Computer folgen logischen Vorgaben. Doch Forscher arbeiten nun daran, Rechnern künstliche Intuition beizubringen. Das klingt wie Science Fiction, doch in Heidelberg soll aus Fiktion Wirklichkeit werden.

Stuttgart - Einem Computer, der ein Auto durch das Verkehrschaos einer Großstadt steuert, hilft es wenig, wenn er binnen Nanosekunden die Wurzel aus 16 779 ziehen kann. Viel wichtiger wäre die Einschätzung, ob der Vordermann gleich die Spur wechselt oder der Fußgänger vorne rechts sich anschickt, die Straße zu überqueren. Umgekehrt tun sich Menschen schwer mit dem Zahlenrechnen, finden sich aber intuitiv in einer für sie zunächst unberechenbaren Umwelt zurecht. Sie erkennen bekannte Gesichter im Getümmel einer Fußgängerzone, erfahrene Ärzte haben einen sechsten Sinn dafür, was einem Patienten fehlt.

 

Wenn immer mehr Computer immer weiter in unseren Alltag eindringen, braucht es Techniken, die die anfallenden Daten auf ähnlich unscharfe und instinktive Weise verarbeiten wie Menschen. Forscher der Universitäten Heidelberg und Manchester entwickeln hierfür Computer, welche die Anatomie des Gehirn nachahmen, sogenannte neuromorphe Computer, kurz Neurocomputer. Sie sollen etwa Muster in chaotischen Daten vieler Sensoren erkennen, ähnlich wie Insekten einen komplexen Mix von Duftstoffen registrieren und je nach Duftkombination eine Narzisse oder eine Tulpe identifizieren.

Neurocomputer sind mehr als Science Fiction

Science-Fiction sind Neurocomputer nicht mehr, auch wenn sie bisher nur winzige Bruchteile der Kapazität des menschlichen Hirns erreichen. „Die Leute beginnen, Neurocomputer zu nutzen“, sagt Karlheinz Meier. Der Physiker hat mit seinem Heidelberger Team den Neurocomputer Brainscales aufgebaut. Auf diesen und den „Computerkollegen“ Spinnaker in Manchester können Forscher seit März via Internet zugreifen und Anwendungen testen. Meiers Team baut die Architektur des menschlichen Gehirns und damit die Voraussetzungen für das Lernen naturgetreu nach (siehe Kasten). Die Rechner bilden die sogenannte Neuromorphic Computing Platform des Human Brain Project, eines milliardenschweren EU-Projekts zur Erforschung des menschlichen Gehirns.

Brainscales ist etwa so groß wie ein Wohnzimmerschrank und besitzt vier Millionen künstliche Nervenzellen (Neuronen) und eine Milliarde Verbindungsstellen (Synapsen), so viele wie in vier Ameisengehirnen. Die Heidelberger Physiker haben elektrische Schaltkreise für künstliche Neuronen und Synapsen entworfen, die das Aufladen und „Überlaufen“ von Neuronen und das Stärken von Synapsen nachempfinden. Brainscales verarbeitet keine Zahlen, wie das digitale Rechner tun, die Information steckt stattdessen in physikalischen Größen wie etwa der elektrischen Spannung, die an einer künstlichen Synapse anliegt. Diese Spannung kann sich durch Lernen verändern, so dass eine Verbindung gestärkt oder geschwächt wird, ähnlich wie im echten menschlichen Gehirn.