Der Künstler Klaus Illi erinnert in der Ausstellung „Spot on!“ an einen fremdenfeindlichen Mord in Kemnat. Eine Gesprächsveranstaltung lässt die Stadt in ihrer Galerie nicht zu.

Zwei Schläge mit einem Baseballschläger treffen den schlafenden Sadri Berisha auf den Hinterkopf. Der 55-jährige Kosovo-Albaner ist sofort tot. Sein im selben Zimmer schlafender 46-jähriger Landsmann überlebt den Mordanschlag mit schweren Kopfverletzungen, arbeitsunfähig für den Rest seines Lebens. Es geschah in der Nacht auf den 8. Juli 1992 in einer Gastarbeiterunterkunft im Kemnater Industriegebiet.

 

Die beiden Bauarbeiter waren Zufallsopfer. Die Täter, sieben Neonazis, darunter zwei polizeibekannte Rädelsführer, waren auf dem Weg zu einem Flüchtlingsheim, wo sie offenbar die Bewohner attackieren wollten. Als sie an der offen stehenden Tür der Unterkunft vorbeikamen, änderten sie ihre Pläne. Vier der Verbrecher standen außen Schmiere, drei drangen ins Gebäude ein. Die Bande hatte den Abend in ihrer Ostfilderner Stammkneipe verbracht. Danach sollen sich die 20- bis 30-Jährigen in der Wohnung eines Beteiligten mit Hitler-Reden und Rechtsrock aufgeheizt haben. Die Haupttäter wurden zu langen Freiheitsstrafen verurteilt.

Die Tat ist heute nahezu vergessen. Der Ostfilderner Künstler Klaus Illi will das ändern. Seit längerem denkt er über ein Erinnerungs- und Mahnmal nach, auf seiner Homepage dokumentiert er den Fall. Als er angesprochen wurde, an der Ausstellungsreihe „Spot on!“ in der Städtische Galerie im Rahmen des Jubiläums „50 Jahre Ostfildern“ teilzunehmen, musste er über das Thema seines Beitrags nicht lange nachdenken.

Passbild des 1992 von Neonazis in Kemnat ermordeten Sadri Berisha. Foto: privat

Am 6. Juni wird Illis Ausstellung eröffnet. Doch genau die Eröffnungsveranstaltung wird zum Stein des Anstoßes. Illi schlug als Teilnehmer des öffentlichen Auftaktgesprächs den damaligen Ostfilderner Oberbürgermeister Herbert Rösch und den damaligen Grünen-Stadtrat Martin Ulmer vor. Beide sagten zu. Doch der Künstler hat weitergehende Vorstellungen. Er will näher heran an die menschlichen Folgen des ekelhaften Verbrechens, an die persönlichen, familiären, emotionalen Dimensionen, an die Frage, was es politisch bedeutet, zum Opfer von Hass und Gewalt zu werden.

Es gelang Illi, die Angehörigen Sadri Berishas im Kosovo ausfindig zu machen, namentlich Berishas Sohn Gjevdet. Er zeigte sich bereit, zur Ausstellungseröffnung zu kommen. Illi plante eine Gesprächsrunde mit Gjevdet Berisha, Vlore Kryeziu-Krug, Germanistin, Aktivistin gegen Rassismus und Tochter eines Bekannten des Ermordeten, Rösch, Ulmer und sich selbst als Künstler. Als Moderatorin sagte Mina Mangal zu, die als Kind 1992, zwei Monate nach dem Mord an Berisha, im Asylbewerberheim Baltmannsweiler von einem bis heute unbekannten Täter beschossen wurde.

Kunst? Politik?

Diese Gesprächsrunde, so Illi, sei ihm von der Stadt Ostfildern in städtischen Räumen – also der Galerie – untersagt worden. In der Galerie finde Kunst statt, das Gespräch sei aber Politik, habe die ihm mündlich mitgeteilte Begründung gelautet, sagt der Künstler und zitiert aus der auf der städtischen Homepage nachzulesenden Bewerbung der Jubiläumsausstellung: Künstlerinnen und Künstler, heißt es da, „schaffen Anlässe für den Diskurs“. Die Rede ist von „Kooperationen mit Vereinen, Gruppierungen und Gästen“, die „unterschiedliche Kontexte und Perspektiven“ einbrächten. Verbittertes Fazit des Künstlers: „In der Realität ist von diesem wohlfeil angestrebten Diskurs in meinem Fall leider gar nichts übrig geblieben.“ Illi, kein Politkünstler der Phrasen und Parolen, aber als Künstler stets auch ein politisch denkender Kopf, nimmt das Wort nicht ausdrücklich in den Mund. Doch der Sache nach erhebt er einen Zensurvorwurf gegen die Stadt Ostfildern.

Die ihre Haltung laut Stadtsprecherin Tanja Eisbrenner folgendermaßen begründet: Zum einen stehe Illis Symposium der „zeitliche Umfang“ entgegen. Die Eröffnungen der anderen „Spot On!“-Beiträge bewegten sich im Rahmen von 20 Minuten. Zum anderen gebe es „nur einen vergleichsweise geringen Bezug der konzipierten Eröffnungsveranstaltung zu den ausgestellten Werken – in künstlerischer Hinsicht“.

Grob behauen, grabsteinartig

Was der Künstler natürlich ganz anders sieht. Sein mehrteiliges Exponat besteht aus drei Baseballschlägern und drei grob behauenen, grabsteinartigen Blöcken, auf deren Vorderflächen die Worte „Sadri Berisha ermordet 8. Juli 1992“ verteilt sind. Die giebelartigen Spitzen der Steine erinnern an den Tatort, ein inzwischen verschwundenes Giebelhaus, provozieren aber auch den umgekehrten Gedanken an die physische wie psychische Unbehaustheit der sogenannten Gastarbeiter, an das immer nur Provisorische ihrer Unterkünfte. „Mord an Sadri Berisha – Memory Lost“ wollte Illi seine Arbeit ursprünglich nennen. Auch darüber gab es Diskussionen. Letztlich heißt das Werk „Sadri Berisha – Memory Lost“. Der Künstler segnete den Kompromiss „sehr gern ab“, wie er der Stadt mitteilte.

Bürgerstiftung übernimmt Kosten

Indes weist er den Vorwurf zurück, er sei sehr spät mit seinem schriftlichen Konzept ums Eck gekommen. Bereits im September 2024, lange vor dem Abgabeschluss im Februar 2025, habe er schriftlich über sein Konzept informiert. Ein weiterer städtischer Einwand – der der Reisekosten – ist Illi zufolge hinfällig: „Es war mir klar, dass dafür eine eigene Finanzierung gefunden werden muss.“ Allerdings war diese erst sehr spät gesichert – laut Illi durch die Bürgerstiftung Ostfildern. Die Gesprächsveranstaltung findet also doch statt, am Tag der Ausstellungseröffnung. Nur nicht in der Galerie, sondern im evangelischen Gemeindehaus.

Nach Querelen Doppelstart

Ausstellung
Die Ausstellungsfolge „Spot on!“ anlässlich des Jubiläums „50 Jahre Ostfildern“ dauert in der Städtischen Galerie im Stadthaus im Scharnhauser Park noch bis 24. Juni. Klaus Illis Beitrag „Sadri Berisha – Memory Lost“ ist vom 6. bis 10. Juni zu sehen.

Eröffnung
Illis Schau startet mit einer doppelten Eröffnung: Am 6. Juni findet um 18.30 Uhr in der Städtischen Galerie der offizielle Auftakt mit Ex-Oberbürgermeister Herbert Rösch, Ex-Stadtrat Martin Ulmer und Galerieleiterin Holle Nann statt. Um 20 Uhr folgt 300 Meter entfernt im evangelischen Sophie-Scholl-Gemeindehaus (Bierawaweg 2/1) die Gesprächsrunde mit Gjevdet Berisha, Vlore Kryeziu-Krug, Mina Mangal, Rösch, Ulmer und dem Künstler.