All die langweiligen Routinesachen soll künftig die Künstliche Intelligenz übernehmen. Der Mensch könne sich endlich den schwierigen Dingen widmen. Aber wer nicht übt und wiederholt, wird daran dann scheitern, gibt Ursula Weidenfeld zu bedenken.
Auf jedem Kongress zur Künstlichen Intelligenz wird gelobt, wie viel einfacher das Leben wird, wenn all die langweiligen Routinesachen demnächst von der Künstlichen Intelligenz, der KI, gemacht werden. Die Menschen würden entlastet. Sie seien am Ende dazu bestimmt, die schwierigen und kniffligen Sachen zu lösen. Dinge, die Spaß machen und das Köpfchen fordern. So geht die schöne Erzählung. Sie könnte nicht ganz richtig sein. Denn noch kann niemand erklären, wie Menschen echt schwere Aufgaben bewältigen sollen, wenn sie die simplen ersten Schritte nicht mehr lernen mussten.
Technischer Fortschritt fängt immer klein an. Dann nimmt er Fahrt auf, kann immer mehr und kann immer komplexere Aufgaben bewältigen. Irgendwann beherrscht er seine Sache. Wenn die Maschine besser und gleichmäßiger näht als die Schneiderin, bleiben für die Fachkraft am Ende die Planung und das Design, die Einrichtung, Kontrolle und Überwachung der Maschine. Wenn der Taschenrechner schneller rechnet als Debitoren und Kreditoren, braucht man die Leute vor allem für strittige Ansprüche. Wenn der Computer sich ordentlich in fremden Sprachen ausdrücken kann, können sich Übersetzerinnen und Dolmetscher auf schwierige Texte und anspruchsvolle Konferenzen konzentrieren.
Erfahrung kommt nur durch Einüben und Wiederholen
Am Ende der Verantwortungskette steht der Mensch. Er fällt die Entscheidungen, wägt ab, diskutiert über die Moral, kontrolliert die KI. So soll es auch in Zukunft sein. Nur eine Frage wird in diesem versöhnlichen Szenario nicht beantwortet: Wie lernt der Mensch, die Zweifelsfälle zu unterscheiden? Erfahrung kann er nur durch Einüben und Wiederholen gewinnen. Von diesem Prozess aber wird er abgeschnitten, wenn er die einfachen Fragen nicht mehr beantworten muss.
Wer will noch den Posteingang von Versicherern mit eigenen Augen prüfen, wenn Maschinen die Briefe in Sekundenschnelle sortieren und an ihre Bestimmung weiterleiten können? Wer bewirbt sich, die Akten in einem Insolvenz-Prozess händisch zu flöhen? Was soll das Call-Center-Getue um Reklamationen, wenn der Computer es besser kann? Wer stumpfe Aktenberge nicht sortiert, einfache Codes nicht geschrieben, Gesellenstücke nicht gemacht, und simple Platzwunden nicht genäht hat, wird keine Senior-Beschwerdemanagerin, kein versierter Informationstechniker, keine erfahrene Operateurin. Menschen lernen, indem sie üben. Dazu müssen sie die Gelegenheit bekommen.
Ohne Berufsanfänger gibt es später auch keine erfahrenen Kollegen
Auf TikTok kneten sich tausende junger Frauen seit Wochen durch Sauerteigbatzen, weil sie lernen wollen, Brot zu backen. Immer und immer wieder sieht man sie mit ihren Teigfladen und den misslungenen Brotkrusten. Sie nehmen fünf, zehn, 15 Anläufe – solange, bis das Backwerk gelingt. Dann erst wenden sie sich der nächsten Aufgabe zu, zum Beispiel dem Kochen asiatischer Rindfleischsuppe. Die jungen Erwachsenen wissen, dass Nachmachen, Wiederholen, die Beratung und das Urteil von Gleichgesinnten entscheidend für den Erfolg sind. Auf ihren Social-Media-Kanälen wenden sie das selbstverständlich an.
Für ihre Arbeit aber wird man in Zukunft neu überlegen müssen, wie Mitarbeiterinnen und Fachkräfte die Jahre zwischen Ausbildung und Expertenstatus meistern können. Schon heute sind Einstiegspositionen besonders betroffen, wenn KI eingesetzt wird. Die Arbeit der Berufsanfänger ist nicht mehr überall nötig, für Standard-Aufgaben braucht man vermutlich schon bald keine Menschen mehr.
Das muss nicht schlimm sein, der strukturelle Mangel an Mitarbeiterinnen und Fachkräften wird viele dieser Entwicklungen abmildern. Und doch müssen Unternehmen und Verwaltungen viel mehr Aufmerksamkeit auf ihre Personal-Pipeline richten. Denn ohne Berufsanfänger wird es irgendwann auch keine erfahrenen Kollegen mehr geben. Die friedliche Koexistenz des Menschen mit KI-Anwendungen hängt von neuen Lernkonzepten ab – vor allem für die jungen Kollegen.