Die Strategie der Führungsspitze der Deutschen Bahn wird von den Mitarbeitern des größten Staatskonzerns scharf kritisiert. Das zeigen umfangreiche interne Dokumente.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - „Unsere Agenda für eine bessere Bahn“ – so heißt das neue Konzept, mit dem bei der Deutschen Bahn AG vieles besser werden soll. Ob DB-Chef Richard Lutz und seine fünf Vorstandskollegen damit bei der zweitägigen Sondersitzung die 20 Aufsichtsräte des Bundes und der Arbeitnehmer überzeugen können, ist offen. Im Konzern und in der Politik rumort es hinter den Kulissen gewaltig, auch erste Rücktrittsforderungen werden laut.

 

Interne Dokumente zeigen, wie groß der Unmut auch bei den Mitarbeitern ist. Die Gewerkschaft EVG und der Betriebsrat des größten Staatskonzerns haben der DB-Spitze vor dem Krisentreffen eine umfassende Stellungnahme geschickt, die Dutzende Probleme und jahrelange Fehlentwicklungen auflistet. Ohne überzeugenden Kurswechsel werde man die nötige Zustimmung im Aufsichtsrat verweigern, heißt es auf Seiten der Arbeitnehmerbank. Damit stehen die Zeichen beim Konzern auf Sturm.

Fernverkehr: Unzuverlässige ICE-Züge

Für Reisende sind die Probleme im Fernverkehr am ärgerlichsten. Die ICE- und IC-Züge kommen häufig zu spät oder fallen ganz aus. Nur noch jeder fünfte ICE fährt mängelfrei. Ursache sei „die schlechte Lieferqualität“ der Bahnindustrie, kritisieren die Betriebsräte. So seien immer mehr Reparaturen nötig, in den Werken fehle dafür aber Zeit und Personal. Deshalb könnten oft nur noch sicherheitsrelevante Mängel behoben werden, weil es ohnehin zu wenig Züge für die wachsenden Fahrgastzahlen gebe.

Die zuständigen Vorstände Berthold Huber (Personenverkehr) und Sabina Jeschke (Technik) stehen beim Krisentreffen weit vorn auf der Tagesordnung. Die DB betont, dass mehr als 200 neue Züge bestellt wurden, die jedoch erst bis 2024 komplett geliefert sein sollen. Zudem sei die Instandhaltungskapazität erhöht worden. Für 2023 werden ein „0-Fehler-Niveau“ bei der Flotte angestrebt und eine Gewinnsteigerung im Fernverkehr von 418 auf 737 Millionen Euro – Zahlen, die bisher aber wieder nur auf dem Papier stehen.

Güterverkehr: Teures Missmanagement

Mehr Fracht auf die Schiene – dieses Ziel der Bahnreform 1994 wurde bisher kaum erreicht. Europas größte Güterbahn DB Cargo fährt allein dieses Jahr weitere 200 Millionen Euro Verlust ein, Kunden wenden sich ab und nutzen lieber Lastwagen, weil Lieferungen unzuverlässig sind. Selbst in der DB-Spitze werden katastrophale Managementfehler eingeräumt. So wurde die Flotte um ein Drittel verkleinert, weshalb nun Züge fehlen und Aufträge abgewiesen werden müssen. Gleichzeitig standen im November zeitweise bis zu 120 Züge nutzlos herum, weil die Ablaufplanung nicht funktionierte oder Rangier- und Lokführer fehlten.

Güterverkehrsvorstand Alexander Doll soll an diesem Freitag den Kontrolleuren berichten, wie DB Cargo aus der tiefen Krise kommen kann. Beim laufenden Sanierungsprogramm Opex sieht der Konzern – anders als der Betriebsrat – erste Erfolge, das vorherige Konzept „Zukunft Bahn“ von Ex-Chef Rüdiger Grube gilt als krachend gescheitert. Die DB-Spitze verweist darauf, dass anstatt des dort geplanten Stellenabbaus 1250 neue Planstellen geschaffen wurden und bis 2023 rund zwei Milliarden Euro auch in neue Züge investiert werden sollen.

DB Netz: Riesiger Nachholbedarf

Ronald Pofalla muss als zuständiger Konzernvorstand die massiven Probleme im bundeseigenen Schienennetz rechtfertigen, das der Konzern verwaltet. Überall gibt es Baustellen und Engpässe, die den Zugverkehr beeinträchtigen. Der Nachholbedarf ist gewaltig, der Modernisierungsbedarf bis 2030 wird von der Bundesregierung auf 71 Milliarden Euro veranschlagt. Finanziert davon ist bisher nur ein Bruchteil, der Ex-Kanzleramtsminister soll als Strippenzieher zur Politik möglichst viel Steuergeld für die Schiene und den Konzern lockermachen.

Intern gibt es viel Kritik an Pofallas Führungsstil „von oben herab“. So habe die Leitung der DB Netz AG kaum noch etwas zu melden, weil die Konzernführung „sehr intensiv“ und „beratergetrieben“ ins operative Geschäft eingreife. Eine „offene Fehlerkultur“ gebe es nicht mehr, Bewährtes falle dem schnellen Gewinn zum Opfer, stattdessen versuche man, die Bahn jeden Tag neu zu erfinden.

Die DB-Spitze verweist darauf, dass der Systemverbund von Netz und Betrieb durch neue Prozesse verstärkt und für die Netzmodernisierung das Personal aufgestockt werde. Der hohe Berateraufwand werde ab 2019 „hart gedeckelt“. Die staatlich hoch subventionierte Infrastruktur soll bis 2023 die wichtigste Ertragssäule des Konzerns bleiben. Die Gewinne aus dem bundeseigenen Netz sollen allein in diesem Jahr um fast 100 Millionen Euro auf 1,083 Milliarden Euro steigern und bis 2023 sogar auf 1,248 Milliarden Euro wachsen.

DB Regio: Viele Verspätungen

Zu wenig Personal, viele Verspätungen, schlechte Angebotsqualität – das kritisieren die Betriebsräte im Regionalverkehr. Stress und Frust bei der Belegschaft seien groß, viele hätten innerlich gekündigt, was auch Mitarbeiterbefragungen zeigten. In den Geschäftsfeldern sei Silodenken verbreitet, der Blick für andere und fürs große Ganze fehle.

Die DB-Spitze verweist darauf, dass die Auftragsverluste der letzten Jahre an Wettbewerbsbahnen weitgehend gestoppt werden konnten. Das Personal werde erhöht, neue Lokführer ausgebildet, um die Zugausfälle und teure Strafzahlungen wegen vieler Verspätungen zu reduzieren. Intern und politisch umstritten ist ein Verkauf der britischen Bahn- und Bustochter Arriva, der mehrere Milliarden Euro Erlös für die Konzentration aufs deutsche Kerngeschäft bringen könnte.

Weitere Baustellen

Bei den Bahnhöfen halten die Betriebsräte mehr Personal vor Ort und bessere Ressourcen für Reparaturen von Anlagen wie Aufzügen für nötig. Der Konzern verweist auf Investitionen von 450 Millionen Euro von 2016 bis 2021 für schönere Stationen.

Für Sicherheit in Zügen und Bahnhöfen fordern die Arbeitnehmervertreter mehr Anstrengungen, die Zahl der Straftaten und Übergriffe wachse. Die zuständige DB Sicherheit GmbH, die Reisende und DB-Mitarbeiter schützen soll, sei „massiv unterfinanziert“. Sicherheit dürfe nicht von der Kassenlage abhängen.