Der künftige DGB-Landeschef Nikolaus Landgraf hofft auf einen guten Kontakt zur Regierung, um das positive Verhältnis zu erweitern.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Stuttgart - Am Donnerstag hat der DGB-Landesvorsitzende Rainer Bliesener noch einmal den deutlichen Anstieg der Arbeitslosenzahlen beklagen müssen. 18,1 Prozent mehr als im Januar 2009 – das sei ein Alarmsignal. Künftig übernimmt diese traurige Pflicht sein Nachfolger: Nikolaus Landgraf. Die Wahl des 43-Jährigen auf der DGB-Landesbezirkskonferenz am kommenden Samstag ist gesichert. Der 58-jährige Bliesener kandidiert nach zwölf Jahren im Amt nicht mehr. Landgrafs Nominierung war eher eine Überraschung. Dass es ein Vertreter der kleinen Gewerkschaft Bau und nicht etwa von IG Metall oder Verdi machen soll, kommentiert er selbst kurz angebunden: "Die Findungskommission hat sich für mich entschieden", sagt Landgraf im Gespräch mit der Stuttgarter Zeitung nur.

Als politischer Kopf hat sich der Neue auf der Landesbühne bisher nicht profilieren können, weshalb er auch in der Zusammenarbeit mit der Regierung lieber auf Kontinuität setzt. Landgraf mag dazu noch nicht viel sagen, allenfalls, dass er den regelmäßigen Kontakt mit den Regierenden und Parteien pflegen werde. Er habe den Eindruck gewonnen, "dass wir bei Themen wie dem Schutzschirm für Arbeitsplätze oder der Verlängerung des Kurzarbeitergeldes ein Stück weit die Unterstützung von CDU und FDP erwarten dürfen". Mut gemacht hat ihm der vor Tagen geäußerte Satz des designierten Ministerpräsidenten Stefan Mappus: "Mit mir ist nicht zu machen, dass man zuerst bei den Schwächsten spart."

SPD-Mitglied Landgraf nimmt ihn beim Wort. Er will bei seinem Antrittsbesuch herausfinden, was Mappus konkret meint. Noch kennt er ihn nicht persönlich, hofft aber, dass der künftige Regierungschef wie bisher Günther Oettinger das Gespräch mit den Gewerkschaften sucht. "Ich gehe davon aus, dass Mappus das noch intensivieren wird – das biete auch ich an." Wie wichtig der Gewerkschaftsbund für die Landespolitik ist, ließ sich gestern am erlauchten Kreis der gut 120 Gäste ablesen, die Rainer Bliesener in Fellbach in die Altersteilzeit verabschiedeten.

Oettinger lobt Blieseners Gelassenheit


Noch-Ministerpräsident Oettinger lobte dessen "unglaubliche Gelassenheit". Bliesener bleibe fast immer ruhig und sachlich. "Doch wenn ihm mal der Kragen geplatzt ist, war es ein Notfall und Vorsicht angesagt", ergänzte CDU-Mann Oettinger, der mit dem Sozialdemokraten eine "Partnerschaft auf Abstand und mit Respekt" aufgebaut hat.

Oettinger richtete den Blick aber auch nach vorne. In seiner künftigen Rolle sehe er sich als Dienstleister, kündigte der designierte EU-Kommissar an. Seine positiven Erfahrungen mit den Gewerkschaften will er nach Brüssel mitnehmen. "Manches von der deutschen Sozialpartnerschaft muss europatauglich gemacht werden", betonte er. Der Vorsitzende des Gewerkschaftsbundes, Michael Sommer, nahm den Ball sofort auf. Oettinger habe die Zusammenarbeit der Landesregierung mit dem DGB auf ein neues Maß gehoben, befand er. In Brüssel sitze Oettinger künftig "an einer unglaublich wichtigen Stelle – Sie können sicher sein, dass ich Sie dort heimsuchen werde."

Bliesener habe sein Amt vor allem im Zuge der Agenda 2010 sehr politisch geführt, äußerte Sommer über seinen scheidenden Landeschef. Er habe Flagge gezeigt und mit dafür gesorgt, "dass die Gewerkschaften nicht in den Strudel von reiner Oppositionspolitik kommen". Der so Gepriesene verriet im Anschluss "Stolz darauf, dass wir in den zwölf Jahren meiner Amtszeit im Gewerkschaftsbund immer mit einer Stimme gesprochen haben". Denn das – so deutet er damit an – ist auf Bundesebene keineswegs selbstverständlich. Da liegen IG Metall und Verdi beispielsweise immer wieder über Kreuz.

Ein Umbau soll den DGB verschlanken


Sein Nachfolger Nikolaus Landgraf muss sich nicht nur als geschickter Moderator gegenüber der Landesregierung und im Gerangel der Einzelgewerkschaften untereinander erweisen, sondern auch den internen Umbau vorantreiben. Ende 2008 hatten die acht Gewerkschaften in Baden-Württemberg insgesamt 828721 Mitglieder. Die Zahlen von 2009 liegen noch nicht vor, doch ist vor allem wegen der Krise von einem weiteren Schwund auszugehen. Dadurch wächst der Zwang zum Sparen im Gewerkschaftsbund.

Das Kunststück ist, besser zu werden und weniger Kosten zu verursachen. Ein Umbau soll den DGB im hauptamtlichen Apparat verschlanken und an der Basis in die Offensive bringen. In allen Landkreisen und kreisfreien Städten werden Kreis- und Stadtverbände eingerichtet, die von gewählten Ehrenamtlichen repräsentiert werden. "Für mich heißt das, präsent zu sein und dabei zu helfen, dass der DGB vor Ort ein Gesicht bekommt", sagt Landgraf. Der Gewerkschaftsbund will näher ran an die Menschen, um den Aderlass in der Mitgliedschaft aufzuhalten und mehr jüngere Arbeitnehmer zu gewinnen, um den Organisationsgrad nicht weiter sinken zu lassen und mehr Arbeitgeber in den Tarif zu drängen.

"Das alles zwingt zum Handeln", betont der künftige Landeschef gegenüber der StZ. "Wir müssen uns besser in den Unternehmen verankern". Es sei notwendig, sich zu verändern, um erfolgreich zu sein. Künftig gilt mehr denn je: "Die gewerkschaftliche Musik spielt in den Betrieben – da müssen wir uns stärken." Alle Gewerkschaften machten sich Gedanken, wie sie ihre Basis – die Betriebe – festigen können. Landgraf kennt derlei Zwänge von der quasi unter Schwindsucht leidenden IG Bau. Deren Regionalleiter ist der Fliesenleger zweieinhalb Jahre gewesen, bevor er nun zum großen Karrieresprung ansetzt. Die IG Bau ist wegen der Krise am Bau seit vielen Jahren unter einem größeren Druck zum Sparen als jede andere Gewerkschaft. In Baden-Württemberg stehe der Gewerkschaftsbund finanziell noch gut da, sagt Landgraf. Doch werde der Weg kein einfacher werden.