Stuttgarter Studenten haben gegenüber der Stuttgart 21-Baustelle einen Projektraum für Kunst, Kultur und Wissenschaft gegründet.

Stuttgart - Die Busfahrer der Linie 42 hatten rund um die Haltestelle Staatsgalerie ihre liebe Mühe, die Busse an der Menschenmenge vorbei in die Landhausstraße zu manövrieren. In dem Eckhaus gegenüber, auf dem Gehsteig davor und teilweise auch auf der Fahrbahn feierten am Freitag mehrere Hundert eine Eröffnungsparty. Die Kulturmeile hat Nachwuchs bekommen: Lotte heißt das Baby an der Willy-Brandt-Straße, ein knapp 40 Quadratmeter großer „Projektraum“, wie die Initiatoren ihre Daseinsform nennen.

 

Der kleine Eckraum mit Blick auf die Stuttgart-21-Baustelle, in dem 40 Jahre lang ein Technikgeschäft war, und der nach dem Tod des Besitzers einige Jahre leer stand, ist zu einer studentischen Plattform geworden, unterstützt von der Uni Stuttgart, der Kunstakademie, der Filmakademie und der Merz Akademie. Studenten und Absolventen können hier Ausstellungen, Lesungen, Vorträge oder Konzerte veranstalten. Was auch immer. Lotte ist offen für alles und jeden. „Wir sind interdisziplinär und freuen uns über Naturwissenschaftler genauso wie über Künstler“, sagt Paula Kohlmann, Literaturstudentin der Uni Stuttgart und einer der drei Vorstände des eigens für Lotte gegründeten Vereins Schnittpunkt Kunst. Bis Ende Juli hat der Verein bereits ein abwechslungsreiches Programm zusammengestellt. Ein Beispiel: am Donnerstag, 28. Juni, befasst sich das Geschwisterpaar Nils und Nora Moschüring mit dem Thema „Phasenübergang“ – er aus der Sicht eines Physikers, sie aus der einer Kulturwissenschaftlerin.

Der Mietvertrag läuft zunächst fünf Jahre

Die Idee zu Lotte hatten Paula Kohlmann und ihre Freundin Maria Zamel vor einem knappen Jahr. Paula, gebürtige Stuttgarterin, hatte gerade ein Austauschjahr in London hinter sich. „Dort habe ich gemerkt, was in einer Stadt kulturell alles passieren kann – und wie wenig vergleichsweise in Stuttgart los ist“. Einen Ort, den junge Kreative gestalten können, der die verschiedenen Hochschulen vernetzt, das haben sich die Studentinnen gewünscht und sich im Sommer gemeinsam mit Erik Sturm, Student an der Kunstakademie, auf die Suche nach einem Raum gemacht.

Klein, abseits und temporär sollte der zunächst sein. Doch der Raum, in den sich das Trio verliebte, gehört dem Land. Das war mit dem privaten Konzept der drei zunächst nicht einverstanden. Also wendeten sie sich an ihre Hochschulen. Die machten sofort mit wie auch das Kulturamt der Stadt. Anfang dieses Jahres haben sie den Raum dann bekommen – allerdings nicht für einige Monate sondern für fünf Jahre. Die ersten beiden davon mietfrei. „Auf einmal war Lotte größer als geplant.“

Namenspatin ist eine ältere Dame aus dem Haus

Dann ging alles schnell: am 15. Mai bekamen sie die Schlüssel, haben mit dem auf neun Personen angewachsenen Team 14 Tage lang renoviert und vergangenen Freitag Lottes Eröffnungsparty gefeiert. Der Name kommt übrigens von einer älteren Dame im Haus, die anfangs den Schlüssel verwaltete. „Ohne ihren Vornamen zu kennen, haben wir beschlossen, den Raum nach ihr zu benennen“, sagt Paula Kohlmann. Die Dame heißt Lotte. Die Studenten haben den Vornamen noch mit Inhalt gefüllt: Land of the temporary eternity – Land der temporären Ewigkeit. „Passte ja ganz gut, nachdem unser temporäres Projekt jetzt länger bleibt“, so Paula. Dass eine „Temporäre Ewigkeit“ keinen Sinn macht, sei gerade das Schöne daran. „Im Leben muss ja nicht immer alles sinnvoll, zielgerichtet und ergebnisorientiert sein.“ Lotte soll ein Freiraum und eine Spielwiese sein.

Wenn der Andrang auf diesen Freiraum in Stuttgart so groß bleibt wie am Freitag, muss Lotte bald Geschwister kriegen.