Ratzer Records Stuttgart Wo Generationen von Musikfans einkauften

Brigitte und Karl-Heinz Ratzer in ihrem Plattenladen „Ratzer Records“ Foto: Lichtgut/Christoph Schmidt

Karl-Heinz und Brigitte Ratzer haben mehr als 40 Jahre lang in Stuttgart Schallplatten verkauft. Nun verabschieden sie sich. Was wird aus „Ratzer Records“?

Da hängt noch Led Zeppelin, schwebt der Nirvana-Engel. „Das Bild der White Stripes haben wir bekommen, als wir den Laden im Leonhardsviertel hatten“, sagt Karl-Heinz Ratzer. „Es hing über unserem Chesterfield-Sofa. Das Label hat nur zwanzig Stück anfertigen lassen. Es ist eine schöne Erinnerung.“ Erinnerungen gibt es jede Menge, im Ladengeschäft von Ratzer Records, seit zehn Jahren nun in der Hauptstätter Straße 154. Sie werden bleiben – „Die Dinge“, sagt Karl-Heinz Ratzer sehr entschieden, „gehören hierher.“ Er selbst aber wird gehen. Nach 40 Jahren sagen der Schallplattenhändler und seine Frau Brigitte ade.

 

Generationen Stuttgarter Musikfans kauften ein bei Ratzer. Hier traf man sich um zu lauschen und sich auszutauschen. Hier erlebte man den Wandel der Musikszene und überlebte etliche Trends. Hier schlug für viele Stuttgarts Herz aus Vinyl. Ratzer Records besitzen eine große Gemeinde. „Wir hatten tolle Kunden“, sagt Brigitte Ratzer. „Ohne unser Stammklientel wäre der Laden nicht über die Runden gekommen.“

„Schallplatten? Damit wollt ihr euer Geld verdienen?“

Kennengelernt hat sich das Paar noch zu jener Zeit, als Karl-Heinz Ratzer die Filiale der Kette „Govi Schallplatten“ am kleinen Schlossplatz leitete. „Govi“ wurde 1983 von WEA, einer Tochtergesellschaft von Warner Music übernommen. „Das hieß: Entweder ich gehe nach Hamburg, oder ich mache mich selbstständig.“ Eine Frage war es nicht wirklich: „Hier in Stuttgart ist ja auch mein Verein“, sagt Ratzer. „Mit dem HSV hätte ich mich kaum anfreunden können.“

Manch einer schüttelte den Kopf. Auch der bayrische Hausmeister, der den leer stehenden Laden in der Paulinenstraße aufschloss, winkte ab: „Schallplatten? Damit wollt ihr euer Geld verdienen? Vergiss es!“ 13 Jahre später verabschiedete sich Ratzer, zog weiter in die Paulinenstraße 44, verkaufte fortan Schallplatten zwischen einem Friseur und einem Technoladen. Die Verkaufsfläche wurde kleiner, aber der Laden hielt sich. „Irgendein Damoklesschwert schwebt immer über dir“, sagt Karl-Heinz Ratzer. „Am Anfang war es die Lerche, dann kam noch ein anderer Laden in der Königsstraße dazu, Gemini. Dann gab es plötzlich kein Vinyl mehr, dann kam die Technowelle, dann die Downloads und das Streamen. Für mich existiert das einfach nicht.“

Ratzer freut sich, wenn junge Menschen kommen und alte Musik kaufen

Der Grund dafür? „Nichts als Emotion!“ Ratzer verkauft Schallplatten aus Leidenschaft. Und er weiß noch, wann sie ihren Anfang nahm. „Das war 1964, als ich zum ersten Mal die Beatles gehört habe. Ich war zehn Jahre alt.“ Danach war Schule nicht mehr interessant. „Die Sechziger“, sagt Karl-Heinz Ratzer, „waren der Hammer. Wer sie nicht erlebt hat und heute ernsthaft mitreden will, der muss sich schon sehr anstrengen. So sprunghaft hat sich die Musik nie wieder entwickelt.“ Wenn nun junge Menschen in seinen Laden kommen und sich alte Musik kaufen, ob von Nirvana oder Pink Floyd, dann freut er sich: „Ich hoffe, das hört nie auf. Sonst stirbt die Basis.“

Viele Jahre lang waren Ratzers nicht nur Händler, sondern auch Musikveranstalter. Sie brachten Bands wie die Einstürzenden Neubauten, Jan Akkermann, Phillip Boa und andere ins LKA, in die Röhre, ins Universum. Sie holten Jeffrey Lee Pierce von The Gun Club in ihren Laden und Robert Trujillo, den Bassisten von Metallica, nach dem Konzert der Band in Stuttgart 2018. Golden Earing gaben eine Autogrammstunde bei Ratzer Records, der Gitarrist John Martyn spielte im Maxim – „Das war eines der besten Konzerte, das war Gänsehaut.“ Events, die nun Erinnerung sind: „Aus dieser Zeit findet man keine Bilder im Netz“, sagt Brigitte Ratzer. „Das ist vielleicht auch schön so“, sagt Karl-Heinz Ratzer. „Wir haben die Bilder im Kopf.“

Am 5. Juli ist das Abschiedsfest – am 6. September die Neueröffnung

Um 2011 erfüllte das Paar sich einen Wunschtraum, zog ins Leonhardviertel, eröffnete einen Laden mit Café, Clubatmosphäre, veranstaltete dort kleinere Konzerte. Vier Jahre dauerte der Traum. „Hätten wir das früher begonnen“, meint Brigitte Ratzer, „wären wir noch mit mehr Energie dabei gewesen.“ Aber die vielen Jahre voller Musik vergingen wie im Flug.

Karl-Heinz Ratzer würde niemandem empfehlen, einen Schallplattenladen zu eröffnen. Würdige Nachfolger hat er dennoch gefunden, zwei, die gut im Berufsleben stehen und den Laden mit Herzblut weiterführen können. Am 5. Juli wird es bei „Ratzer Records“ ein kleines, aber langes Abschiedsfest geben – „Wir machen um 11 Uhr vormittags auf und schließen, wenn der Letzte geht. Den ganzen Tag läuft Musik. Nichts Neues, sondern das, was man die ganzen Jahre über verkauft hat.“

Nach dem Abschiedsfest soll der Betrieb noch einige Wochen weitergehen: „Wir wollten nicht feiern und dann die Tür abschließen.“ Am 6. September dann wird die Neueröffnung gefeiert. Karl-Heinz Ratzer wird im Mai 71 Jahre alt, Brigitte Ratzer ist 64. „Wir hatten eine supertolle Zeit bis jetzt“, sagt sie. Und den Schallplattenhändler aus Leidenschaft wird man, im Ruhestand dann, ganz gewiss noch gelegentlich in der alten Umgebung antreffen.

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