Satellitenbilder der Kulturstätten belegen, dass die Zerstörungen überall im Land stattfinden, auch in den von Regierungstruppen oder den Kurden kontrollierten Gebieten. Der Islamische Staat aber sprengt jetzt auch Geiseln mit in die Luft.

Kairo - Ihre Videos schockieren die Welt. In Palmyra rollten die bärtigen Krieger des Islamischen Staates Fässer mit Sprengstoff in die römischen Tempel und Grabtürme der legendären Oasenstadt. Dann ein riesiger Feuerball – und übrig bleiben von den 2000 Jahre alten Kulturmonumenten nur schwarz verkohlte Schuttfelder. Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete unter Berufung auf örtliche Informanten, dass dabei auch Geiseln in die Luft gesprengt wurden. Drei Männer seien in der Ruinenstadt an Säulen gebunden worden, anschließend hätten die Islamisten Sprengladungen gezündet. Um wen es sich bei den Getöteten im Einzelnen handelt, sei bisher nicht bekannt, so die Beobachtungsstelle mit Sitz in London am späten Montagabend.

 

Kein Wunder, dass vor allem der Islamische Staat die Schlagzeilen dominiert. Die Zerstörungen historischer Denkmäler gehen jedoch nicht allein aufs Konto der Terrormiliz, sie finden auch in Gebieten statt, die von Regierungstruppen, anderen Rebellenverbänden sowie kurdischen Einheiten kontrolliert werden. Das belegt eine Auswertung von Satellitenfotos, die im jüngsten Heft der Zeitschrift „Near Eastern Archaeology“ veröffentlicht wurde. Kein ausländischer Forscher kann Syrien derzeit betreten, um sich am Ort ein Bild zu machen. Und so griff Jesse Casana, Dozent für Archäologie am Dartmouth-College im US-Bundesstaat New Hampshire, auf Satellitenbilder der Firma Digital Globe zurück, die seit 2007 regelmäßig rund 1300 antike Stätten in Syrien fotografiert.

Zu seiner Überraschung fand Casana, dass Plünderungen nicht nur beim IS, sondern auffallend häufig auch in der kurdischen Region vorkommen, die von den PKK-nahen Volksverteidigungseinheiten kontrolliert werden. „Die meiste Aufmerksamkeit der Medien gilt den Zerstörungen durch den IS. Das hat zu dem Eindruck geführt, dass der IS beim Plündern antiker Stätten der Hauptschuldige ist“, sagte der Forscher. „Dagegen zeigt unsere Studie, dass Plünderungen in Wirklichkeit in allen Teilen Syriens stattfinden.“

Wachsendes Chaos bereitet Raubgrabungen den Boden

So ermittelte Casana im IS-Herrschaftsgebiet bei 21,4 Prozent der 383 dort vorhandenen antiken Stätten Hinweise auf Raubgrabungen. In den Machtgebieten anderer Rebellengruppen, wo sich 237 Kulturdenkmäler befinden, lag die Rate bei 26,6 Prozent. Bei den Kurden mit ihren 116 historischen Stätten waren es sogar 27,6 Prozent. Die geringsten Übergriffe gab es dagegen in Territorien, in denen das Assad-Regime präsent ist. Hier fand Casana 16,5 Prozent der 212 Kulturstätten beschädigt oder ausgeraubt.

Der Wissenschaftler unterscheidet drei Kategorien von Zerstörungen – gering, moderat und schwer. Gering bedeutet weniger als 15 Raubschächte, die meist mit Spaten und Spitzhacke gegraben sind. Ein solches Schadenbild findet sich vor allem in den Gebieten der Kurden und sunnitischen Rebellen, wo Kriminelle das wachsende Kriegschaos für ihre dunklen Geschäfte nutzen. Bei schweren Plünderungen dagegen werden systematisch Bulldozer und große Arbeitskolonnen eingesetzt. Hier richtete der Islamische Staat mit 18 Schauplätzen die schlimmsten Verwüstungen an, darunter Dura Europos und Mari. Aber auch im Assad-Machtgebiet fallen 22,9 Prozent der Beschädigungen in diese verheerende Kategorie, unter anderem die römische Stadt Apamea, die von der Armee regelrecht ausgeweidet wurde.

Die neue Satellitenstudie schätzt, dass von den 15 000 antiken Stätten in Syrien seit Kriegsbeginn mindestens dreitausend ruiniert wurden. „Der IS ist nur eines von vielen Problemen“, bestätigt auch der Chef der syrischen Antikenverwaltung, Maamoun Abdulkarim. Die Dschihadisten zerstörten aus ideologischen Gründen Statuen, Gräber und Gebäude. „Münzen, Vasen und Juwelen aber stehlen und verkaufen sie, und das tun andere Gruppen auch.“

In den letzten Jahren haben Abdulkarim und seine 2500 Mitarbeiter insgesamt 300 000 Fundstücke und Handschriften aus 38 Museen nach Damaskus evakuiert. „Wir verstecken sie in Damaskus“, versichert der Archäologe. „Aber was ist, wenn Damaskus fällt?“