Kegeln ist vom Aussterben bedroht, Sportkeglern haftet das Image ausschweifender und zechfreudiger Gesellschaftsclubs an. Der KSV Weissach behauptet sich zwar prächtig, hat aber trotzdem Zukunftssorgen.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Der Anlauf gleicht einem Ritual. Der Startpunkt ist stets derselbe, jede Bewegung tausendmal geübt, das Beugen des Körpers sowie das Ablegen der Kugel in Fleisch und Blut übergegangen. Und wenn die Kugel mit dumpfem Rollen ihren Weg auf der Bahn nimmt, wenn die Kegel kurz darauf mit einem Klackern fallen, entlädt sich die aufgestaute Anspannung. Karin Selent strahlt, sie hat alle Neune abgeräumt, zum fünften Mal in diesem Spiel. Die Sportkeglerin des KSV Weissach wird ihre Partie gewinnen, mit 566 Holz deklassiert sie die Gegnerin vom VfL Sindelfingen auf der Bahn im Strudelbachhof in Weissach. „Hätt’ ich beim Abräumen das nicht so blöd hingestellt“, sagt sie außer Atem und mit errötetem Kopf, „hätt’ ich meinen Rekord von 569 Holz gebrochen.“ Sportkegler schieben keine ruhige Kugel.

 

Am Tisch sitzt Uli Schumacher als Zuschauer, er hatte eine simple Vorstellung: Zum Kegeln geht man, trinkt fünf Weizenbiere und wirft ab und zu die Kugel. Fertig. Mittlerweile ist er Anfang 50 und wurde bekehrt vom Saulus zu Paulus; Uli tritt in Ligaspielen für die Männer des Kegelsportvereins an, Gattin Simone für die Frauen. Übers Benefizturnier wurden sie aufs Sportkegeln aufmerksam, und darauf, dass es den KSV gibt. „Ich wusste nichts über Sportkegeln“, sagt Uli; wovon er wusste sind Kegelausflüge auf Mallorca, wobei mit „alle Neune“ nicht immer ein perfekter Wurf gemeint ist.

Kegeln hat ein Imageproblem, ein existenzbedrohendes. Manche behaupten, Kegeln liege längst im Sterben, weil die Mitgliederzahlen des Deutschen Kegler und Bowlingbundes (DKB) per annum um fünf Prozent schrumpfen. Von 253 097 gemeldeten Aktiven im Jahr 2002 auf 62 300 im Jahr 2022 (darunter 10 000 Bowler). Sport- und Gesellschaftskegeln mögen verwandt sein, sie sind aber keine siamesischen Zwillinge. Sie unterscheiden sich wie die Fußball-Bundesliga von einem Freizeitkicker-Turnier. Nur steckt Kegeln im Gegensatz zu König Fußball zu sehr in der dunklen Nische, als dass der Unterschied geistiges Allgemeingut in Deutschland wäre. „Kegeln wird stets mit Trinken und Geselligkeit in Verbindung gebracht“, sagt Oswald Kruppa, einst Clubchef des KSV, „fast nie mit Sport.“ Weil im 20. Jahrhundert die vollautomatischen Bahnen meist als Anhängsel zur Gastronomie gebaut wurden, um den Wirten ein finanzielles Zubrot zu gewähren und weil der Sport so nach 1945 den Deutschen erlebbar gemacht worden war. Aber eben meist irgendwo abseits oder im dunklen Keller.

Die Mitglieder überaltern

Auch der KSV Weissach bleibt nicht verschont von der Schwindsucht, aktuell zählt der Club 67 Mitglieder, davon sind 23 aktive Spieler in drei Mannschaften. Der Vorgängerverein KSF Rutesheim schickte 2004 noch sieben Teams ins Rennen; drei Männer-, ein Frauen- sowie drei Jugendteams. Aber der KSV geht in der Mitgliederwerbung in die Vollen. Der Club bietet an der Porsche-Schule eine Kegel-AG an, er beteiligt sich am Sommerferienprogramm der Gemeinde, er ist auf dem Nikolausmarkt präsent, er veranstaltet das Strudelbach-Turnier sowie jährlich ein Benefiz-Turnier für die Olgäle-Stiftung für krebskranke Kinder. „So bin auch ich zum KSV gekommen“, erzählt die Vorsitzende Anita Wehrhausen, „zuvor war Kegeln ein Hobby, 2018 wurde ich beim Turnier angeworben.“ Dem Ehepaar Simone und Uli Schumacher erging es gleichermaßen, denn die Zeiten sind passé, als Kegeln vererbt wurde vom Vater auf den Sohn wie das bei Oswald Kruppa war. „Ich kegle seit mehr als 50 Jahren“, betont der bald 62-Jährige.

Dass Kegeln nur was für Leute ist, die einen Rentenbescheid besitzen, ist ein Vorurteil. Gut, 20 Prozent der DKB-Mitglieder sind Generation Ü 65. Zwar zählt Herbert Herbik 79 Lenze, Detlef Braun, ein zweimaliger deutscher Meister, ist schon 66 – doch das KSV-Küken Tabea Seidel ist Jahrgang 1998, Melissa Matic Jahrgang 1995, Spiro Papagiannis ist 34 Jahre alt, Michael Duppel 37 und Sportwart Julian Sattler 36. „Ich spiele seit der Jugend“, sagt Sattler, der aus Bad Cannstatt stammt, „ich bin nach Weissach gewechselt, weil sich die Bahnen in einem erstklassigen Zustand befinden.“

Hohe Kosten für die Bahnen

Dieses Plus könnte zum Verhängnis führen. Nicht nur das Image der Sportart macht dem KSV zu schaffen, auch der Betrieb der Sportstätte im Strudelbachhof, für die der Club die Kosten trägt – ein fünfstelliger Betrag im Jahr, der aus dem Beitrag von 200 Euro pro aktivem Mitglied nie gedeckt werden kann. „Die Rücklagen sind aufgebraucht, wir können die Finanzlast nicht mehr stemmen“, stöhnt Clubchefin Wehrhausen, die den zum 31. März auslaufenden Vertrag nicht verlängert hat. Sie beruft sich auf die Förderrichtlinien der Gemeinde, wonach Sportvereinen die Wettkampfstätte gratis zur Verfügung gestellt wird. „Wir befinden uns in Gesprächen mit Bürgermeister Jens Millow“, sagt die 66-Jährige. Ausgang offen.

Kegler können kämpfen, jenseits der Bahn und auf der Bahn. Die Partie der Frauen in der Oberliga gegen den VfL Sindelfingen endet 4:4, Anita Wehrhausen ärgert sich über ihre Leistung und nimmt für 449 Holz das Wort mit „Sch...“ in den Mund. „Ich kann’s besser“, betont sie. Während der dreistündigen Partie ist Alkohol – wie im Sport üblich – tabu. Danach darf gefeiert oder der Frust ertränkt werden. Das ist im Sportkegeln genauso wie im Fußball.