Früher verpönt, feiern nach US-Präsident Obama auch die Rolling Stones einen großen Auftritt in Havanna. „Die Zeiten ändern sich“, meint Mick Jagger - ein Konzert, das anders ist als andere.

Havanna - Mick Jagger (72) ist ja auch nur zwölf jünger als Kubas Staatschef Raúl Castro. Aber wie er da in Havanna über die Bühne tänzelt, sein Hinterteil an dem einer Sängerin reibt, nötigt den Kubanern Respekt ab, zumal viele ihre alte Führung eher humorlos finden. Die Rolling Stones gibt es fast so lange wie die Revolution in Kuba - sie rocken seit 1962, als die Welt wegen der Stationierung sowjetischer Raketen auf der Insel am Rande eines Atomkrieges stand.

 

Dass sie hier noch einmal so richtig aufdrehen dürfen, gar in der Woche, wo schon US-Präsident Barack Obama mit seinem Besuch beim früheren sozialistischen Erzfeind politische Geschichte geschrieben hat, ist etwas besonders für die Stones. Das merkt man ihnen an. Unter Revolutionsführer Fidel Castro war die Musik der Briten verpönt, sie galt als dekadenter Auswuchs des Kapitalismus.

Am Anfang explodiert eine kubanische Fahne, Oldtimer fahren durch virtuelle Straßen, an lachenden Menschen vorbei. „Bienvenidos a La Habana“. Dann entern Keith Richards (Gitarre), Ron Wood (Gitarre) und Charlie Watts (Schlagzeug) die Bühne, bevor Jagger auftaucht. „Viele Jahre war es schwierig, uns hier in Kuba zu hören“, ruft Jagger auf spanisch. „Jetzt sind wir da. Die Zeiten ändern sich.“

Ganz schön heiß hier, meint Jagger ob des Karibikklimas, ein halbes Dutzend mal wechselt er das Outfit. Und berichtet, dass sie am Vorabend Rumba getanzt haben. Richards kniet immer wieder nieder, als er von der Bühne aus die jubelnden Massen sieht. Mehrere Hunderttausend sind laut Kubas Zentralorgan „Granma“ zu diesem Gratiskonzert gepilgert.

Rockhistorischer Auftritt

Der rockhistorische Auftritt, der auch tausende Briten, Deutsche und Stones-Fans aus anderen lateinamerikanischen Staaten angelockt hat, fehlte den Briten in ihrer Vita. Gerade Watts am Schlagzeug wirkt aber sichtlich angestrengt ob des Alters von 74 Jahren - zusammen kommen die vier lebenden Stones-Legenden auf staatliche 286 Jahre.

Das ruhige „Angie“, das opulente „Sympathy for the Devil“ mit Jagger im roten Plüschumhang und „Black Sugar“ dürfen nicht fehlen - und bei einer Abstimmung wurde „All down the line“ als zu spielender Song gewählt. So eine Bühne wie auf dem großen Sportfeld der Ciudad Deportiva stand noch nie in Havanna, es ist eine opulente Show mit riesigen Videoleinwänden, schnellen Schnitten, immer wieder taucht die zeitlose rausgestreckte Zunge auf, mal in Rot, mal in Gold.

Zwar gibt es Wohnungen und medizinische Versorgung in Kuba in der Regel umsonst, aber bei einem Durchschnittslohn von 20 bis 25 US-Dollar hätte sich kein normaler Kubaner so ein Konzert leisten können. Es wird nach Angaben der Stones auch mit Hilfe einer Stiftung von der Karibikinsel Curaçao finanziert, die sich für internationale Verständigung und kulturellen Austausch einsetzt.

Selfies mit rausgestreckter Zunge

Besonders beliebt auf dem Konzertgelände: Selfies mit rausgestreckter Zunge, allerdings machen die meistens die Touristen, in Kuba sind moderne Smartphones Mangelware und für die meisten unerschwinglich.

Es ist eine Antithese zum Kommerz. Keine Verkaufstände mit Essen, Getränken, Platten und T-Shirts. Die Fans haben - trotz offiziellem Alkoholverbot - Tüten-Rum der Marke Tumbao dabei, schon sechs Stunden vor Beginn strömen sie auf das Gelände. Hier gibt nur Zigarren-, keinen Marihuana-Geruch. Als kubanische Version des Dixi-Klos dienen Metallboxen, die auf Gullideckel gestellt wurden, Männer wie Frauen müssen den Toilettengang im Stehen verrichten, alles läuft direkt in die Kanalisation. Die Dächer der Plattenbauten im Umfeld sind dicht bevölkert - findige Kubaner nehmen 15 US-Dollar eintritt.

Sonst sind es die Angereisten, die das Geld mit den Stones machen. Zwei Argentinier verkaufen Aufkleber zum Kuba-Konzert, ein Dollar das Stück: „Wir finanzieren unsere Reise damit“, sagt einer. Die 22 Jahre alte Physiotherapeutin Lena Madrigal (22) erzählt: „Ich kannte bisher nur ein paar Lieder aus dem Fernsehen.“ Sie hat sich mit roter Schrift „I love the Rolling Stones“ auf das Bein geschrieben.

Auftrittsverbote für regimekritische Bands

Jorge Ravela (42) meint in Anlehnung an einen früheren Ausspruch von Papst Johannes Paul II.: „Kuba öffnet sich und die Welt öffnet sich für Kuba.“ Allerdings gibt es auch regimekritische Bands, die weiter Auftrittsverbot haben, auf die Repression geht Jagger nicht ein.

Mitte April steht der Parteikongress der kommunistischen Partei an. Da wird sich zeigen, ob der von Raúl Castro nach dem Abtritt seines Bruders Fidel verstärkte Öffnungsprozess fortgesetzt wird. Er will mehr Touristen anlocken und das US-Embargo komplett zu Fall bringen, um den Handel ausweiten und so die Staatskasse zu füllen. Zum Schluss spielen die Stones mit aller Energie die sich nach über zwei Stunden noch haben, ein Fulminantes „I can’t get no satisfaction.“ Nach dem Auftritt dürfte auch mancher Kubaner sich genau das denken. Einer meint: „Als nächstes muss Metallica kommen.“