Die massiven Probleme der Deutschen Bahn zwingen die Koalition zum Handeln. Vorstandschef Lutz kämpft mit Reformvorschlägen um seinen Posten – und muss Verkehrsminister Andreas Scheuer von seinen Plänen überzeugen.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Früh aufstehen ist für Richard Lutz kein Problem. Der Chef der Deutschen Bahn AG (DB) und damit von 310 000 Mitarbeitern gilt als Arbeitstier. Der 54-jährige Pfälzer stammt aus einer Eisenbahnerfamilie und hat es in 25 Jahren aus der Finanzabteilung bis an die Spitze des größten Staatskonzerns geschafft. Nun steht mit der tiefen Krise der DB auch sein Job auf dem Spiel.

 

An diesem Dienstag muss Lutz schon früh um 7 Uhr mit den Vorstandskollegen Ronald Pofalla und Finanzchef Alexander Doll bei seinem Dienstherren zum Krisentreffen erscheinen. Verkehrsminister Andreas Scheuer hat die DB-Spitze einbestellt, der Termin sickerte sogleich an Medien durch. Denn der CSU-Mann steht nicht nur wegen der Bahnkrise selbst unter Druck und will zeigen, dass der Fall Chefsache ist.

Der große Wurf ist gleichwohl nicht zu erwarten. Zu komplex sind die Probleme, die sich über viele Jahre aufgehäuft haben. Ursachen sind viele operative Mängel beim Konzern, aber ebenso gravierende Fehlentwicklungen in der Verkehrspolitik, nicht zuletzt bei der Steuerung und Kontrolle des wichtigsten und mit Abstand teuersten Staatsunternehmens. Die DB braucht einen neuen Kurs – und wieder mal mehr Geld. Lutz hat seinen Job erledigt und dem Aufsichtsrat im November eine schonungslose 200-seitige „Agenda für eine bessere Bahn“ vorgelegt, für deren Umsetzung nach den teuren Tarifabschlüssen knapp fünf Milliarden Euro zusätzlich benötigt werden.

Die Regierung kennt die Pläne seit Monaten

Scheuer und die Experten der Regierungsparteien CDU und SPD, deren Vizefraktionschefs an dem Krisentreffen teilnehmen werden, kennen alle Pläne und Zahlen seit Monaten. Denn im 20-köpfigen DB-Aufsichtsrat sind die Politiker neben der Arbeitnehmerbank stark vertreten, darunter auch Scheuers Staatssekretär Guido Beermann. Auch Aufsichtsratschef Michael Odenwald war viele Jahre im Ministerium.

Für die Regierenden können die Fehlentwicklungen also keine Überraschung sein, auch wenn so getan wird. Das Problem: Union und SPD sind sich seit Langem uneins über längst nötige Strukturreformen. Nun aber wächst der Druck, endlich zu handeln. Denn 25 Jahre nach der Umwandlung der Bundesbahn in eine private AG zeigt die kritische Bilanz, dass der renditeorientierte Konzern zwar Hunderte Milliarden Euro Steuergeld erhalten hat, dennoch aber das öffentliche Interesse an zuverlässiger, umweltschonender Mobilität auf der Schiene im Personen- wie Güterverkehr vielfach enttäuscht wurde.

Wie also soll es weitergehen? Die Gefahr ist groß, dass sich die Koalition mangels Einigkeit ein weiteres Mal mit dem Stopfen der größten Finanzlöcher und einiger Umbauten begnügt und wirkliche Reformen für eine echte Verkehrswende hin zur Schiene ausbleiben. Als wahrscheinlich gilt seit Monaten der Komplettverkauf der britischen Arriva, über die der Konzern seine Bus- und Bahngeschäfte im Ausland steuert.

Arriva ist profitabler als das Kerngeschäft der Bahn

Das könnte 3,5 bis 4 Milliarden Euro bringen, hofft man intern. Unter Ex-Bahnchef Rüdiger Grube hatte die DB das britische Unternehmen für rund drei Milliarden Euro gekauft. Arriva beschäftigt 55 000 Mitarbeiter, besitzt mehr als 1000 Züge, betreibt allein auf der Insel mehr als 48 000 Bushaltestellen sowie 800 Bahnhöfe und befördert 1,9 Milliarden Reisende pro Jahr. Mit 5,3 Milliarden Euro bringt die Tochter fast ein Achtel des DB-Konzernumsatzes und steuert 301 Millionen Euro zum Gewinn vor Steuern und Zinsen (Ebit) von zuletzt 1,67 Milliarden Euro bei.

Die Renditehoffnungen haben die Briten zwar nicht erfüllt. Arriva ist aber deutlich profitabler als das Kerngeschäft der DB in Deutschland. Anders als der hiesige Systemverbund, also Netz, Personen- und Güterverkehr, erwirtschaften Arriva und der Logistikkonzern Schenker die Kapitalkosten, wird in der internen Agenda betont.

Ein Verkauf der Auslandsgeschäfte würde die wirtschaftliche Lage also nur kurzfristig, aber nicht auf längere Sicht verbessern, meinen Kritiker. Zumal ein Konkurrent Arriva übernehmen und damit die DB auch in Deutschland bei der öffentlichen Vergabe von Bahn- und Busaufträgen attackieren könnte.

Ohne Verkäufe fehlen dem Konzern Milliarden

Die Koalitionäre haben also eine harte Nuss zu knacken. Zumal auch klar ist: Ohne Verkäufe fehlen dem Staatskonzern Milliarden für Verbesserungen. Noch mehr Zuschüsse oder noch höhere als die bereits 20 Milliarden Euro Schulden wären die Folge. Das aber wollen die strengen Haushaltspolitiker der Koalition nicht zulassen. Auch der Bundesrechnungshof ist alarmiert und kritisiert die Politik scharf.

Das zeigt: Die Regierung hat nun selbst ein großes Problem, das durch Aktionismus wie weitere Personalwechsel kaum gelöst würde. Scheuer will der DB-Spitze noch etwas Zeit geben, zumindest die massiven Qualitätsprobleme und operativen Mängel endlich zu verringern. Das gilt vor allem für die mangelnde Zuverlässigkeit der Personen- und Güterzüge, die Defizite bei der Infrastruktur und die hohen Verluste im Frachtverkehr. Doch auch Laien wissen, dass hier kurzfristig keine Wunder zu erwarten sind. Die jahrelangen Versäumnisse rächen sich nun, weil mehr und funktionierende Züge nicht herbeigezaubert werden können und es teuer und langwierig ist, die vielen Engpässe im bundeseigenen Schienennetz zu beseitigen, das so lange vernachlässigt wurde.