Amerikas Konservative erheben schwere Vorwürfe gegen den französischen Spielfilm „Cuties“ bei Netflix. Sie fordern Ermittlungen wegen des Verdachts auf Kinderpornografie. Das Ganze hat aber wohl mehr mit Politik zu tun.

Washington - Dynamisch wachsende US-Firmen, die Weltmarktführer werden - davon schwärmen amerikanische Politiker gerne, die Republikaner noch vorbehaltloser als die Demokraten. Der Streamingdienst Netflix könnte eigentlich ihr Musterbeispiel für anhaltende Tatkraft sein. Stattdessen ist er gerade zur neuen Zielscheibe im Kulturkampf der Konservativen gegen alles Liberale geworden.

 

Der Senator und Ex-Präsidentschaftskandidat Ted Cruz aus Texas hat das US-Justizministerium aufgefordert, Ermittlungen gegen Netflix aufzunehmen – wegen Verdachts auf Herstellung und Verbreitung von Kinderpornografie. Den konkreten Anlass für die Vorwürfe liefert der französische Spielfilm „Mignonnes“, den Netflix unter dem Titel „Cuties“ ins Programm genommen hat. Das Werk der Regisseurin und Drehbuchautorin Maïmouna Doucouré erzählt von der 11-jährigen Amy, die in einer muslimischen Zuwandererfamilie traditionell erzogen werden soll. Amy aber ist völlig fasziniert von einer Clique rebellischer Gören an ihrer Schule, die sich auf Sexkätzchen stylen.

Angriff ohne eigene Kenntnis

Ted Cruz schreibt dem Generalbundesanwalt: „Fortwährend macht der Film diese vorpubertären Mädchen zu Lustobjekten, wenn sie in aufreizender Kleidung Tänze aufführen, die sexuelle Handlungen simulieren – in mindestens einer Szene kommt es dabei in Teilen zu kindlicher Nacktheit. Diese Szenen sind an sich schon verletzend. Darüber hinaus ist es wahrscheinlich, dass es bei den Dreharbeiten des Films noch schamlosere und missbräuchlichere Szenen gab und dass künftig Pädophile auf der ganzen Welt diesen Film zu Zwecken des Missbrauchs manipulieren und nachahmen werden.“ Selbst gesehen hat Cruz den Film aber nicht. Das gibt sein Büro auf Nachfrage amerikanischer Journalisten offensiv zu. Die Logik dahinter: Wenn ein Film furchtbar ist, ist das Anschauen unzumutbar.

„Cuties“ hat tatsächlich ein paar verstörende Bilder. Die aber sind so eingebettet, dass man sie gar nicht missverstehen kann. Sensibel, frisch und couragiert zeigt Doucouré, wie Kindheit heute auch aussehen kann: früh von sexuellen Zeichen durchsetzt. Aber die auf den ersten Blick extrem frühreif wirkenden Mädchen sind tatsächlich halbe Kinder, die Zeichenwelt durchschauen sie noch gar nicht richtig, das meiste ist für sie cooler Gelenkigkeitswettbewerb und hippes Star-Nachspielen. Das macht sie in den Augen der Kamera so unschuldig wie bedroht. Denn Doucouré zeigt noch ein starkes Sogpotenzial sexualisierten Gebarens: Kinder aus extrem strengen Verhältnissen sehen darin einen Weg in die Freiheit.

Der Wahnsinn von QAnon

Hinter der Hetzkampagne, die auf Twitter unter dem Hashtag #CancelNetflix läuft und die sich vor allem auf ein ungeschicktes, inzwischen zurückgezogenes Werbemotiv von Netflix stützt, steckt mehr als eine Horde Internet-Trolle. Netflix hat Michelle und Barack Obama als Produzenten an Bord geholt, deren Filme nicht von rechts auf die USA blicken. Und die Netflix-Doku „Hillary“ zeigt eine andere Hillary Clinton als das Scheusal aus Trumps Propaganda. Das wollen die Republikaner Netflix heimzahlen – und öffnen dafür den rechten Flügel noch weiter für die QAnon-Bewegung.

Die erschreckend virulente QAnon-Wirrnis basiert auf dem Glauben, die liberalen Eliten seien eine Geheimgesellschaft kannibalistischer Kinderschänder. Für Konservative wie Ted Cruz übt es darum enormen Reiz aus, die Obamas und Clintons über das Kopplungsstück Netflix mit Kinderpornos in Verbindung zu bringen und so den ganzen QAnon-Wahnsinn plausibler erscheinen zu lassen. Dazu muss man den Netflix-Film „Cuties“ aber als Kinderporno einordnen lassen. Chancen dafür gibt es. Der Generalbundesanwalt William Barr hat den Ruf, die Justiz als Waffenarsenal der Konservativen zu betrachten.