Es ist Schlupftag, ein gelbes Gewusel und Gepiepse in den Plastikkästen, wie flauschige Teppiche liegen die Kleinen da, dazwischen Schalen und Federn. „Das ist ihr erstes Tageslicht“, sagt Hockenberger und holt eine Charge Küken aus dem wohltemperierten Brutkasten. Die Hälfte von ihnen wird noch an diesem Morgen von Herrn Bae aussortiert. „Es gibt eine gute Lösung, um das Töten zu stoppen“, sagt Hockenberger wenig später bei einer Tasse Kaffee und einem belegten Brötchen im Pausenraum. Er kommt in Fahrt, während er erklärt, dass es mehr brauche als ministeriale Verbote, die das tödliche Geschäft ins Ausland abdrängten – nämliche clevere Konzepte und aufgeklärte Kunden. „Wenn jeder Verbraucher bereit wäre, pro Ei drei bis vier Cent mehr zu zahlen, könnten wir alle Gockel in Deutschland mästen.“

 

Bei der Rettung der Hähne macht Hockenberger begeistert mit: von den 1,1 Millionen männlichen Küken, die in der Brüterei im Jahr schlüpfen, dürfen 60 000 auf Biohöfen groß und halbwegs fett werden. Bruderhahn Initiative Deutschland oder Stolzer Gockel heißen die Zusammenschlüsse von Ökobauern, Großhändlern und Vermarktern, die auf ein simples Prinzip setzen: die Hennen mit ihren vergleichsweise teuren Eiern finanzieren das längere Leben ihrer Brüder. Eine Quersubvention, die die ruinös lange Mastdauer der Hähne von 22 Wochen bezahlbar macht. Zumindest halbwegs: denn so ein Kilo Demeter-Gockel kostet gut 17 Euro.

Die Österreicher könnten Vorbild für Deutschland sein

Die Österreicher – „ein ziemlich überschaubarer Markt“ – seien gerade dabei, die Idee landesweit umzusetzen, lobt Hockenberger und wünscht sich das gleiche Modell auch für Deutschland. Bei den Nachbarn hätten sich die zwei großen Brütereien, der Biodachverband und der Lebensmitteleinzelhandel darauf geeinigt, das Töten im Biosektor bis 2017 zu beenden. Die weiblichen Küken der neuen Züchtung Sandy sollen Eier legen, die Hähne werden gemästet. Die Kosten trägt auch hier der Kunde, die Bioware hat ihren Preis.

Um den Ort zu finden, wo Hühner glücklich leben und dabei auch noch wissenschaftlich begleitet werden, geht es in den Bodenseenebel hinein. Der hängt schon seit Tagen über dem Demeter-Hofgut Rengoldshausen bei Überlingen, und Inga Günther würde ihn gerne wegschieben, wenn sie könnte. Doch ihre Kräfte nutzt die 28-jährige Ökolandwirtin anders: Sie legt sich mit den ganz Großen in der Geflügelbranche an, ärgert sich, dass Giganten wie Lohmann in Cuxhaven die Legehennenzucht dominieren und die Bedürfnisse der Kleinen ignorieren. Trotzdem oder gerade deshalb betreibt Günther eine ökologische Geflügelzucht, eine Nische in Deutschland, und schwört auf ihr Zweinutzungshuhn. Das rennt auf schieferblauen Beinen über eine idyllische Wiese, ist ziemlich drall und kommt ursprünglich aus Frankreich. Die weißen Bresse-Gauloise könnten beides, versichert Günther: „ordentlich Eier legen und einen guten Sonntagsbraten abgeben“.

Die Gockel heißen Darwin, Don oder Bosco

Die Suche nach den besten Tieren – die Grundlage einer jeden Zucht – ist eine zeitaufwendige Handarbeit. Inga Günther klappert mit Küchenwaage und Klemmbrett die mobilen Hühnerställe ab, in denen jeweils eine Gruppe Hennen mit ihrem Hahn wohnt. Die Gockel heißen Darwin, Don oder Bosco und sind von Weitem zu hören. Sommers werden die Ställe auf saftige Kleewiesen gezogen, im Winter stehen sie auf dem Hofgut gleich neben dem Waldorfkindergarten und nur drei Minuten von Günthers Häuschen entfernt. „Das ist schön groß“, sagt Günther und holt vorsichtig ein Ei aus einem Fallnest, direkt unter dem Bauch einer Henne hervor. Eine Holzklappe verhindert, dass die Glucke alleine aus dem Verschlag herauskommt.

Die Politik will das stoppen. „Mein Ziel ist, dass das Kükenschreddern 2017 aufhört“ hat sich Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt vorgenommen und reichlich Fördergelder lockergemacht, damit das Geschlecht des Kükens schon im Ei bestimmt werden kann. An der Universität Leipzig wird daran geforscht, doch noch ist die Methode nicht praxisreif und der Zeitplan des CSU-Ministers äußerst ambitioniert. Wesentlich rigoroser ging Johannes Remmel, der grüne Landwirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen, die Sache an. „Tiere sind keine Abfallprodukte landwirtschaftlicher Produktionsprozesse“, kritisierte er und wollte als erstes Bundesland den Brütereien das massenhafte Töten von Eintagsküken verbieten. Ein gut gemeinter, aber vergeblicher Vorstoß. Die Brütereien klagten und bekamen vom Verwaltungsgericht Minden recht. Nun versucht es Remmel über den Bundesrat. Auf sein Drängen hin wurde im September in der Länderkammer ein Gesetzentwurf verabschiedet, der in den Bundestag eingebracht werden soll und auf eine Änderung im Grundgesetz zielt. Dort soll das Töten von Tieren aus rein ökonomischen Gründen untersagt werden.

Die getöteten Küken werden verfüttert

Das mit dem Gas mache keiner gerne, gibt Werner Hockenberger, der Chef der kleinen Eppinger Brüterei, unumwunden zu. Er wäre froh, wenn es anders ginge. Immerhin werde jedes getötete Tier gebraucht, versichert er – als Futter für Greifvögel oder Reptilien. „Da gibt es bundesweit zwei, drei Großhändler, die die tiefgefrorenen Küken sattelzugweise vermarkten.“ Den Betrieb, eine unauffällige Halle in einem Industriegebiet, haben seine Eltern gegründet. Das Geschäft mit den Eiern kennt der 57-jährige Familienvater mit dem gemütlichen Backenbart von seiner Jugend an und hat kein Problem mit Kameras und neugierigen Fragen zu den Abläufen in seiner Firma.

Vor einigen Jahren hat er auf Bio umgestellt, „als Erster in Deutschland“, wie er stolz erzählt. Er bekommt Eier aus Höfen am Niederrhein und in Ostwestfalen geliefert, die dann bei ihm ausgebrütet werden. „Hier ist die Glucke“, zeigt er auf einen raumhohen roten Schrank, die Vorbrutmaschine, in der alles vollautomatisch läuft. Das stündliche Kippen der Eier, damit der Embryo nicht anklebt. Das An und Aus der Lichtschlangen, auch die Henne verlässt gelegentlich ihr Ei, um zu fressen, dann wird es hell im Nest.

Es gibt eine gute Lösung, um das Töten zu stoppen

Es ist Schlupftag, ein gelbes Gewusel und Gepiepse in den Plastikkästen, wie flauschige Teppiche liegen die Kleinen da, dazwischen Schalen und Federn. „Das ist ihr erstes Tageslicht“, sagt Hockenberger und holt eine Charge Küken aus dem wohltemperierten Brutkasten. Die Hälfte von ihnen wird noch an diesem Morgen von Herrn Bae aussortiert. „Es gibt eine gute Lösung, um das Töten zu stoppen“, sagt Hockenberger wenig später bei einer Tasse Kaffee und einem belegten Brötchen im Pausenraum. Er kommt in Fahrt, während er erklärt, dass es mehr brauche als ministeriale Verbote, die das tödliche Geschäft ins Ausland abdrängten – nämliche clevere Konzepte und aufgeklärte Kunden. „Wenn jeder Verbraucher bereit wäre, pro Ei drei bis vier Cent mehr zu zahlen, könnten wir alle Gockel in Deutschland mästen.“

Bei der Rettung der Hähne macht Hockenberger begeistert mit: von den 1,1 Millionen männlichen Küken, die in der Brüterei im Jahr schlüpfen, dürfen 60 000 auf Biohöfen groß und halbwegs fett werden. Bruderhahn Initiative Deutschland oder Stolzer Gockel heißen die Zusammenschlüsse von Ökobauern, Großhändlern und Vermarktern, die auf ein simples Prinzip setzen: die Hennen mit ihren vergleichsweise teuren Eiern finanzieren das längere Leben ihrer Brüder. Eine Quersubvention, die die ruinös lange Mastdauer der Hähne von 22 Wochen bezahlbar macht. Zumindest halbwegs: denn so ein Kilo Demeter-Gockel kostet gut 17 Euro.

Die Österreicher könnten Vorbild für Deutschland sein

Die Österreicher – „ein ziemlich überschaubarer Markt“ – seien gerade dabei, die Idee landesweit umzusetzen, lobt Hockenberger und wünscht sich das gleiche Modell auch für Deutschland. Bei den Nachbarn hätten sich die zwei großen Brütereien, der Biodachverband und der Lebensmitteleinzelhandel darauf geeinigt, das Töten im Biosektor bis 2017 zu beenden. Die weiblichen Küken der neuen Züchtung Sandy sollen Eier legen, die Hähne werden gemästet. Die Kosten trägt auch hier der Kunde, die Bioware hat ihren Preis.

Um den Ort zu finden, wo Hühner glücklich leben und dabei auch noch wissenschaftlich begleitet werden, geht es in den Bodenseenebel hinein. Der hängt schon seit Tagen über dem Demeter-Hofgut Rengoldshausen bei Überlingen, und Inga Günther würde ihn gerne wegschieben, wenn sie könnte. Doch ihre Kräfte nutzt die 28-jährige Ökolandwirtin anders: Sie legt sich mit den ganz Großen in der Geflügelbranche an, ärgert sich, dass Giganten wie Lohmann in Cuxhaven die Legehennenzucht dominieren und die Bedürfnisse der Kleinen ignorieren. Trotzdem oder gerade deshalb betreibt Günther eine ökologische Geflügelzucht, eine Nische in Deutschland, und schwört auf ihr Zweinutzungshuhn. Das rennt auf schieferblauen Beinen über eine idyllische Wiese, ist ziemlich drall und kommt ursprünglich aus Frankreich. Die weißen Bresse-Gauloise könnten beides, versichert Günther: „ordentlich Eier legen und einen guten Sonntagsbraten abgeben“.

Die Gockel heißen Darwin, Don oder Bosco

Die Suche nach den besten Tieren – die Grundlage einer jeden Zucht – ist eine zeitaufwendige Handarbeit. Inga Günther klappert mit Küchenwaage und Klemmbrett die mobilen Hühnerställe ab, in denen jeweils eine Gruppe Hennen mit ihrem Hahn wohnt. Die Gockel heißen Darwin, Don oder Bosco und sind von Weitem zu hören. Sommers werden die Ställe auf saftige Kleewiesen gezogen, im Winter stehen sie auf dem Hofgut gleich neben dem Waldorfkindergarten und nur drei Minuten von Günthers Häuschen entfernt. „Das ist schön groß“, sagt Günther und holt vorsichtig ein Ei aus einem Fallnest, direkt unter dem Bauch einer Henne hervor. Eine Holzklappe verhindert, dass die Glucke alleine aus dem Verschlag herauskommt.

Alle zwei Stunden wird jedes Nest kontrolliert, jedes Ei gewogen und einer Henne zugeordnet – die sind erkennbar an einer Alumarke am Flügel. Viele Eier und eine konstante Legeleistung, das sind die Kriterien, nach denen Günther die Tiere auswählt und an Biohöfe weiterverkauft. Ihre Kunden wollen hoftaugliche Alternativen zu dem Angebot der Marktführer, sie wollen weg von den auf Leistung getrimmten Rassen, die nur eins richtig können: Eier legen oder schnell wachsen.

Auf 180 Eier bringen es die Bresse-Gauloise-Hühner im Jahr, Günther hofft, dass es 220 werden. „Das dauert“, sagt, „so 15 Jahre muss man rechnen.“ Ein Drittel davon hat sie hinter sich. „Ich will mitbestimmen, wie in Deutschland gezüchtet wird“, sagt Günther und marschiert in Jeans und Gummistiefeln zum Stall mit den vor wenigen Stunden geschlüpften Küken. „Wir kommen einfach mit der Genetik der hochspezialisierten Tiere nicht zurecht“, ärgert sie sich und will den Hähnen füttern, was auf dem Hof abfällt: Schrot, Molke, die kleinen Kartoffeln, die sich nicht vermarkten lassen. Eben nicht das Komplettfutter, auf das Lohmann und Co. setzen und das zugekauft werden muss.

Antibiotika hat Inga Günther bisher nicht eingesetzt, das brauchte sie nicht, ihre Tiere strotzen vor Gesundheit. Sie päppelt die Küken im selbst gezimmerten Holzstall mit Wermuttee. „Das stärkt die Abwehrkräfte, das ist gut für den Magen-Darm-Trakt.“ Den Schwächeren hilft sie beim Trinken, läuft strümpfig durchs locker geschichtete Stroh und säubert die roten Stülptränken. Unter den Wärmelampen sind Hähne und Hennen vereint, beide dürfen leben.

Als Hühnerkennerin ist Günther längst über die Region hinaus bekannt, erhält Vereins-, Stiftungs-, Forschungsgelder und darf sich als Geschäftsführerin der gemeinnützigen Ökologischen Tierzucht gGmbH mit mehr Papierkram beschäftigen, als ihr lieb ist. „Zurzeit sitze ich zu oft im Büro“, klagt Günther und dreht sich zum Feierabend vor dem Hofladen noch eine Zigarette.

Der Nebel geht nahtlos in Dunkelheit über, die Hähne sind still geworden. „Was ich mache, ist mehr Forschung als Produktion“, sagt Günther, „das ist alles viel zu unwirtschaftlich, ein Drauflegegeschäft“, das ohne Sponsoren und ohne die treue Kunden des Hofes nicht möglich wäre. 60 Cent kosten die Eier, egal ob groß oder klein. „Die kommen alle weg und das Fleisch auch“, erzählt Günther und sagt den Satz, den sie schon oft gesagt hat. „So ein Ei ist eben kein Alltagsprodukt, sondern etwas ganz Besonderes. Das haben viele vergessen.“