, weil wir auch historisch vor einer einmaligen Situation stehen“, sagte Markus Böll, Präsident der Bauwirtschaft Baden-Württemberg, bei der Vorstellung des Aufrufs des Aktionsbündnisses „Impulse für den Wohnungsbau“.
Nie dagewesene Allianz
Das Bündnis, das von der Architektenkammer über die Bau- und Wohnungswirtschaft mit ihren diversen Fachverbänden bis hin zur Baugewerkschaft und zum Mieterbund reicht, verlangt vor allem, dass sich der Südwesten im sozialen Wohnungsbau mindestens mit den gleichen Beträgen engagiert wie der Bund. Für zwei Jahre solle die Grunderwerbsteuer ausgesetzt werden. Dazu solle die landeseigene L-Bank einen Fonds für den sozialen Wohnungsbau auflegen, der unter anderem zinsgünstige Kredite mit maximal einem Prozent möglich macht. Außerdem soll der frei finanzierte Wohnungsbau – in dem Appell allerdings nicht näher definierte – finanzielle Anreize bekommen.
Man habe sich auf Punkte beschränkt, über die das Land selber entscheiden könne und die rasch etwas bewirken, hieß es bei der Vorstellung. „Andere Bundesländer bieten da im übrigen heute schon deutlich mehr an“, sagte Jochen Bayer, Sprecher des Aktionsbündnisses. In Baden-Württemberg bewege sich hingegen bisher nichts.
„Wir wollen da jetzt aber nicht das Bauministerium oder das Finanzministerium herauspicken,“ sagte Thomas Möller, Geschäftsführer der Bauwirtschaft Baden-Württemberg: „Das Geld, um das es geht, müssen die Landtagsabgeordneten über den Haushalt bewilligen.“
Ist noch genügend Geld im Landeshaushalt?
Andreas Harnack, Landeschef der Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG Bau), verwies auf nicht verbrauchte Haushaltsreste von 9,5 Milliarden Euro aus den vergangenen Jahren. „Der Finanzminister sagt immer, diese seien bereits gebunden – aber für 720 Millionen gibt es eine solche Bindung nicht.“
Das Land rechne zudem falsch, sagte Rolf Gassmann, Landesvorsitzender des Deutschen Mieterbundes: „Jeder Euro an Förderung löst eine Wertschöpfung von sieben Euro aus – und die Hälfte davon kommt dann über Steuereinnahmen wieder an den Staat zurück.“ Beim Thema Grundsteuererlass will die Bauwirtschaft in zwei Wochen ein Gutachten vorstellen, das belegen soll, dass ein Aussetzen den Staat praktisch nichts kostet.
Kretschmann setzt eher auf Bürokratieabbau
Ministerpräsident Winfried Kretschmann sieht die Lösung allerdings bisher woanders: Mithilfe eines sogenannten Strategiedialogs des Staatsministeriums, zu dem sich Experten aus dem Baubereich seit zwei Jahren treffen, will er das Bauen etwa durch schlankere Vorschriften kostengünstiger machen.
Was dort beschlossen werde, könne aber erst mittel- bis langfristig greifen, sagt das Aktionsbündnis. Vor zwei Jahren habe der Absturz im Bau begonnen, sagte Markus Böll, Präsident der Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Und eine Weile habe man noch bestehende Aufträge abarbeiten können: „Nun ist die Kette abgerissen.“ Es werde nun wiederum zwei Jahre brauchen, bevor Gegenmaßnahmen greifen könnten: „Einen weiteren Zeitverlust können wir uns nicht mehr leisten.“
Auf dem Wohnungsmarkt liegt sozialer Sprengstoff
Dabei spiegele der Wohnungsmarkt die ganz aktuellen Probleme der Gesellschaft, von einer alternden Bevölkerung bis hin zur Zuwanderung, sagte Markus Müller, Präsident der Architektenkammer Baden-Württemberg: „Der Druck bleibt hoch“.
Seit Jahren sei man im sozialen Wohnungsbau sehenden Auges in die Krise gelaufen, sagte Gassmann. Wenn man die Versprechungen im Koalitionsvertrag der Ampel auf Baden-Württemberg herunterbreche, müssten im Südwesten eigentlich 14 000 Sozialwohnungen im Jahr gebaut werden: „Wir erreichen nicht einmal 2000.“ Ein entspannter Gesamtmarkt sei noch lange nicht in Sicht, sagte Peter Bresinski, Präsident des Verbandes der baden-württembergischen Wohnungsunternehmen (VBW): „Ende des Jahrzehnts sind die Babyboomer im Ruhestand – und die wandern ja nicht aus.“
Bauministerin sieht Rückenwind
Bauministerin Nicole Razavi (CDU) verwies in einer ersten Reaktion darauf, dass die Landesmittel für den sozialen Wohnungsbau in den drei Jahren ihrer Amtszeit auf insgesamt rund eine Milliarde Euro im Haushalt 2023/2024 mehr als verdoppelt worden seien. Doch der Appell kommt ihr offenbar nicht ungelegen. Sie verstehe das als Rückenwind, sagt sie: „Ich werde mich bei den aktuellen Haushaltsberatungen dafür einsetzen, noch eine Schippe draufzulegen.“ Auch eine Entlastung bei der Grunderwerbsteuer, die der grüne Finanzminister Danyal Bayaz bisher abgelehnt hat, könne sie sich für Selbstnutzer und Familien vorstellen.