Ein Video auf der Facebook-Seite der Ditib-Moschee in Süßen zeigt einen Imam, der vor Kindern für den Sieg der türkischen Armee betet. Politiker rätseln nun, wie sie auf streng nationalistische Töne in türkischen Predigten reagieren sollen. Das Unbehagen im Kreis Göppingen ist groß.

Süßen - Ein Video, das Reporter des SWR auf der Facebook-Seite der Ditib-Moschee in Süßen entdeckt haben, hat politische Sprengkraft. Ein Imam betet dort vor dutzenden Kindern: „Mein Gott, lass unsere Armee siegreich sein, gib unseren Feinden keine Chancen, beschütze unser Vaterland und unsere Flagge. Hilf uns im Kampf gegen Terrororganisationen, beschütze unsere Türkei vor Unheil, erhöre unsere Gebete, lass unser Land siegen.“ Immer wieder bekräftigen die Mädchen und Jungen seine Worte mit Amin, der türkischen Entsprechung von Amen. Inzwischen wurde das Video gelöscht.

 

Von der CDU über die Grünen bis hin zu SPD und Linken fragt man sich nun, wie man damit umgehen soll, dass in einer Moschee im Kreis Göppingen türkische Politik mit Religion vermischt wird – und das auch noch vor Kindern. Viele beziehen den Sieg, von dem in der Predigt die Rede ist, auf den umstrittenen Krieg, den die Türkei zurzeit gegen kurdische Truppen in Syrien führt. Immerhin ist das Video einen Tag nach dem Beginn der Offensive im Netz aufgetaucht. Von Indoktrination ist die Rede, von der Instrumentalisierung von Kindern, von türkischem Militarismus. Unisono fordern die Politiker, Gespräche mit Ditib zu führen, und wollen die Zusammenarbeit mit dem Verband überdenken.

Wichtiger Ansprechpartner für Kommunen und Verbände

Wirklich neu ist das nicht. Denn so richtig einschätzen konnte man sie noch nie, die Moscheevereine, die dem türkischen Islamverband Ditib angehören. Für viele Kommunen und Verbände waren und sind sie als größter Vertreter der türkischen Muslime einer der wichtigsten Ansprechpartner, wenn es um Integration und interreligiösen Austausch geht. Auch im Kreis Göppingen schätzt man die Ditib-Moscheen in Geislingen, Süßen, Göppingen und Ebersbach als freundliche Gastgeber bei Kulturveranstaltungen und als engagierte Helfer bei der Erarbeitung des Integrationsplanes.

Doch die Beziehung war stets zwiespältig. Dutzende von Anfragen im Landtag aus den vergangenen Jahren zeugen davon, wie unsicher sich viele Politiker sind, ob man den Beteuerungen von Ditib glauben darf, der Verband stehe zum deutschen Grundgesetz und seinen Werten. Mit dem Erstarken des Nationalismus in der Türkei ist das Misstrauen gewachsen. Denn dass Ankara dort stets mitregiert hat, ist bekannt.

Die türkischen Bewertungen des Vorfalls sind sehr unterschiedlich

Die Vertreter der Moschee in Süßen sind gegenüber der Öffentlichkeit auf Tauchstation gegangen. Der Versuch, mit dem Dachverband der türkischen Vereine im Kreis ins Gespräch zu kommen, zeigt, wie unterschiedlich die deutsche und die türkische Perspektive sind. Der Integrationsbeauftragte des Vereins, Yasin Bilici, findet etwa, man dürfe doch für das beten, an das man glaube. Außerdem würden Deutsche sicher auch für ihre Soldaten in Afghanistan beten.

Also alles eine Frage des Blickwinkels? Die Deutschtürken im Imbiss an der Ecke haben zum Teil schon von dem Vorfall in Süßen gehört. So richtig wohl ist ihnen damit nicht, aber sie verurteilen ihn auch nicht. Der eine hat zwar kein Problem mit der türkischen Offensive, schließlich gehe man „gegen Terroristen“ vor, „aber Kinder würde ich da nicht mit reinziehen.“ Der andere ist früher selbst in die Süßener Moschee gegangen. Er hat ein anderes Bild von ihr als das, das nun die Debatte bestimmt. „Ich habe dort gelernt, fünf Mal am Tag zu beten, keinen Alkohol zu trinken und anständig mit meinen Mitmenschen umzugehen“, sagt er.

Verein räumt ein, übers Ziel hinausgeschossen zu sein

Der Göppinger Landrat Edgar Wolff will zu dem Vorfall am Freitag eine Erklärung im Kreistag abgeben und das Gespräch mit Ditib suchen. Das Land plant, den sogenannten Runden Tisch der Religionen vorzuverlegen und den Vorfall dort zu besprechen.

Der Süßener Bürgermeister Marc Kersting (CDU) hat am Dienstag mit Vertretern der Ditib gesprochen: „Es war ein sehr offenes Gespräch, und wir waren uns alle einig, dass der Vorfall nicht in Ordnung war.“ Der Verein habe eingeräumt, dass der Imam deutlich über das Ziel hinausgeschossen sei, und versichert, dass so etwas nicht mehr vorkomme. Außerdem, so berichtet Kersting, habe man vereinbart, sich künftig häufiger zu treffen und den Dialog fortzusetzen. „In der nächste Wochen“, kündigt er an, „bin ich in der Moschee zu Gast.“ Was ihn dabei besonders freue: „Ich habe erfahren, dass auch regelmäßig Kurden dorthin zum Beten kommen.“