Im Südwesten beschäftigen Äußerungen auf sozialen Netzwerken wie Facebook immer häufiger die Arbeitsgerichte. Falsche Krankmeldungen und Beleidigungen sind die häufigsten Gründe für Kündigungen.

Geld/Arbeit: Daniel Gräfe (dag)

Stuttgart - Auch Ulrich Hensinger, Richter und Pressesprecher des Landesarbeitsgerichts in Stuttgart, musste sich erst an die neue Beweise-Welt gewöhnen: Statt Zeugen aus Fleisch und Blut werden im Gerichtssaal immer häufiger die Nachrichten in den sozialen Netzwerken aufgerufen. Dann erscheint zum Beispiel das Bildschirmfoto eines Eintrags auf Facebook als Beweismittel für eine Beleidigung. Oder Smartphones werden gereicht, um vermeintlich arbeitgeberfeindliche Äußerungen im Gruppenchat des Dienstes Whatsapp zu dokumentieren. „Die sozialen Netzwerke spielen vor Gericht eine immer größere Rolle – das Handy haben die Leute ja immer bei sich“, sagt Hensinger. „Die Zahl hat am Landesarbeitsgericht deutlich zugenommen.“

 

Damit liegt auch das oberste Landesgericht im Trend: Eine Umfrage dieser Zeitung ergab, dass bei sechs der neun Arbeitsgerichte in Baden-Württemberg die Zahl der Fälle im vergangenen Jahr „deutlich zugenommen“ hat, bei denen Äußerungen in sozialen Netzwerken wie Facebook zu Abmahnungen und Kündigungen führten. Das ist in Stuttgart, Reutlingen, Pforzheim Mannheim, Karlsruhe und Ulm der Fall. Nur die Arbeitsgerichte Freiburg, Heilbronn und Lörrach verzeichneten „keinen spürbaren Anstieg“.

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Obwohl die Gerichte die exakten Zahlen nicht erfassen, sind die Trends eindeutig. Demnach werden Arbeitnehmern die sozialen Netzwerke vor allem bei einer Krankmeldung zur Stolperfalle. So postete ein Produktionsarbeiter aus der Region Stuttgart auf Facebook Bilder seines Hausbaus – wobei sich der offiziell Kranke unter anderem beim Schichten der Ziegelsteine und beim Verputzen der Mauern zeigte. Gegenüber seinen Facebook-Freunden prahlte er damit, wie zügig der Hausbau vorangehe – bis der Arbeitgeber davon erfuhr und ihm kündigte.

Beleidigungen von Arbeitgeber oder Kollegen landen besonders häufig vor Gericht

Am zweithäufigsten sehen sich die Parteien vor Gericht, wenn ein Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber oder Kollegen beleidigt hat. Bekannt wurde ein Fall, bei dem ein Mitarbeiter eines Maschinenbauunternehmens in der Region Pforzheim nach einem Arbeitsunfall einen Hinweis auf seine Verletzungen auf Facebook postete. Dem Eintrag folgte eine lebendige Diskussion, in deren Verlauf der Mann seinen Vorgesetzten unter anderem als „fettes Schwein“ bezeichnete – wobei das Schwein durch ein Emoticon, also ein Stimmungsbild, symbolisiert wurde. Als der Arbeitgeber davon erfuhr, kündigte er dem Mitarbeiter fristlos. Beleidigungen in sozialen Netzwerken – auch mit Hilfe von Emoticons – seien grundsätzlich dazu geeignet, eine solche fristlose Kündigung zu rechtfertigen, entschieden die Richter des Landesarbeitsgerichts. Weil der Mitarbeiter unter anderem seit 16 Jahren im Unternehmen tätig und zuvor nicht auffällig geworden war, sei die Kündigung aber nicht verhältnismäßig gewesen. „Während das gesprochene Wort flüchtig ist, sind heute die Beleidigungen im Internet nachlesbar“, sagt Hensinger. „Ein Zeuge ist oft nicht mehr nötig.“

Besonders umstritten wie häufig sind Fälle, in denen ein Arbeitnehmer trotz ausdrücklichen Verbots während der Arbeitszeit privat im Internet surft. So wurde einem Arbeitnehmer der Region Mannheim im Rahmen einer fristlosen Kündigung unter anderem vorgeworfen, er habe trotz betrieblichen Verbots während der Arbeitstage mehrere Stunden privat im Internet gesurft. Der wiederum argumentierte, er habe sich über „YouTube- Tutorials“ in handwerklich ihm nicht bekannte Gebiete eingearbeitet, die er für seine berufliche Tätigkeit benötigte. Außerdem hatte er einige Zeit auch im Internetradio verbracht und war der Auffassung, dass es keinen Unterschied machen könne, ob man bei der Arbeit Radio aus einem Radiogerät höre – was erlaubt war – oder sich Radiosendungen aus dem Internet anhöre. Das Verfahren endete mit einem Vergleich.

Die Betriebsvereinbarungen halten mit der technischen Entwicklung nicht immer mit

Sima Faggin, Arbeitsrichterin und Pressesprecherin am Arbeitsgericht Mannheim, sieht auch deshalb zu strikt verfasste Betriebsvereinbarungen kritisch: „Die Vorschriften lauten meist, dass die Privatnutzung des Internets verboten ist – aber das ist nicht hilfreich“, sagt Faggin. „Es geht immer auch um die Verhältnismäßigkeit: Früher durfte man den Festnetzanschluss im Notfall ja auch privat nutzen. Die Vorschriften halten mit der Bedeutung der technischen Entwicklung oft nicht mit.“

Arbeitsrechtler empfehlen deshalb Betriebsvereinbarungen und Schulungen zum Umgang mit sozialen Netzwerken, um mögliche rechtliche Gefahren rechtzeitig zu erkennen. „Arbeitsrechtliche Fragen in und um die sozialen Medien haben auch deshalb stark zugenommen, weil hier die Grenze zwischen privater und geschäftlicher Kommunikation stark verschwimmt“, sagt Carsten Ulbricht, Internet-Spezialist der Stuttgarter Kanzlei Bartsch Rechtsanwälte. Auch in der Kanzlei gibt es viel mehr arbeitsrechtliche Anfragen, in denen soziale Medien eine Rolle spielen. „In der Regel geht es dabei um Äußerungen von Mitarbeitern bei Facebook und datenschutzrechtliche Fragen“, sagt Ulbricht. Dabei waren im Zusammenhang mit der Flüchtlingsdiskussion vor allem extreme politische Äußerungen von Mitarbeitern ein Thema. „Hier ist stets eine schwierige Abgrenzung zwischen der Meinungsfreiheit der Mitarbeiter und berechtigten Interessen des Unternehmens beziehungsweise der sogenannten Loyalitätspflicht der Mitarbeiter vorzunehmen.“

Privat- und Berufsleben vermischen sich immer stärker – und sorgen für Konflikte

Weil Privat- und Berufsleben sich immer stärker vermischen werden den Gerichten im Land die Fälle nicht ausgehen. „Ich rechne damit, dass die Zahl weiter steigt – auch weil die sozialen Netzwerke immer häufiger genutzt werden“, sagt Hensinger. Skurrile Blüten treiben die sozialen Medien vor Gericht schon jetzt: Immer mehr Arbeitgeber und Arbeitnehmer sprechen Kündigungen via Whatsapp aus, wie die Umfrage ergab – obwohl für Kündigungen die elektronische Form ausgeschlossen sei, wie Arbeitsrichterin Faggin betont. „Aber das zeigt, dass für manche die Wirklichkeit eine andere ist als jene, von der das Gesetz ausgeht.“