Eine Straße ist ihre Bühne – während des Corona-Lockdowns hat die Travestie-Truppe Mixity in Paris ein ganz besonderes Programm auf die Beine gestellt

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - Was tun, wenn die große Bühne plötzlich fehlt? Für Künstler bedeutet die Corona-Pandemie eine Katastrophe. Auch der Choreograf Bruno Agati saß wochenlang eingesperrt in Paris in seiner Wohnung und machte sich Gedanken über die Zukunft der Life-Performance. Das Programm seiner Truppe Mixity war von einem Tag auf den anderen abgesetzt worden, die Künstler standen vor dem Nichts. Einziger Ausblick für Bruno Agati in dieser düsteren Zeit war die schmale Straße mit den geschlossenen Bistros vor seinen Fenstern im zweiten Stock in der Rue des Abbesses im Herzen von Montmartre.

 

Die Theater in Paris sind geschlossen

Am Ende des ganz strengen Lockdowns durften die Bistros in Paris zwar wieder öffnen und ihre Gäste auf den Terrassen bedienen, doch die Theater bleiben geschlossen – da kam Bruno Agati eine Idee. Er begann eine Cabaret-Nummer zu planen, die an den offenen Fenstern seiner Wohnung aufgeführt würde. Die Abstandsregeln wären erfüllt und die Künstler könnten auftreten. „Wir mussten uns neu erfinden“, sagt der Choreograf. Sofort stellte sich aber ein Problem: Weil sein Appartement nur zwei Fenster zur Straße hat, musste er seine Nachbarin überreden, ihre Wohnung mit drei weiteren Fenstern für die Auftritte zu öffnen. Die abendfüllende Show-Nummer „Levez les Yeux !“ (Erhebt die Augen) war geboren.

Viele große Namen beleben die Show

„Es ist eine Art Corona-Version unserer aktuellen Bühnen-Show mit dem Titel „Je suis toutes les femmes“ (Ich bin alle Frauen)“, erklärt Mathieu Morel, Mitglieder der rund zwölfköpfigen Gruppe Mixity, der bei den Auftritten in die Rollen von Celine Dion und Sylvie Vartan schlüpft. Neben ihm treten noch viele andere große Namen während des Travestie-Abends an die Fenster in der Rue des Abbesses: Dalida, Michael Jackson, Freddie Mercury, Charles Aznavour, Johnny Hallyday, Céline Dion, Madonna, Amy Winehouse oder auch Rihanna.

Zwei Stunden gute Laune

Verfolgten am Anfang vor allem die Gäste in den beiden Bistros direkt gegenüber der Wohnung von Bruno Agati die Vorführung, versammeln sich inzwischen mehrere Hundert Zuschauer in der Straße. Helfer machen die Besucher regelmäßig auf die Abstandsregeln aufmerksam, verteilen Desinfektionsmittel auf die Hände und lotsen immer wieder vorbeifahrende Autos durch die Menge. Zwei Stunden lang präsentieren die Tänzer, Sänger, Comedians von Mixity eine Einlage an der anderen, Stücke zum Lachen, Nachdenken und vor allem zum Mitsingen. Die Künstler wirken wie befreit, dass sie wieder vor Publikum auftreten können, die begeisterten Zuschauer honorieren den sehr körperbetonten Einsatz der Truppe immer wieder mit tosendem Applaus.

Rückkehr zu den Wurzeln

Einer der Künstler im opulenten Pailletten-Glitzerkostüm sagt, dass es für ihn wie eine Rückkehr zu seinen eigenen Wurzeln sei. „Wir spielen hier praktisch auf der Straße.“ Ebenso archaisch wird auch die Bezahlung geregelt, immer wieder macht ein Hut die Runde, in den die Gäste großzügig Geldscheine werfen. Am Ende der ausgelassenen Show knallt zum Finale eine Konfettikanone, es regnet bunten Glitzer aus dem Nachthimmel auf die Straße und an den Fenstern stehen Dalida, Madonna und Amy Winehouse und winken zum Abschied. Ein grandios-schräger Abend, in ungewöhnlichem Ambiente, passend in diese seltsame Zeit.