Thorsten Frei oder Siegfried Kauder – wer wird CDU-Bundestagskandidat im Schwarzwald? Der Platzhirsch Kauder hat es sich mit vielen Parteifreunden verscherzt. Am Freitagabend findet die Kampfabstimmung in Bräunlingen statt.

Donaueschingen - Sie gehen sich aus dem Weg, so gut es  eben möglich ist. Am Mittwoch vergangener Woche hätte es zur direkten Konfrontation kommen sollen. In Zollhaus, einem Flecken, der zu Villingen-Schwenningen gehört, sollte das Duell stattfinden. Der Herausforderer Thorsten Frei, Oberbürgermeister von Donaueschingen, 39 Jahre alt, Jurist, katholisch, verheiratet, zwei Kinder – er kam. Doch Siegfried Kauder, der Platzhirsch, 61 Jahre alt, seit zehn Jahren für die CDU im Bundestag und Vorsitzender des Rechtsausschusses – er kniff.

 

So sehen es jedenfalls die Kritiker des Rechtsanwaltes aus Villingen. Von denen gibt es viele im Wahlkreis 285, der den Schwarzwald-Baar-Kreis und das obere Kinzigtal umfasst. Schon Mitte Juli hätte der Parlamentarier bei der Nominierungsversammlung in St. Georgen gekürt werden sollen. Doch die Delegierten hatten genug von den Eskapaden ihres Vormanns und setzten mit 156:146 Stimmen eine Vertagung durch. Nach monatelanger öffentlicher Schlammschlacht ist heute der Tag der Entscheidung gekommen. Am Abend wird in der Stadthalle von Bräunlingen die Nominierung wiederholt. Aber heute hat Kauder in Thorsten Frei einen ernsthaften Konkurrenten.

Frei ist zur Kampfkandidatur geradezu gedrängt worden. Zu viel Unmut hat sich gegen Siegfried Kauder aufgestaut. Man nimmt es ihm übel, dass er im April der langjährigen CDU-Kreisgeschäftsführerin Lucia Grießhaber Hausverbot erteilte, obwohl sie nur ihrer Nachfolgerin beim Rechenschaftsbericht helfen wollte. Er musste sich bei Grießhaber entschuldigen und kündigte gleich ihrer Nachfolgerin. Dann verlegte er das Wahlkreisbüro in seine Kanzlei, so dass der CDU Einnahmen entgingen. Später kündigte er medienwirksam einer Mitarbeiterin des Kreisbüros wie auch einem Mitarbeiter im Hauptstadtbüro – aus heiterem Himmel, wie es heißt.

Kreisverband im Chaos

Man wirft ihm vor, unnahbar, konfliktscheu und selbstherrlich zu sein. Kauder weist dies alles zurück. Seine Kritiker sind unter jenen Menschen zu suchen, die früher für ihn den Kopf hingehalten, die Wahlkreisarbeit gemacht und ihm die Wahlkämpfe gemanagt haben. Nun sieht er in ihnen Feinde. Es sind Menschen wie Marianne Schiller, seine Stellvertreterin als Kreisvorsitzende. Für sie ist er trotz allem der „Siggi“. Man komme an den Siggi nicht mehr heran, sagt sie. Schiller ist wie viele andere in der CDU entsetzt über den Mann, den sie seit Jahren unterstützt hat und der jetzt den Kreisverband ins „Chaos“ gestürzt habe. Die Partei ist in zwei unversöhnliche Lager gespalten. Nur gut, sagen manche, dass der Sieg im Wahlkreis zwischen Schwarzwald und Baar der CDU noch immer so gewiss sei wie die Tatsache, dass der Papst katholisch ist.

Der CDU-Landtagsabgeordnete Karl Rombach ist zu Kauder auf Distanz gegangen wie auch der MdB-Vorgänger Hansjörg Häfele. Ebenso die Bezirksschatzmeisterin Traudel Zimmermann, die sich fragt, wie der Mann eine weitere Legislaturperiode im Bundestag durchstehen wolle.

Ist Kauder überlastet? Er will davon nichts hören. Doch sein Arbeitspensum muss gewaltig sein. Neben dem Politikerleben führt er eine Anwaltspraxis, die die meisten Juristen schon voll auslastet. Dazu kommt eine Vielzahl an Ehrenämtern – etwa als Präsident des Oberligaclubs FC 08 Villingen und der Stadtharmonie, als Mitglied im geschäftsführenden Bundesvorstand der Opferschutzorganisation Weißer Ring und als Vorsitzender des Fördervereins der Behinderteneinrichtung Feldnermühle in Villingen.

Der Platzhirsch geht zum Gegenangriff über

Kauder, der jüngere Bruder des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, kann sich vorstellen, manches aufzugeben. Auch am CDU-Kreisvorsitz klebe er nicht. Bundestagsabgeordneter aber will er bleiben. Anspielungen auf seinen Gesundheitszustand verbittet sich der passionierte Marathonläufer. Unpässlichkeiten entschuldigt er mit einem Leiden an der Achillessehne. Wer nicht glaube, wie fit er sei, „der kann jederzeit im Marathon gegen mich antreten“.

Die Schatzmeisterin Traudel Zimmermann aber hat Zweifel. „Wir kennen uns seit 35 Jahren und haben gut zusammengearbeitet, aber in der vergangenen Zeit habe ich eine Wesensänderung bei ihm festgestellt“, bilanziert sie. „Keiner kommt mehr an ihn ran.“

Die Vorwürfe aus den eigenen Reihen ignoriert Kauder seit dem Sommer weithin. Als die Kandidatur von Frei bekannt wird, die er inszeniert nennt, schlägt er mit einer dreiseitigen Stellungnahme zum „Politmobbing“ seiner Gegner zurück. Ihnen sei jedes Mittel recht, „meine Person, das Mandat und ein hohes politische Amt“ zu beschädigen – den Vorsitz im Rechtsausschuss des Bundestages. Kauder setzt dem „Seriosität“ entgegen. Kurz vor dem Showdown legt er eine 38-seitige „Zwischenbilanz“ seiner Arbeit vor. 94 Gemeindebesuche, 128 Parteiveranstaltungen und 38 Bürgersprechstunden habe er absolviert. Selbst der Umstand, dass Kauder im Rechtsausschuss immer wieder verhindert, dass Deutschland eine 2003 unterzeichnete UN-Konvention gegen Korruption und Abgeordnetenbestechung ratifiziert, wird als Erfolgsmeldung verbucht. „Wir wollen nicht, dass der Staatsanwalt im Parlament auftaucht“, sagt Kauder zur Begründung.

Schließlich beleidigt er auch noch Erwin Teufel

Die Schlichtung, die ihm seine Gegner im Nachgang zu St. Georgen aufgenötigt haben, torpediert er nach Kräften. Als dann Erwin Teufel die Sache übernimmt, um verspieltes Vertrauen wiederherzustellen, bringt Kauder es fertig, auch den Ex-Ministerpräsidenten zu düpieren Die Mediation sei „Schwachsinn“ und von Teufel „nicht durchgeplant und durchdacht“ gewesen. In Villingen-Schwenningen wird das als Majestätsbeleidigung betrachtet. Als die Schlichtung Ende Oktober scheitert, erscheint Kauder zu der gemeinsamen Pressekonferenz in der CDU-Kreisgeschäftsstelle nicht, weil Thorsten Frei zeitgleich seine Kandidatur bekannt gibt.

Die beiden Kontrahenten gehen sich fortan weitgehend aus dem Weg. Der Abend in der Gastwirtschaft Zollhäusle soll das ändern. Doch Kauder hat keine Zeit. Er muss seinen Abgeordnetenpflichten nachkommen, lässt er seinen Sprecher verbreiten. In Berlin ist Sitzungswoche. Der Petitionsausschuss und der Rechtsausschuss tagen, eine Sachverständigenanhörung, ein Gespräch mit dem amerikanischen Vizejustizminister und die namentliche Abstimmung zum Betreuungsgeld und zur Praxisgebühr stehen an. Die Botschaft ist unüberhörbar: hier ist ein wichtiger Mann am Werk, der an einem wichtigen Ort wichtige Dinge tut. Und keiner, der auf drei zählen kann, sollte ihn jetzt oder künftig davon abhalten. „Die Uhren im Deutschen Bundestag ticken eben anders als in einem Rathaus“, schickt Kauder an die Adresse seines Herausforderers.

Thorsten Frei hat das Rathaus in Donaueschingen erst Mitte September wieder erobert. Auf die ihm eigene lässig-souveräne Weise hat er 99,2 Prozent geholt, einen Gegenkandidaten gibt es nicht. Spätestens da ist klar: Frei, der auch stellvertretender CDU-Landesvorsitzender ist, wird nicht ewig OB bleiben. Doch Bundestagskandidat zu werden, hat Frei nicht vor. Jedenfalls nicht so schnell. Mindestens die halbe Amtsperiode wolle er bleiben, wie es aus seinem Umfeld heißt. Er selbst sagt: „Unter normalen Umständen hätte ich die Entscheidung derzeit so nicht getroffen. Aber wir erleben eine CDU im Schwarzwald-Baar-Kreis, die tief zerstritten ist.“

Nach langem Überlegen sagt er Ja. „Er ist halt ein großer Zauderer“, klagt ein Insider. Bei wichtigen Entscheidungen gehe er lieber auf Nummer sicher. Viele zweifeln daher, ob Frei das Zeug für die ganz großen Ämter hat. Und ob es gegen Siegfried Kauder reichen wird.