Kultur und Corona Vorhang auf oder wieder zu?
Von G-3 über G-2 zu G-2-plus: Die Kultur wehrt sich tapfer gegen die Corona-Dauerkrise. Und es steht ja auch hier für die Gesellschaft viel auf dem Spiel.
Von G-3 über G-2 zu G-2-plus: Die Kultur wehrt sich tapfer gegen die Corona-Dauerkrise. Und es steht ja auch hier für die Gesellschaft viel auf dem Spiel.
Stuttgart - Es war einfach zu schön, um wahr zu werden: die Hoffnung so vieler im vergangenen Sommer, das Schlimmste der Coronapandemie sei überwunden und von nun an kehre Stück für Stück das normale Leben zurück. Die meisten Kulturschaffenden zum Beispiel haben darauf gehofft, nach anderthalb Jahren voller Lockdown-Beschränkungen am Ende der Sommerferien endlich wieder in eine ganz normale neue Saison starten zu können. Zumindest alle Geimpften und Genesenen müssten doch fortan Theater, Konzerte, Lesungen, Shows und Kino live und vor Ort erleben können, so die Erwartung der Szene. Und viele Politiker haben sie in dieser Erwartung gestärkt.
Inzwischen herrscht Corona-Alarmstufe II in Baden-Württemberg – und bei vielen Veranstaltern nagt die Sorge am Gemüt, wie lange sie ihre Programme noch anbieten dürfen oder können. Die geimpften oder genesenen Kulturfreunde müssen inzwischen zusätzlich noch zum Corona-Schnelltest, wenn sie abends ihre Karten für Theater oder Konzert wahrnehmen wollen. Und womöglich kann die Hälfte von ihnen auch gleich wieder nach Hause gehen, weil die Veranstalter nur noch die Hälfte ihrer Plätze besetzen dürfen, im Vorverkauf aber womöglich mehr Tickets abgesetzt haben. Das gibt Ärger und Frust am Einlass – wenn nicht die Tore gleich ganz geschlossen bleiben, weil der Auftritt der Künstler unter den neuen Bedingungen gar nicht mehr rentabel ist. Jeden Tag gibt es zahlreiche Terminabsagen.
Im Freistaat Sachsen sind alle Kulturveranstaltungen schon wieder verboten – davor hat die Szene in Baden-Württemberg gerade am meisten Angst. Die Erfahrung des vergangenen Winters zeigt: Sind Bühnen und Säle erst mal wieder unter Verschluss, senkt sich also der Vorhang und gehen die Lichter aus, dann wird es lange dauern, vermutlich erneut Monate, bis die Politik sich traut, den Schalter wieder umzudrehen. In der Zwischenzeit wandern wieder unzählige Projekte und künstlerische Ideen in die Tonne; kann die Szene nur hoffen, dass die staatlichen Hilfsgelder nicht versiegen; wird sich noch mehr Publikum von seinen alten Kulturgenuss-Gewohnheiten entfremden. Und irgendwann geht wieder das ganze Wir-tun-mal-so-als-ob-Kulturersatz-Video-on-Demand-Gedöns in diesem Internet los; herrje, wer kann und will denn das noch sehen?
Doch halt, stopp! Genug der End-November-Trübsal! Denn just an diesem ersten Adventswochenende zeigt die Kultur, wie wacker sie um ihre Existenz in der vierten Coronawelle kämpft! Viele große und kleine Stuttgarter Bühnen feiern Premieren. Die Oper will mit der „Zauberflöte“, das Schauspiel mit „Robin Hood“die Familien begeistern. In den Museen locken tolle Ausstellungen; das Theaterhaus bespielt seine vier Säle, im Renitenz steht das Hausensemble auf der Bühne, und, und, und. Überall, das haben die jüngsten Abende gezeigt, werden die neuen Zugangsregeln für das Publikum genau kontrolliert. Überall zeigt sich dieses Kulturpublikum überaus verantwortungsbewusst. Nein, so schnell und widerstandslos will und wird sich die Kultur der drohenden dritten Auszeit nicht ergeben!
„Wir tun alles dafür, dass es keinen weiteren Kultur-Lockdown geben muss“, hat die Kunststaatssekretärin des Landes, Petra Olschowski, jüngst unserer Zeitung gesagt – natürlich wissend, dass ihre Macht Grenzen hat, nämlich dort, wo die Gesetze der Pandemie und ihrer wirksamen Bekämpfung gelten. Aber den möglichen Spielraum heißt es zu wahren und die Spiel- und Diskursräume der Gesellschaft. Das Land darf ganz sicher der Krankheit nicht noch weiter zum Opfer fallen, aber es darf auch nicht verblöden.