Lediglich 59 Prozent der Bahnstrecken in Deutschland sind elektrifiziert.Viele Gleise und Stationen sind stillgelegt worden, die Fehler liegen wohl vor allem in der Vergangenheit.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Die Kritik am Zustand des Bahnnetzes wächst. Nach einem aktuellen EU-Vergleich sind nur knapp 59 Prozent des deutschen Netzes elektrifiziert. Damit liegt Deutschland zwar über dem europäischen Durchschnitt von 52 Prozent, aber weit hinter Ländern wie der Schweiz (99 Prozent), Belgien (86 Prozent), Holland (76 Prozent), Schweden und Italien (beide rund 71 Prozent). Auch Österreich (68 Prozent) und Polen (60 Prozent) sind besser ausgestattet. Die Allianz pro Schiene, dem zahlreiche Verkehrs- und Umweltorganisationen angehören, fordert deshalb mehr Anstrengungen von der Bundesregierung.

 

Bei der Elektromobilität auf der Schiene seien noch viele Hausaufgaben zu machen, kritisiert Geschäftsführer Dirk Flege. Die Politik habe zu sehr den Straßenverkehr im Blick, wenn es um die Energie- und Verkehrswende hin zu mehr Klima- und Umweltschutz gehe. Das zeige die Debatte über Stromleitungen über Autobahnen zum Betrieb elektrischer Lastwagen ebenso wie die massiven Subventionen für Elektroautos, von denen Ende 2011 gerade mal 4150 Stück auf hiesigen Straßen unterwegs waren. Auf der Schiene würden bereits 90 Prozent der Verkehrsleistung elektrisch erbracht, betont das Bündnis. „Alles spricht für einen weiteren Ausbau“, sagt Flege. Doch wichtige Projekte zur Elektrifizierung würden wegen Geldmangels immer weiter auf die lange Bank geschoben werden. Beispiele seien die Strecken von Hof bis Regensburg auf der Ostachse, der Ausbau der Strecke Chemnitz–Leipzig oder die international wichtige Verbindung Dresden–Görlitz. Die Bundesregierung müsse sich daher ein konkretes Ausbauziel setzen, fordert Flege. „Wir denken, dass ein Elektrifizierungsgrad von mindestens 70 Prozent bis 2020 beim Bundesschienennetz sachgerecht wäre.“ Die Investitionen würden sowohl die Umweltverträglichkeit als auch die Wettbewerbsfähigkeit des Schienenverkehrs erhöhen.

Viele Engpässe im Schienennetz

Das deutsche Schienennetz gehört zum größten Teil der bundeseigenen Deutschen Bahn und wird von deren Tochter DB Netz betrieben. Es gibt seit Langem Forderungen, die Infrastruktur (34 000 Kilometer Gleise, mehr als 5000 Bahnhöfe und die Energieversorgung) aus dem Konzern herauszulösen und unabhängig von Interessen des Ex-Monopolisten zu machen. Kritiker monieren unter anderem, dass die DB zu wenig ins Netz investiert und vor allem dort, wo es dem Konzern besonders nützt. Nach Ansicht der Experten vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) vernachlässigen die DB und die Politik vor allem den Güterverkehr, wo die Transportmengen und die Verkehrsleistung im ersten Halbjahr gesunken seien. Ursache seien auch die Fehler in der Vergangenheit. So wurden laut VCD seit 1994 ein Sechstel der Gleise stillgelegt, die Hälfte der Weichen beseitigt und ein Drittel der Bahnhöfe dicht gemacht.

Im deutschen Schienennetz gibt es viele Engpässe, die besonders die Güterzüge treffen. Vor allem die Anbindungen der Nordseehäfen sowie die wichtigen Nord-Süd-Verbindungen sind zeitweise überlastet, was weiteres Wachstum dieser umweltschonenden Transportart erschwert. Auch bei aktuellen Investitionsprogrammen der DB AG komme der Güterverkehr zu kurz, kritisiert der VCD. Teure Projekte wie die ICE-Trasse Nürnberg–Erfurt, der Bahnhof Stuttgart 21 oder die Y-Trasse durch die Lüneburger Heide seien für den Güterverkehr nutzlos. Der DB als Bauherr und Planer bringen solche Milliardenvorhaben aber hohe Einnahmen.