Deutsche Bahn, ING-Diba, FC Bayern München. Und jetzt der CDU-Bundestagsabgeordnete Ansgar Heveling. Mit Shitstorms rächt sich das Publikum.  

Stuttgart - Mit einem Gastbeitrag für das Handelsblatt hat der CDU-Abgeordnete Ansgar Heveling im Netz für Aufsehen gesorgt. Darin behauptet er unter anderem, das "Web 2.0" sei bald Geschichte. Außerdem sieht er die bürgerliche Gesellschaft in Gefahr, die Revolution der „digitalen Maoisten“ gehe aber bald vorbei. Eine Reaktion auf den Gastkommentar des Mitglieds der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestags ließ nicht lange auf sich warten. Die so genannte Netzgemeinde reagiert empört bis spöttisch. Mit dem Hashtag #hevelingfacts läuft seit dem Montagnachmittag eine hämische Welle anachronistischer Tweets. Zwischenzeitlich wurde sogar die Website des Abgeordneten gehackt.

 

Mit dem, was nun Heveling trifft, müssen sich immer öfter auch Unternehmen auseinander setzen, die in die Öffentlichkeit treten. Litfaßsäulen und Plakatwände waren da in früheren Zeiten ja noch ungefährlich. Wenn Unternehmen damit Reklame machten und es Menschen gab, die das irgendwie unangemessen, dumm oder sogar unerhört fanden, kam es manchmal vor, dass Plakate verunstaltet wurden - mal witzig, mal brachial. Verboten war das natürlich immer, aber die negativen Folgen blieben für die werbenden Firmen relativ gering. Denn abgesehen von einigen Passanten  bekam von der Manipulation ja kaum jemand etwas mit. Möglicherweise haben einige Manager noch immer das Bild einer Plakatwand im Kopf, wenn sie im Internet werben. Spätestens in sozialen Netzwerken kann das allerdings eine ziemlich gefährliche Weltsicht sein.

Was Unternehmen, die sich heute in sozialen Netzwerken bewegen, am meisten fürchten, ist ein so genannter Shitstorm. Der Begriff hat es aus der Sprache von Journalisten und PR-Leuten heraus sogar in die breite Öffentlichkeit geschafft. So wie vorher schon "Zielgruppe" oder "Format". Shitstorms sind in Mode. Nicht nur als Wort, sondern auch als Phänomen. Denn je mehr Unternehmen auf soziale Medien setzen, um Aufmerksamkeit zu bekommen, und je mehr Konsumenten in Blogs, auf Facebook oder bei Twitter damit konfrontiert sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit eines Shitstorms.

Enttäuschte Fans und Vegetarier

In der Wikipedia wird ein Shitstorm als Internet-Phänomen definiert, "bei dem massenhafte öffentliche Entrüstung sachliche Kritik mit zahlreichen unsachlichen Beiträgen vermischt". Tatsächlich hat es in jüngster Zeit wieder prominente Fälle gegeben, auf die das zutrifft. Zuletzt auch beim FC Bayern München. Eine großspurig angekündigte Pressekonferenz auf Facebook, bei der es angeblich um die spektakuläre Neuverpflichtung eines Spielers gehen sollte, entpuppte sich als PR-Gag für eine Fan-Aktion. Die Empörung bei Journalisten und Fans war groß. Auf der Facebookseite des FC Bayern, der Verein hat dort mehr als 2,7 Millionen Fans, machten Tausende ihrem Ärger Luft. Ein paar Stunden später bat der FC Bayern um Entschuldigung. Die Bank ING-Diba sah sich kürzlich mit Kritik von Vegetariern konfrontiert, weil sie Basketballstar Dirk Nowitzki in einer Metzgerei schickte. Und die Deutsche Bahn musste Ende 2010 Social-Media-Lehrgeld zahlen, als sie zwar auf Facebook für ein Ticket warb, auf Fragen und Kritik aber keine sichtbaren Antworten hatte. Inzwischen hält sie Sprechstunden mit dem Konzernchef auf Facebook ab.

Lidl, Pril, Schlecker. Die Liste von Marken, die sich Shitstorm ausgesetzt sahen, scheint immer länger zu werden. Bernhard Jodeleit, PR-Fachmann und Geschäftsführer der Agentur Lots of Ways in Filderstadt, warnt allerdings davor, Shitstorms überzubewerten. "Im Moment ist das ein Modebegriff", sagt Jodeleit. Immer mehr Berater würden in Unternehmen unnötig Unruhe stiften, indem sie Shitstorms zum Allerschlimmsten erklärten, was einer Firma passieren könnte. "Dabei unterscheiden sich Shitstorms oft nicht grundsätzlich von PR-Krisen." Nicht selten komme es vor, dass die Aufregung in Blogs und sozialen Netzwerken zwar groß sei, die Auswirkungen darüber hinaus aber gering blieben. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Holger Geißler, Vorstand beim Marktforschungsinstitut YouGov, der im Dezember auf der Social Media Night Stuttgart referierte.

Gute Vorbereitung ist alles

Was sich verändert hat, ist die Geschwindigkeit. Eine massenhafte Kritik kann plötzlich hereinbrechen - und sie hält sich auch nicht an Bürozeiten oder freie Tage. Völlig unvorhersehbar sind Shitstorms aber nicht, glaub Jodeleit. "Durch gutes Monitoring und das rechtzeitige Erstellen von Szenarien, dem Zurechtlegen von Antworten, kann man sich immerhin auf eine Krisensituation vorbereiten", sagt er. Anlässe dafür sind etwa neue Werbespots (zum Beispiel von Media Markt) oder ein kritischer Fernsehbeitrag über ein Unternehmen (zum Beispiel Wiesenhof). Denn das unterscheidet das Web 2.0 von Plakatwänden. Es funkioniert in zwei Richtungen. Gibt es Kritik, wird sie schnell von Tausenden öffentlich geäußert und von Zehntausenden wahrgenommen. Das setzt Unternehmen unter Druck.

Jodeleit rät seinen Kunden deshalb, vorbereitet zu sein, das Web 2.0 in Strategien für Krisen-PR abteilungsübergreifend zu integrieren. "Es ist wichtig, verschiedene Szenarien zu entwickeln", sagt er. "Es muss Antworten auf die Frage geben: 'Was machen wir, wenn...'" Und zwar am besten, bevor die Krise da ist. Erst dann könne die wichtigste Regel überhaupt gelten: "Kühlen Kopf bewahren." Ob das auch Ansgar Heveling gelingt, muss sich erst noch zeigen.

Vorträge auf der Social Media Night Stuttgart

Auf der elften Social Media Night Stuttgart im Mercedes-Benz-Museum wird Bernhard Jodeleit am Mittwoch, 1. Februar, über erweitertes Monitoring, Bewertungskataloge für Kritik und Prozesse im Krisenmanagement referieren. Daneben spricht Boris Turalija von der Walter AG über Social Media im B2B-Bereich.

Die Veranstaltung ist ausverkauft. Stuttgarter Zeitung Online berichtet aber über die Social Media Night. Auf Twitter hat sie das Hashtag #smcst.