Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer fordert im StZ-Interview mehr Investitionen in die Infrastruktur. Die vielen Staus in den Ballungszentren der Republik seien eine Belastung für die Betriebe.

Berlin – - Hans Peter Wollseifer ist Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH). Er erwartet von der Politik, dass sie mehr unternimmt, um in Deutschland wirtschaftliche Dynamik zu entfachen.
Herr Wollseifer, Kanzlerin Angela Merkel hat jüngst gesagt, das Wachstum in Deutschland müsste angesichts günstiger Faktoren wie Niedrigzins und gesunkener Ölpreise höher sein. Was kann die Bundesregierung für mehr Wachstum tun?
Das Handwerk leistet einen guten Beitrag zum Wachstum. Die Handwerksbetriebe legten nach den jüngsten statistischen Daten im vergangenen Jahr beim Umsatz um 2,2 Prozent zu, eine Steigerung um 11,7 Milliarden Euro. Wir rechnen auch in diesem Jahr mit zwei Prozent Wachstum. Natürlich profitieren wir von niedrigen Ölpreisen und Zinsen. Auch die hohe Binnennachfrage, zu der die gute Reallohnentwicklung beiträgt, wirkt sich positiv aus. Das verschafft uns volle Auftragsbücher. Wenn die Kanzlerin das Wirtschaftswachstum nachhaltig steigern will, gibt es ein einfaches Rezept: endlich die richtigen Rahmenbedingungen setzen.
Was sollte passieren?
Die große Koalition hat die Wirtschaft bisher ganz schön gepiesackt. Der Mindestlohn, die Mütterrente, die Rente mit 63 und die Erhöhung der Beiträge zu Pflegeversicherung – das alles wird uns bei der nächsten Konjunkturflaute einholen. Das Handwerk wartet bis jetzt vergeblich darauf, dass die Regierung endlich ihr Versprechen einlöst und mehr für die Wirtschaft tut. Die aktuellen Gesetzentwürfe zur Regulierung von Zeitarbeit und Werkverträgen sind nur abgemildert worden. Neue Dynamik sieht anders aus.
Seit Langem wird beklagt, dass zu wenig investiert wird. Was fordern Sie?
An erster Stelle steht für das Handwerk eine bessere Infrastruktur. Es ist gut, dass der Verkehrsminister bis 2030 rund 260 Milliarden Euro für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur einplant. Dabei kann es aber nicht bleiben. Wir müssen Straßen und Schienenwege schneller reparieren und ausbauen. Die vielen Staus in Ballungszentren behindern das Handwerk. Unsere Betriebe sind regional tätig und darauf angewiesen, dass sie rasch zum Kunden gelangen. Für Köln haben wir ausgerechnet, dass es die Betriebe im Schnitt jeweils 15 000 Euro pro Jahr kostet, wenn ihre Mitarbeiter im Verkehr feststecken. Und Köln ist noch nicht einmal die Stauhauptstadt, dieser unrühmliche Titel ging jetzt an Stuttgart. Genauso wichtig ist aber der schnelle Breitbandausbau. Leider wird immer noch allzu oft in alte Kupferleitungen anstatt in Glasfasertechnik investiert. Ich kenne Betriebe, die ihre Daten auf einem Stick per Auto zum Kunden schicken müssen, weil ihr Gewerbegebiet kein schnelles Internet hat.
Die große Koalition diskutiert im Moment weniger über mehr Geld für die Infrastruktur, als vielmehr über neue soziale Leistungen. Ein richtiger Akzent?
Deutschland muss die sozialen Herausforderungen durch den Flüchtlingszustrom finanzieren. Der Staat kann die Aufgaben auf Dauer nur bezahlen, wenn es mit der Wirtschaft weiter aufwärts geht und die Steuerquelle sprudelt. Dafür muss die Politik die Voraussetzungen schaffen.
Für das Handwerk ist die Debatte über die Erbschaftsteuer wichtig. Die Fraktionsführungen von Union und SPD haben ein Modell vorgelegt, das von der CSU aber nicht mitgetragen wird. Befürchten Sie eine Blockade bei der geplanten Gesetzgebung?
Das Verfassungsgericht hat dem Gesetzgeber eine Frist bis zum 30. Juni 2016 gesetzt. Bis dahin müssen wir ein verfassungsfestes Gesetz haben. Das Handwerk konnte bereits für die Betriebe wichtige Korrekturen im vorliegenden Gesetzentwurf durchsetzen. Mit den Änderungen, die die stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Koalition verhandelt haben, sind weitere wichtige Verbesserungen erreicht worden. Wir unterstützen diesen Kompromiss. Allerdings werden die Erfordernisse unserer Betriebe nicht vollständig berücksichtigt. Positiv für das Handwerk ist, dass die Flat-Tax-Modelle mit einem einheitlichen, niedrigen Steuersatz vom Tisch sind. Eine Flat Tax bei der Erbschaftsteuer würde für unsere Betriebe in der Breite zu Mehrkosten führen. Die Nutznießer eines niedrigen Einheitssteuersatzes wären große Unternehmen. Diese Variante würde dazu führen, dass viele belastet und einige wenige Großvermögen entlastet werden. Das kann kein gangbarer Weg sein.
Die CSU besteht aber auf Korrekturen. Wo sollte der Koalitionsentwurf noch geändert werden?
Das geltende Recht sieht vor, dass Betriebe bis 20 Beschäftigte Verschonungsregelungen bei der Erbschaftsteuer in Anspruch nehmen können, ohne dass sie den Erhalt der Arbeitsplätze nachweisen müssen. Nach dem ersten Entwurf des Finanzministers war vorgesehen, diese Bagatellklausel an einem bestimmten Unternehmenswert festzumachen. Wäre es dazu gekommen, hätten wir uns mit der Steuerverwaltung über Bewertungsfragen streiten müssen. Der Kompromiss sieht nun vor, dass der Nachweis über den Erhalt der Arbeitsplätze als Voraussetzung für die Verschonung künftig bei Betrieben bis zu drei Mitarbeitern unterbleibt. Angesichts der Tatsache, dass ein mittlerer Handwerksbetrieb fünf bis sechs Mitarbeiter beschäftigt, hätte ich mir hier durchaus eine höhere Mitarbeiterzahl vorstellen können. Wir plädieren aber zwingend dafür, die Obergrenze an Vollzeitäquivalenten zu bemessen. Betriebe mit flexiblen Arbeitszeitmodellen, etwa für Alleinerziehende, dürfen nicht benachteiligt werden. Das Handwerk ist von der Erbschaftsteuerreform stark betroffen. In den nächsten fünf Jahren wird fast jeder fünfte Betrieb im Handwerk übergeben.
Die Regierung diskutiert gegenwärtig auch darüber, eine Kaufprämie für Elektroautos einzuführen, um diese Antriebstechnik voranzubringen. Was hält das Handwerk von der Idee?
Wir sind der Ansicht, dass es bessere Anreize gibt als einseitige Kaufprämien. Wird ein staatlicher Zuschuss eingeführt, könnte dies rasch dazu führen, dass die Mehrkosten auf die Steuerzahler abgewälzt werden. Der Finanzminister wird immer versuchen, dafür eine Gegenfinanzierung zu finden – etwa indem die Mineralölsteuer erhöht wird. Das lehnen wir ab. Für die Unterstützung von Elektromobilität gibt es andere Möglichkeiten. Die Kommunen können jetzt schon Busspuren für Elektroautos öffnen und Elektrofahrzeugen die Nutzung von Parkverbotszonen erlauben.
Das wird bis jetzt aber in der Praxis kaum genutzt.
Steuerliche Anreize halte ich auch für vertretbar, etwa bessere Abschreibungsbedingungen für elektrische Firmen- und Dienstwagen. Das könnte die Verkäufe ankurbeln. Elektromobilität ist eine Zukunftstechnologie, aber nicht die einzige. Die Forschung auf diesem Gebiet braucht mehr Förderung. Die Politik sollte sich nicht verleiten lassen, nur eine neue Technik nach vorne zu bringen. Eine Kaufprämie ist kein probates Mittel.