Sie glauben, die Polizei könnte, traut sich aber manchmal nicht, weil sie sonst medial verdroschen wird?
Wir können jedenfalls jetzt schon Menschen in Abschiebehaft nehmen. Wozu brauchen wir also eine Verschärfung? Wir können, egal übrigens ob Deutscher oder Ausländer, Menschen auch wegen geringfügiger Straftaten in Untersuchungshaft nehmen, wenn sie ins Ausland abzutauchen drohen. Ich glaube aber, dass das bei Flüchtlingen auch deshalb häufig unterlassen wird, weil man sich den Vorwurf ersparen will, Asylbewerber schlecht zu behandeln. Das halte ich für fatal. Es geht uns um die Durchsetzung des Rechtsstaates gegenüber jedermann, unabhängig von Herkunft und Religion, weil alles andere Willkür ist, zur Verunsicherung beiträgt und einzig und allein die AfD stärkt.
Wie wollen Sie den Menschen noch erklären, dass die FDP nach dem Terroranschlag und den Übergriffen auf eine Frau und einen Obdachlosen in Berlin gegen eine Ausweitung der Videoüberwachung ist?
Weil die Behauptung, Videoüberwachung verhindere Straftaten, nachweisbar falsch ist. Der Brüsseler Flughafen war komplett videoüberwacht, verhindert hat das nichts. Vielleicht kann die Aufklärung bei Schlägereien auf einem Bahnsteig beschleunigt werden, aber Täter mit hoher krimineller Energie werden sich verkleiden, wenn sie nicht, wie manche Terroristen, ohnehin erkannt werden wollen. Es gibt bis heute keinen einzigen Fall, bei dem es ausschließlich durch Videoüberwachung gelungen wäre, eine Straftat gerichtsfest aufzuklären. Es spricht deshalb zwar nichts gegen Videoüberwachung in Zügen, Bahnhöfen oder Flughäfen. Aber eine flächendeckende Überwachung hilft niemandem, verlagert nur die Kriminalitätsschwerpunkte und schränkt Grundrechte massiv ein.
Was ist vom Sicherheitskonzept des Bundesinnenministers zu halten?
Wenn sich Thomas de Maizière so sehr um sinnvolle Vorschläge zur Beseitigung behördlicher Umsetzungsdefizite bemühen würde, wie er sich um PR-Inszenierungen kümmert, wären wir einen großen Schritt weiter. Das, was wir jetzt von ihm lesen konnten, sind jedenfalls weder neue, noch intelligente Ansätze. Indem er sich vor allem darum bemüht, den Föderalismus als Makel der deutschen Sicherheitsstruktur zu definieren, ohne die eigenen Fehler ehrlich zu benennen, zeigt er, dass er in Wahrheit mit seiner Aufgabe überfordert ist.
Wie lässt sich dann die Sicherheitslage verbessern? Durch Nichtstun?
Von wegen. Wir brauchen deutlich mehr Personal und vor allem Menschen mit Analysefähigkeiten, die sich rund um die Uhr mit dem Gedanken beschäftigen, was ein potenzielles Anschlagsziel sein könnte. Ich wundere mich schon, weshalb man nach dem Anschlag in Nizza ungehindert mit einem Lastwagen auf den Berliner Weihnachtsmarkt gelangen konnte. Das wäre mit relativ einfachen Maßnahmen zu verhindern gewesen, die ja danach auch ergriffen wurden. Der Staat hat im Übrigen schon jetzt alle Möglichkeiten, soziale Netzwerke, Telefone oder Mailverkehr zu überwachen, wenn er auf so genannte Gefährder stößt. Von den 17 Attentätern in Paris und Brüssel waren 15 polizeilich bekannt und als Gefährder eingestuft. Auch Herr Amri, der Berliner Attentäter, hätte nie so in Deutschland umherreisen dürfen, wie er es getan hat. Man hätte ihn schon in Nordrhein-Westfalen festsetzen können. Er wurde überwacht, gegen ihn lief ein Ermittlungsverfahren, er war ausreisepflichtig. Was will man denn eigentlich noch mehr? Das Arsenal der rechtsstaatlichen Möglichkeit hätte locker ausgereicht, ihn an der Ausführung dieser grauenhaften Tat zu hindern. Man hätte es nur anwenden müssen. Von möglichen Fehlern soll nun abgelenkt werden – durch eine Monsterdebatte über neue gesetzliche Möglichkeiten.
Kommen wir zu Ihren Zukunftsaussichten. Ist, um mit Franz Müntefering zu sprechen, „Opposition Mist“?
Opposition kann jedenfalls nie das Ziel einer Partei der bürgerlichen Mitte sein und schon gar nicht das Ziel der Freien Demokraten. Wir wollen gestalten. Alles andere wird von denen, die uns unterstützen, nicht verstanden. Wer sollte uns denn wählen, wenn wir nur die Opposition anstreben? Sowas können Protestparteien wie die Linke oder die AfD machen. Wir nicht.
Mit wem würden Sie am liebsten in Berlin regieren?
Numerisch wird es wohl nicht reichen für eine Ampel. Es könnte auf Jamaika, also ein Bündnis von Union, FDP und Grünen hinauslaufen. Aber das wäre gewiss auch kein Selbstläufer.
Aber auch nicht ausgeschlossen…
Christian Lindner hat zu Recht gesagt, diese große Koalition der vielen vertanen Chancen sei die schlechteste aller politischen Konstellationen, die Deutschland je hatte. Wir können deshalb doch nicht sagen, dass wir die große Koalition ablösen wollen und anschließend führen wir sie wieder herbei, in dem wir uns verweigern. Das wäre absurd.
Sie wetten gern. Was springt für die FDP am Wahlabend bei der Bundestagswahl heraus?
Zunächst konzentrieren wir uns auf die kommenden Landtagswahlen: Im Saarland schaffen wir den Einzug in den Landtag. In Schleswig-Holstein bekommen wir zwischen zwölf und 14 Prozent. Auch Christian Lindner wird in Nordrhein-Westfalen auf seine 8,6 Prozent noch was drauf packen. Und im Bund landen wir eher bei neun als bei sechs Prozent. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.bundestagsliste-der-suedwest-fdp- grummeln-ueber-die-kungelei.84a0ae63-48da-4855-8233-4559a8f08837 http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.fdp-auszug-aus-dem-bundestag-nach-unten .f60209c7-91cb-485d-81ed-898543f7aea3.html