Die Flensburger Verkehrssünderdatei soll gründlich umgebaut werden. Doch das Konzept von Minister Peter Ramsauer kommt bei Experten auf dem Verkehrsgerichtstag in Goslar nicht an. Sie kritisieren es als „komplex“, „ungereimt“ und „nicht transparent“.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Goslar - Die Stellungnahme ist ungewöhnlich, eigentlich ungehörig und heftig. Normalerweise bleibt Kay Nehm, der Präsident des Deutschen Verkehrsgerichtstags, bei seinem Eröffnungsvortrag zurückhaltend. Schließlich verbietet es sich, den Beratungen der in Goslar versammelten fast 2000 Fachleute vorzugreifen, die erst am Freitag ihre Empfehlungen vorlegen. Doch am Donnerstag lässt Nehm sich hinreißen – wegen der Brisanz des Themas, aber wohl auch weil sein Zorn über die Regierungspläne zur Reform der Flensburger Verkehrssünderdatei zu groß ist. Einfachheit und Transparenz habe Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer ursprünglich versprochen. „Aber nun droht ein Regelwerk, das dem alten an Komplexität, Ungereimtheit und Intransparenz nur unwesentlich nachsteht“, schilt der einstige Generalbundesanwalt.

 

Seine Kritik ist vernichtend. Der vom Kabinett beschlossene Entwurf sei enttäuschend, sagt Nehm. Er deutet auch an, dass die Politik Druck auf den Verkehrsgerichtstag ausgeübt habe, das Thema nicht zu erörtern. Dabei hatte 2009 genau dieses Forum eine Reform gefordert. Ramsauers Vorschlag sieht nun vor, nicht mehr bis zu sieben Punkte pro Verstoß zu verhängen, sondern nur noch höchstens drei. Im Gegenzug ist der Führerschein nicht mehr bei 18 Punkten weg, sondern schon bei acht. Neu ist auch, dass es Eintragungen nur bei sicherheitsrelevanten Delikten geben soll – also nicht beim Befahren von Umweltzonen.

Nur eine einzige Neuerung findet in Goslar Beifall

Zudem sollen sich die Verjährungsfristen von Punkten nicht mehr verlängern, wenn neue Punkte hinzu kommen. Das ist fast die einzige Neuerung, die in Goslar ungeteilt Beifall findet. Nehm rügt aber, dass manche Delikte erst nach mehr als fünf Jahren verfallen sollen. Das könne Vielfahrer benachteiligen. Die würden womöglich aus Unachtsamkeit ihr Sündenregister erhöhen, dann automatisch den Führerschein verlieren und könnten gar in Existenznot geraten. Falsch sei es auch, dass es künftig für Nachschulungen keinen Punkterabatt mehr geben solle. So gehe die erzieherische Wirkung flöten.

Weiter hat Nehm Zweifel daran, wie die alten Punkte in das neue System übertragen werden und von welchem Zeitpunkt an die jeweilige Verjährungsfrist läuft. Der Jurist verlangt also Nachbesserungen, statt das Projekt durchzupeitschen. Und er ist damit nicht allein. Der Deutsche Anwaltverein etwa befürchtet, dass nun viel öfter der Lappen weg sei. Er empfindet die Umstellung als zu undifferenziert. Für einen Handyverstoß gebe es dann einen Punkt, für eine fahrlässige Tötung unter Umständen nur zwei. Der Auto Club Europa hält das ganze Vorhaben für Aktionismus. Und selbst der ADAC, den Ramsauer eng eingebunden hatte, will mittlerweile Korrekturen. Damit scheint eines klar: bei seinem Beschluss am Freitag stellt der Verkehrsgerichtstag dem Minister ein schlechtes Zeugnis aus.