Kubus Sparda-Kunstpreis im Kunstmuseum Stuttgart Alle Macht der Zeichnung?
Zeichnung ist das Thema des diesjährigen Kubus Sparda-Kunstpreis – und die Nominierten Thomas Müller, Gabriela Oberkofler und Jürgen Palmtag nehmen den Rahmen sehr ernst.
Zeichnung ist das Thema des diesjährigen Kubus Sparda-Kunstpreis – und die Nominierten Thomas Müller, Gabriela Oberkofler und Jürgen Palmtag nehmen den Rahmen sehr ernst.
Leicht erhöht hängt die Rückansicht einer schreitenden Frau im dritten Geschoss des Kunstmuseum-Kubus am Stuttgarter Schlossplatz. Es ist eine sanfte, aber unübersehbare Schaut-her-Geste. Schaut her! – da ist sie doch, die Szenerie, mit der Gabriela Oberkofler bekannt geworden ist. Mit der Figur einer Frau, die ihr Dorf in Südtirol auf dem Rücken trägt, mit der Figur einer Frau, die sich alleine durchschlägt und doch allem und allen nahe ist. Schemenhaft fast ist sie jetzt nur zu sehen – entschwindet die Wanderin Oberkofler? Und wenn – welche künstlerische Identität zählt für die Künstlerin heute?
Es ist eine Stärke des Modells Kubus Sparda-Kunstpreis, dass jeweils drei nominierte Künstlerinnen und Künstler jeweils eine ganze Etage im Kubus des Kunstmuseums Stuttgart bespielen und eine eigene Szenerie entwickeln können. Die Anforderung ist zugleich hoch und nicht ohne Risiko: Es gilt, die Spannung zu halten, im besten Fall die Wahrnehmung des Publikums immer weiter zu steigern.
Alle zwei Jahre wird – als weithin herausragende Partnerschaft zwischen dem Kunstmuseum Stuttgart und der Sparda-Bank Baden-Württemberg – der mit 20 000 Euro dotierte Kubus Sparda-Kunstpreis vergeben. Alle zwei Jahre heißt es, ein von einer Jury gesetztes Thema anzunehmen – in diesem Jahr: Zeichnung. Ein Echo auch auf die traditionell starke Position der Zeichnung in Stuttgart wie auch auf das stetig gewachsene Selbstbewusstsein jüngerer Zeichnerinnen und Zeichner nicht zuletzt unter der Flagge der Verbindung Linienscharen? So oder so: In Stuttgart spiegelt das Thema keine Nische, sondern eine Hauptbühne der Kunst.
Jürgen Palmtag im ersten Geschoss und Thomas Müller im zweiten Geschoss komplettieren mit Gabriela Oberkofler das diesjährige Kubus-Trio. Alle drei legen einen nahezu perfekten Auftritt hin. Zu perfekt gar? Palmtag und Müller nutzen ihren jeweils ersten Raum zur Klärung ihrer Position – betont disziplinübergreifend Palmtag, betont Zeichnung als Äußerung auslotend, Müller. Das könnte im sich über zwei Stockwerke ziehenden Oberlichtsaal für gehörig Energie sorgen. Doch mehr als eine zufällige Begegnung entwickelt sich nicht.
Dafür explodiert die Bildwelt von Thomas Müller nach der Oberlichtsaal-Brücke fast. Mit aller Kraft geht es ins unendliche Linienbündel summierende, fassende, aber auch zurückweisende Großformat. Bis hin zu einem körperhaften Nachtblau-Ganzen, das Zeichnung Malerei werden lässt und durch ein (eincollagiertes) Bild im Bild weitere Äußerungstüren öffnet. Thomas Müller, 1959 in Frankfurt geboren und Absolvent einst der Stuttgarter Kunstakademie, wagt hier viel – und gewinnt.
Jürgen Palmtag legt von Beginn an ein hohes Tempo vor. Das Spiel, bildnerische Verantwortung abzugeben und dann mit Fotografie, Film(still), Malerei und Zeichnung gegenzuarbeiten, sorgt für optische Frische. Hinzu kommen in senfgelbe, blasslila oder rote Farbräume getauchte Worte und Sätze, die sich geschrieben wie gesprochen selbstständig machen. Einer der schönsten: „Selbst wenn wir uns nie wiedersehen, ist das noch zu früh.“ Palmtag gibt bildnerische Verantwortung ab, taucht parallel in verschiedenen Medien in die Vielstimmigkeit – ist damit ganz auf der Höhe der Zeit und doch darin eine Spur zu eingeübt.
Und Gabriela Oberkofler? Sie hat sich im dritten Obergeschoss für die Weite entschieden. Keine Zwischenwand stört den Durchblick. Ein Raum als begehbare Installation – mit einem Totholz-Geviert im Zentrum, das eigentümlich bekannt erscheint. An den Wänden „feingliedrige Zeichnungen zu Motiven aus Flora und Fauna“, wie es das Kunstmuseum formuliert. Der Glaube an den großen Wurf liest sich anders. Dabei ist es Oberkofler ernst mit ihrer Auseinandersetzung mit zahllosen Pflanzenarten. In Südtirol gründete sie 2022 das „Institut für alternative Landwirtschaft, zeitgenössische Kunst und Leben in der Peripherie“, in Stuttgart inszenierte sie eine Alm unter eben dieser Flagge.
Im Kunstmuseum gerät solche Vielstimmigkeit unter die Räder. Es stimmt alles in diesem Raum, feinstens sind auch Details in den auf drei Wänden meist großformatigen Farbzeichnungen ausgearbeitet. Letztlich Überraschendes aber fehlt.
Die diesjährige Schau zum Kubus Sparda-Kunstpreis (erarbeitet von Kunstmuseums-Kuratorin Eva-Marina Froitzheim) präsentiert Thomas Müller, Gabriela Oberkofler und Jürgen Palmtag auf der Höhe ihres Schaffens. Sie zeigen sich auf je eigenem Weg und haben jeweils die Perfektion des unterstellten Chaos, die Perfektion des Zeichnungsfeinsinns beziehungsweise die Perfektion eines imaginären Dialogs von Mensch und Natur im Blick. Und immer wieder blitzt das Abenteuer Kunst auf, für das Künstlerinnen und Künstler wie auch Publikum alles zu geben bereit sind. Reicht das?
Das Format Kubus Sparda-Kunstpreis bietet Künstlerinnen und Künstlern enorme Chancen. Und das Thema Zeichnung ist eine Steilvorlage, eingeübte Wege zu verlassen. Doch die diesjährigen Nominierten nehmen den Rahmen überraschend ernst. Wem aber, wenn nicht Müller, Oberkofler und Palmtag wäre man auf einem mit dem gleichen Ernst eingeschlagenen Weg des Experiments gefolgt?
Kubus Sparda-Kunstpreis
Der gemeinsam von der Sparda-Bank Baden-Württemberg und dem Kunstmuseum Stuttgart ins Leben gerufene Kunstpreis „Kubus“ wird 2024 zum sechsten Mal vergeben. Die Auszeichnung ist mit 20 000 Euro dotiert und würdigt eine herausragende künstlerische Leistung ungeachtet des Alters der Kunstschaffenden. Voraussetzung für eine Nominierung ist ein biografischer Bezug zum Land Baden-Württemberg. Neben dem Preis der Jury wird ein von der Sparda-Bank BadenWürttemberg ausgelobter Publikumspreis in Höhe von 5000 Euro verliehen.
Vergabe
Die Preisträgerin/der Preisträger wird Anfang August bekannt gegeben.
Die Ausstellung
Nominiert sind in diesem Jahr – zum Thema Zeichnung – Thomas Müller, Gabriela Oberkofler und Jürgen Palmtag. Zu sehen sind ihre Arbeiten bis zum 25. August im Kubus des Kunstmuseums Stuttgart (Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Freitag 10 bis 21 Uhr). Der Eintritt kostet (inklusive Sammlung) 11 Euro (ermäßigt 8 Euro). Ein Ticket für 5 Euro gibt es eine Stunde vor Schließung der Ausstellung. Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren haben freien Eintritt.