Die KTV Straubenhardt geht als Titelverteidiger und Favorit ins Meisterschaftsfinale in Ludwigsburg. Was an der an der Pforte zum Nordschwarzwald entstanden ist, hat vor allem mit einem Mann zu tun.

Sport: Gerhard Pfisterer (ggp)

Straubenhardt - Andere scheuen diesen großen Vergleich, sie lassen sich nicht gerne als FC Bayern München ihrer Sportart bezeichnen. Die Funktionäre der Kunstturnvereinigung Straubenhardt sind da anders, ganz anders. Sie sehen den Fußball-Rekordmeister als Vorbild und Referenzgröße an für das, was sie in dem 11 000-Einwohner-Ort an der Pforte zum Nordschwarzwald unweit von Pforzheim geschaffen haben. „Wir haben den Anspruch, der FC Bayern des Turnsports zu sein“, sagt der KTV-Präsident Jörg Gänger unumwunden. „Wir haben natürlich viele Neider in der Liga, aber das ehrt uns.“

 

Seit dem Aufstieg in die Bundesliga 2000 hat der finanzkräftige amtierende Meister viermal den Titel gewonnen (2005, 2009, 2011, 2015) und in den vergangenen zwölf Jahren nie schlechter als auf Rang drei abgeschnitten. Daran wird sich auch in diesem Jahr nichts ändern. Denn die Mannschaft um den Turnstar Marcel Nguyen hat verlustpunktfrei das große Finale um die Meisterschaft am Samstag (18 Uhr) in der Ludwigsburger MHP-Arena erreicht – und geht als Favorit in den Wettkampf gegen die TG Saar.

Der Mann, der hinter dem KTV-Erfolg steckt, heißt Horst Rapp. Der 66-Jährige, in Calw geboren und aufgewachsen, machte sich 1979 selbstständig und gründete in Straubenhardt seine eigene Firma in der Elektronikbranche. Was als Ein-Mann-Betrieb begann, wuchs zu einer Unternehmensgruppe mit 380 Mitarbeitern und Tochtergesellschaften im Ausland an. Jahresumsatz 2015: 52 Millionen Euro. Als Hauptsponsor hat Polyrack nach dem Aufstieg der KTV in die Bundesliga im Jahr 2000 einen schnellen Vorstoß an die nationale Spitze ermöglicht, heute umfasst der Sponsorenpool fast 40 Partner von verschiedenen Autohäusern und Banken bis hin zu einer Steuerkanzlei oder einer Möbelwerkstatt.

In der Straubenhardthalle drängt sich alles eng an eng

Auf „eine siebenstellige Summe“ beziffert Horst Rapp („Ich war früher Leistungsturner, auch wenn man es heute nicht mehr sieht“) seine Investitionen über die Jahre. Wobei er betont, dass ein Drittel des Jahresbudgets, das eine Viertelmillion Euro übersteigen dürfte, in die Jugendarbeit fließt. Die Nachwuchsförderung hat bei der KTV einen hohen Stellenwert. Das mit der – vor zehn Jahren auf Vereinsbetreiben gebauten – Straubenhardthalle verbundene Trainingszentrum, durch dessen Glasfront man bei schönem Wetter bis ins Elsass sieht, trägt die Prädikate DTB-Turn-Zentrum und DTB-Turntalentschule. 2011 gewannen KTV-Talente bei den deutschen Jugendmeisterschaften 16 Medaillen.

Wenn die Eigengewächse Vinzenz Haug und Aaron Wagner bei den Bundesliga-Heimwettkämpfen an die Geräte gehen und punkten, wird es fast genauso laut wie beim Publikumsmagneten Marcel Nguyen. Die Zuschauer in der etwas mehr als 1000 Zuschauer fassenden Straubenhardthalle sind ganz nah dran am Geschehen und drängen sich dicht an dicht auf der Tribüne, selbst gegen Abstiegskandidaten wird es voll. Als die KTV zum Abschluss der Hauptrunde jüngst bereits auf die TG Saar traf, hätten die Gastgeber auch doppelt so viele Tickets verkaufen können.

Die Heimwettkämpfe der Kunstturnvereinigung haben Eventcharakter für die Leute aus Straubenhardt und Umgebung. Auffällig viele Menschen, die sich in Schale geworfen haben, treffen sich dort auf ein Bier oder wahlweise auch ein Glas Cremant oder Riesling aus dem Elsass. Der Bürgermeister darf natürlich auch nicht fehlen. „Die Verantwortlichen hier engagieren sich sehr und haben etwas Tolles aufgebaut. Der Verein ist ein Vorbild für die anderen Bundesliga-Teams, wie man es machen kann“, sagt Marcel Nguyen.

Es war ein Anliegen von Horst Rapp, seine Lieblingssportart aus den muffigen Turnhallen herauszuholen und salonfähig zu machen. Der Krösus KTV Straubenhardt preschte voran, andere zogen nach. „Ich bin im Sport groß geworden, so gebe ich dem Sport etwas zurück“, sagt der 66-Jährige. „Für uns zahlt sich das auch irgendwo aus als Firma, das ist eine gute Geschichte.“ Straubenhardt ist mittlerweile ein Synoym für Turnen und nicht mehr nur als Wanderziel mit einem Barfußpfad im Wald über den Enzkreis hinaus bekannt.

Im KTV-Kader stehen fünf Olympiateilnehmer

Es hilft, dass keine herausragende Fußball- oder Handballmannschaft in der Umgebung Geldgeber oder Zuschauer abspenstig macht. „Stuttgart ist weit weg – in 30, 40 Kilometer Umkreis haben wir ein Alleinstellungsmerkmal“, sagt Jörg Gänger und kann nicht sein Vergnügen daran leugnen, dass die KTV nach dem Titelgewinn des MTV Stuttgart 2014 den Rivalen wieder überholt hat: „Wir freuen uns, dass wir als kleines Dorf die Landeshauptstadt ärgern können.“

Vor der vergangenen Saison kehrte Marcel Nguyen vom MTV Stuttgart zur KTV Straubenhardt zurück und ist die tragende Säule neben den anderen beiden deutschen Nationalturnern Andreas Bretschneider aus Chemnitz und Lukas Dauser aus Berlin. In dem mitturnenden Trainer Anton Fokin (Usbekistan) und Filip Ude (Kroatien) stehen für die Ausländerposition sogar noch zwei weitere Olympiateilnehmer im Kader, dazu kommt die Turnlegende Marian Dragulescu (29 Medaillen bei Olympia, Welt- und Europameisterschaften für Rumänien). Das ist die wohl beste KTV-Mannschaft aller Zeiten, zumindest in der Breite.

„Die KTV Straubenhardt ist etwas besser besetzt als wir, aber jeder Wettkampf fängt von null an“, sagt Eugen Spiridonov von der TG Saar, die auf den ukrainischen Bundesliga-Topscorer Oleg Wernjajew (Europameister und Olympiazweiter) setzen kann. Spiridonov, mittlerweile 34, verfolgt den Weg der Kunstturnvereinigung seit vielen Jahren. Was den Club ausmacht? „Kohle. Budget“, sagt Spiridonov. „Wenn du ein Budget hast, kannst du Turner einkaufen. Oleg kostet uns natürlich auch Kohle, aber mehr können wir uns nicht leisten. Wir versuchen, mit unseren Kräften dranzubleiben.“ Was gegen den FC Bayern des Turnens freilich alles andere als einfach ist.