Vom Ärztetag in Erfurt in der kommenden Woche fordert Norbert Metke, Chef der Kassenärzte im Land, ein klares Bekenntnis zur Telemedizin. „Wenn die Ärzteschaft nicht bald aufspringt, ist der Zug abgefahren“, warnt er im Interview.

Stuttgart - Vor zwei Wochen startete Docdirekt, das telemedizinische Modellprojekt der Kassenärzte im Südwesten. Deren Chef verteidigt das Angebot gegen Kritik aus der Ärzteschaft.

 
Herr Metke, Baden-Württembergs Kassenärzte machen Tempo beim Thema Fernbehandlung. Seit wenigen Wochen läuft ein Modellversuch in Stuttgart und Tuttlingen, bei dem Patienten Ärzte ausschließlich über Kommunikationsnetze konsultieren. Wie zufrieden sind Sie mit dem Start?
Wir wollten es langsam angehen und zunächst sicherstellen, dass technisch und personell alles funktioniert. Inzwischen wurde unsere Docdirekt-App einige Hundert Male heruntergeladen. Aktuell haben wir täglich 20 bis 30 Patienten, die sich bei uns melden. Diejenigen, die die Voraussetzungen erfüllen, vermitteln wir direkt an teilnehmende Haus- und Fachärzte weiter – zur medizinischen Fernberatung und gegebenenfalls zur Vorstellung in einer Praxis noch am selben Tag. Damit sind wir für den Start hochzufrieden. Wir haben aufgezeigt, dass das System läuft und insbesondere die telemedizinischen Medien stabil zur Verfügung stehen.
Wie geht es nach der Startphase weiter?
Ab sofort machen wir Werbung in Apotheken – im weiteren Verlauf auch anderswo, vor allem in Printmedien und auf Großbildschirmen in U-Bahn-Stationen. Wir sind gespannt, wie sich die Nachfrage dann entwickelt.
Kollegen in anderen Bundesländern beobachten mit Skepsis, was Sie treiben. Manche lehnen die Fernbehandlung per Telefon oder Videochat grundsätzlich ab. Im Vorfeld des Deutschen Ärztetags in Erfurt in der kommenden Woche gibt es dazu hitzige Debatten. Warum sind viele Ärzte so skeptisch?
Weil sie leider die Realität im Land ausblenden. 40 Millionen Bundesbürger surfen pro Jahr im Internet, weil sie Fragen zu ihrer Gesundheit haben. Das zeigt, dass die Menschen es sich offensichtlich vorstellen können, ergänzend zum klassischen Kontakt zwischen Arzt und Patient digitale Gesundheitsangebote in Anspruch zu nehmen. Auf diese Realität muss die Ärzteschaft unbedingt eine Antwort geben, sonst tun es andere.
Das klingt wie eine Drohung.
Ja, die Ärzteschaft hat auch allen Grund, sich bedroht zu fühlen. Telemedizinische Beratung gibt es längst. Wenn die Ärzteschaft nicht bald aufspringt, ist der Zug abgefahren. Schon jetzt gibt es Anbieter aus dem Ausland oder Interessenten, die beispielsweise der Pharmaindustrie nahestehen, mit ausschließlich finanziellen Interessen am Markt. Die Ärzte müssen dagegenhalten, zum Beispiel mit einem Angebot wie Docdirekt, das von der Landesärztekammer genehmigt wurde. Damit ist sichergestellt, dass die hohen ethischen und qualitativen Anforderungen, die die Kammer den Medizinern vorgibt, auch eingehalten werden.
In Erfurt wird eine kontroverse Diskussion über die Berufsordnung erwartet. Die Landesärztekammer hat das Regelwerk schon 2016 geändert, um Ärzten die Fernbehandlung von Patienten zu ermöglichen, die sich noch nicht persönlich bei ihnen vorgestellt haben. Nun will die Bundesärztekammer nachziehen und die Muster-Berufsordnung, an der sich alle Ärztekammern orientieren, überarbeiten. Rechnen Sie mit Widerstand?
Ja, ich erwarte Diskussionen. Die Debatte über die Fernbehandlung wurde schon beim Ärztetag im vorigen Jahr geführt. Die Gegner beharren darauf, dass man einen Patienten, den man noch nicht gesehen hat, auch nicht behandeln kann. Erfahrungen mit der Fernbehandlung im Ausland zeigen aber, dass dies bei leichten Beschwerden sehr gut funktioniert. Übrigens: Auch wenn die Telemedizin vielen Patienten in Bagatellfällen helfen kann, ändert das nichts an der Tatsache, dass die große Mehrzahl weiterhin einen direkten Kontakt zum Arzt in dessen Praxis benötigt.
Wenn die Muster-Berufsordnung nicht angepasst würde – was wären die Folgen?
Zunächst einmal rechne ich fest damit, dass es in Erfurt letztlich grünes Licht für eine Fernbehandlung innerhalb gewisser Grenzen gibt.
Grenzen – was meinen Sie damit?
Kein Arzt wird bei der Fernbehandlung ein Risiko eingehen wollen. Im Zweifel wird er seine Patienten in die Praxis einbestellen, um sie eingehend untersuchen zu können. Das wird in der Mehrzahl der Fälle so sein. Nur in Bagatellfällen wird der Arzt es bei einem Telefonat oder einem Videochat belassen.
Und wenn es kein grünes Licht gibt beim Ärztetreffen in Erfurt?
Es wäre ein fatales Signal, wenn die Ärztekammern beim wichtigen Thema Fernbehandlung nicht an einem Strang ziehen würden. Kleinstaaterei hat Deutschland noch nie gutgetan. Tatsache ist: Die Menschen im Land wollen die Fernbehandlung. Die Ärzte haben die Chance, das Thema in die Hand zu nehmen und eigenständig zu regeln. Regelt die Ärzteschaft es nicht, wird die Politik das übernehmen.