Londons Bürgermeister Sadiq Khan sieht sich wieder einmal der Kritik aus den Reihen der Brexit-Befürworter ausgesetzt. Der Grund diesmal ist eher skurril.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

London - Für den Bürgermeister von London, Sadiq Khan, ist es nichts Neues, persönlich angegriffen zu werden. Giftige Bemerkungen Donald Trumps über Khan haben schon zu einiger Aufregung an der Themse geführt.   Mit übel verdrehten Zitaten suchten der US-Präsident und sein Sohn Donald Trump Jr. den ersten muslimischen Bürgermeister in der Geschichte Londons für lasches Vorgehen gegen Terroristen verantwortlich zu machen.

 

Grund für die Attacken war die Kritik, die Khan an Trumps frühem Einreiseverbot für Bürger aus überwiegend muslimischen Staaten übte.   Als Trump im vorigen Herbst Großbritannien besuchte, weigerte sich Khan im Gegenzug, ihn in London willkommen zu heißen – und gab die Erlaubnis für einen frechen Protest in Form eines sechs Meter hohen „Baby-Trump-Ballons“.

Verrat an der Demokratie?

Zu Beginn des neuen Jahres werfen nun Brexit-Hardliner Khan vor, „ein öffentliches Ereignis von internationaler Bedeutung“ auf tückische Weise „politisiert“ zu haben. Der rechtskonservative Tory-Abgeordnete Andrew Bridgen beschuldigt Khan gar des „Verrats an der Demokratie“.   Bridgens ehemaliger Parteikollege Roger Helmer, der inzwischen zur ebenso anti-muslimischen wie anti-europäischen Partei Ukip abgewandert ist, kann sich kaum lassen vor Erregung darüber, dass Khan „mitten in letzten Verhandlungen“ mit Brüssel „die Fahne der anderen Seite“ am Himmel über London aufgezogen habe.

Der Grund für die Empörung: Helmer, Bridgen und andere Brexiteers haben in der tiefblauen Beleuchtung des Londoner Riesenrades und im Kreis der goldenen Lichterpünktchen rund ums Rad während des Neujahrs-Feuerwerks ganz eindeutig die EU-Flagge ausgemacht.   Für sie ist es schlicht eine Provokation, was sich Khan da zu Silvester erlaubte: Vor den Augen der Welt Londons Verbundenheit mit der Europäischen Union zu demonstrieren, während das Land sich – wie sie es sehen – mit aller Kraft von der EU zu befreien sucht.   Denn am 29. März dieses Jahres, gerade mal in zwölf Wochen, soll das Vereinigte Königreich die EU verlassen. So ist es jedenfalls von der Regierung geplant.

London hängt von der Finanzwelt ab

Brexit-Kritiker wie Sadiq Khan halten diesen Weg aber für einen Weg in die Katastrophe. Auch zwischen den Jahren hat sich die Alarmstimmung weiter verstärkt.   Am Mittwoch zitierte die Financial Times achtzig führende Ökonomen mit dem Urteil, der bevorstehende Brexit schaffe „schlechte bis furchterregende“ Aussichten für Großbritannien in diesem Jahr. Der gleichen Überzeugung ist der Labour-Politiker Sadiq Khan.

Denn mehr noch als andere Teile des Königreichs hängt die Zukunft der britischen Hauptstadt an der vom Brexit ins Ungewisse gestürzten Finanzwelt, an den Banken, Versicherungen, Anwaltskanzleien und anderen Institutionen der City of London. Diese „Dienstleistungs-Industrie“, erinnert Khan seine Mitbürger gern, macht 92 Prozent der Wirtschaftskraft der Stadt aus – und trägt wesentlich zum Wohlstand des ganzen Landes bei.   Von Anfang an hat Khan darum betont, dass London „eine weltoffene Stadt“ bleiben müsse, die sich nicht von ihren nächsten Nachbarn und engsten Partnern abkoppeln dürfe. „Und eine Million EU-Bürger in London sind schließlich auch Londoner“, hat der Bürgermeister zu Neujahr erneut erklärt.

Tatsächlich ist London überwiegend pro-europäisch. Beim EU-Referendum von 2016 stimmten 60 Prozent der Londoner für Verbleib in der EU (im Kontrast zu 48 Prozent landesweit). Nun, meint Khan, sei die Zeit gekommen zur Revision einer schlimmen Fehlentscheidung.   Der „Mayor of London“ fordert deshalb schon länger ein zweites Referendum.