Fast zwei Jahre lang haben Forscher am Bodensee Assistenz-Roboter im Alltag von Altenheimen getestet. Das Ergebnis: Um Pflegekräfte zu entlasten, müssen maschinelle Helfer selbst für Routinearbeiten viel lernen.

Weiß und orange ist der neue Mitbewohner, der Anfang des Jahres 2020 in das Pflegeheim St. Marienhaus in Konstanz eingezogen ist. „Manche Bewohner haben in nur „Schwan“ genannt“, sagt Heimleiterin Bärbel Sackmann. Sein Schweizer Hersteller hat den Roboter - eine Art Greifarm mit Augen und Bildschirm auf Rädern - eigentlich „Lio“ getauft. Manche Bewohner im Caritas-Heim sprachen ihn stattdessen mit einfach „Kerle“ an. Zur Fastnacht habe er sogar ein Hütchen aufgesetzt bekommen, sagt Sackmann.

 

Fast zwei Jahre lang hat „Lio“ im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts in Konstanz und in einem Altenheim in Schaffhausen in der Schweiz gearbeitet - quasi als „Praktikant“, wie die Leiterin der Einrichtung in Schaffhausen, Judith Alder, sagt. Wissenschaftler der Uni Konstanz und der Fachhochschule Vorarlberg in Österreich wollten herausfinden, inwieweit der Assistenz-Roboter Pflegekräften eine Hilfe sein kann. Am Donnerstag stellten die Forscher und die Heimleitungen ihre Ergebnisse vor - mit einem gemischten Urteil.

Je mehr Input, desto langsamer

„“Lio“ ist noch kein zuverlässiges Schweizer Taschenmesser“, sagte die Leiterin des Forschungsprojekts von der Fachhochschule Vorarlberg, Katrin Paldán. Zwar sei ihr kein Roboter bekannt, der so viele Funktionen zuverlässig beherrsche. Doch je mehr er gelernt habe, desto langsamer sei er in der Wahrnehmung der Pflegekräfte gewesen. Zudem habe „Lio“ die Heimbewohner oft nicht verstanden, wenn die ihn im Dialekt ansprachen. Heimleiterin Alder sagte, einer ihrer größten Wünsche sei, „dass er Schwyzerdütsch lernt“.

Mit diesem Defizit sei „Lio“ nicht allein, betonte Oliver Deussen, Professor für Visual Computing an der Universität Konstanz. Gängige Programme zur Sprachanalyse würden „systematisch ältere Menschen benachteiligen“. Würden diese Sätze nicht zu Ende sagen oder im Dialekt sprechen, reagierten alle Systeme „schlechter als bei jungen, Hochdeutsch sprechenden Menschen“. Grund sei ein Mangel an Trainingsdaten mit Sprachproben älterer Menschen. Deussen sagte aber auch, dass viele Anbieter von Systemen zur Sprachanalyse das Problem erkannt hätten: „In zwei, drei Jahren wird das besser sein.“

Akzeptanz ist hoch

Weniger Schwierigkeiten als zuvor gedacht habe es bei der Akzeptanz des Roboter-Mitbewohners unter Bewohnern, Angehörigen und Pflegenden gegeben. „Er gehört einfach dazu inzwischen auf dieser Station“, sagte der Vorstand der Caritas Konstanz, Andreas Hoffmann. „Wir werden ihn sicher auf der Sympathie-Ebene vermissen“, sagte die Konstanzer Heimleiterin Sackmann. Gerade in Zeiten von Corona sei „Lio“ für die Mitarbeiter manchmal aber auch eine zusätzliche Belastung statt der erhofften Unterstützung gewesen.

Der Hersteller des Assistenz-Roboters, F&P Robotics, will diese Kritik bei der Entwicklung berücksichtigen. „Lio“ solle künftig weniger können, das dafür aber besser. „Wir wollen vier Funktionen so gut machen, dass sie wirklich Entlastung bringen“, sagte Geschäftsführer Michael Früh. Desinfektion, Erinnerung von Bewohnern zum Beispiel an Therapieangebote, Transport von Gegenständen und die Überwachung von Fluren während der Nacht stünden dabei im Fokus.

Direkte Pflege weiter in Menschenhand

Caritas-Vorstand Hoffmann betonte, er glaube, dass Assistenz-Roboter durch solche Routinearbeiten in Zukunft in Pflegeheimen Entlastung bieten könnten. „Ich wage aber nicht zu sagen, wann.“ Menschen direkt pflegen müssten aber auch künftig Menschen, betonte Hoffmann.

Ähnlich äußerte sich die Verdi-Gewerkschaftssekretärin für den Fachbereich Gesundheit in Baden-Württemberg, Yvonne Baumann. „Das aktuelle Können dieser Technik in Pflegeheimen ist doch sehr begrenzt.“ Als Konkurrenz zu Fachkräften sehe man die Technik nicht.

Immer mehr Roboter im Einsatz

Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, betonte, 70 Prozent der rund 810 000 Heimbewohner in Deutschland seien demenziell erkrankt. „Selbst wenn der Roboter bei der Spracherkennung das Level C1 oder C2 erreichen würde, käme er da an seine Grenzen. Es braucht also einen Menschen, der die Ganzheit der zu pflegenden Person wahrnimmt.“

Dennoch setzen immer mehr Heime auch in Deutschland auf die Hilfe von Assistenz-Robotern. Nach Angaben seines Herstellers ist „Lio“ schon in Einrichtungen in Hamburg, Berlin und Bamberg im Einsatz - trotz des stattlichen Kaufpreises von 120 000 bis 170 000 Euro. Weitere fünf Roboter sollen demnach bis Juli ausgeliefert werden.

Auch in Konstanz hat man an „Lio“ trotz seiner Defizite Gefallen gefunden: Für ein Kooperationsprojekt mit dem Hersteller bleibt ein „Schwan“ der neuen Generation noch eine Weile im St. Marienhaus.