Die künftige grün-rote Landesregierung wird auch in der Kulturpolitik neue Akzente setzen.  

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - So erlebte ein führender Kulturmanager des Landes den vergangenen Wahlsonntag: "Als um 18 Uhr im Fernsehen die Prognose lief, dachte ich: Mann, da kommt ja richtig etwas in Bewegung! Aber der zweite Gedanke gleich darauf: All meine Gesprächspartner aus der Kulturpolitik - futsch." Diese Geschichte steht stellvertretend für viele. Die Kritik an der alten schwarz-gelben Landesregierung unter Stefan Mappus war in der Kulturszene weit verbreitet. Doch nun stehen auch in der Kulturpolitik Änderungen bevor. Und dem sehen viele Intendanten, Direktoren und Geschäftsführer in der baden-württembergischen Kultur mit gemischten Gefühlen entgegen.

 

Wer sich in diesen Tagen durch die Chefbüros der Theater, Orchester, Akademien und Museen telefoniert, hört viel Anerkennung für die baden-württembergische Kulturpolitik der vergangenen Jahre, vor allem auch für das Engagement des Kunststaatssekretärs Dietrich Birk (CDU). "Ich bin ihm sehr dankbar, wie er die gemeinsame Arbeit an der Kulturkonzeption 2020 vorangetrieben hat", meint beispielsweise Jean Baptiste Joly, der Chef der Akademie auf Schloss Solitude.

An dem von der schwarz-gelben Landesregierung im vergangenen Sommer beschlossenen 444 Seiten starken Grundlagenwerk haben Kulturschaffende des Landes maßgeblich mitgewirkt. Joly: "Eine neue Regierung darf diese Arbeit auf keinen Fall missachten. Wer immer zuständig sein wird, sollte sich wieder mit Kulturvertretern des Landes an einen Tisch setzen und einen Umsetzungsplan erarbeiten. Natürlich müssen wir über Prioritäten in der Kulturpolitik sprechen. Aber gemeinsam."

Die Kommunikation ist der Knackpunkt

Nun scheint die mehrjährige Arbeit an "Kultur 2020" ganz sicher nicht vergeblich gewesen zu sein. Sowohl die Grünen als auch die SPD bekennen sich in ihren Wahlprogrammen ausdrücklich dazu. "Ich könnte mir vorstellen, dass an einer bestimmten Stelle die Zusammenarbeit mit der neuen Koalition besonders interessant wird", meint dazu Petra von Olschowski, die Rektorin der Kunstakademie in Stuttgart. "Das ist die kulturelle Bildung - für mich das große kulturpolitische Thema der nächsten Jahre. Die Frage, wie wir junge Menschen für Kunst begeistern und wie wir das Miteinander verschiedenen Kulturen in Deutschland fördern, ist für alle Kulturinstitutionen eine Zukunftsfrage. Und da ist der entscheidende Punkt, ob wir in Baden-Württemberg auch im Schulministerium endlich verlässlich Partner finden."

Dieser Aspekt kommt in fast allen Gesprächen dieser Tage zum Ausdruck: Den Zuschnitt des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst halten alle von der StZ befragten Kulturmanager für schlüssig. Niemand sehnt sich nach Zeiten zurück, da in der Landeshauptstadt ein "Ministerium für Familie, Frauen, Weiterbildung und Kunst" zuständig war.

Der Knackpunkt wird eher im Kultusministerium gesehen, das beispielsweise für die Jugendförderung und die musischen Schulfächer zuständig ist, sich im Umgang mit den Kultureinrichtungen des Landes aber häufig unbeholfen zeigte. "Derlei Kommunikationsprobleme, um es mal vorsichtig zu sagen, können wir uns in Zukunft nicht mehr leisten", meint Petra von Olschowski.

"Wir sind keine Kulturbanausen!"

Haben Grüne und Sozialdemokraten womöglich ein gestörtes Verhältnis zur Hochkultur? Solche Fragen sind von Vertretern derselben hier und da zu hören. "Was soll denn das heißen, wir sind doch keine Kulturbanausen!", heißt es dazu leicht genervt von einem Mitarbeiter der Grünen-Fraktion im Landtag. Jahrelang habe man doch als Opposition auch kulturpolitische Initiativen in den Landtag eingebracht. Allein, die Aufmerksamkeit dafür war naturgemäß gering, auch unter den Kulturschaffenden.

Relevant schien einzig und allein, was Minister Peter Frankenberg, sein Staatssekretär Dietrich Birk und der hochangesehene kulturpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Christoph Palm, zu Protokoll gaben. "Diese ganzen informellen Gesprächskreise, die wir hatten, die Stammtische, die Jours fixes, das war ja immer hauptsächlich mit Leuten von der CDU", gibt ein Kulturschaffender unumwunden zu. "Das kann ich jetzt alles löschen. Und wer weiß, wie schnell sich da andere Netzwerke bilden, um Projekte zu planen."

Welche Partei übernimmt das Kultur-Ressort?

Hans-Georg Kaiser, der Intendant des Freiburger Barockorchesters (FBO), ist derweil jemand, der von der Qualität einer grün-roten Kulturpolitik noch überzeugt werden muss. Nicht ohne Hintersinn lobt er zunächst die alte Formation: "Die bisherige Landesregierung hat das Neubauprojekt eines innovativen Ensemblehauses in Freiburg großzügig gefördert." Er sei zuversichtlich, dass auch die neue Mehrheit an derlei Förderung von musikalischer Hochkultur interessiert sei. Immerhin, das gesteht er zu, arbeite das FBO auf der kommunalen Ebene ja schon seit Jahr und Tag gut mit dem grünen Oberbürgermeister Dieter Salomon "sehr gut" zusammen.

Übergangsprobleme wird es definitiv geben

Ob zum Schluss der Koalitionsverhandlungen die Zügel der Kulturpolitik nun der SPD oder den Grünen zugeschlagen werden, ist noch völlig offen. Sollte es beim bisherigen Ministeriumszuschnitt bleiben, spricht derzeit vieles für die Heidelberger Hochschulexpertin Theresia Bauer von den Grünen als Ministerin. Dann wäre die nachfolgende Frage, ob sich die beiden Koalitionspartner parteifremde Staatssekretäre in ihren Ministerien zugestehen. Wenn ja, könnte es auf Susanne Weber-Mosdorf zulaufen, die im Wahlkampfteam des SPD-Spitzenkandidaten Nils Schmid für Kultur zuständig war. Wenn nein, stünde vermutlich Jürgen Walter bereit, der stark engagierte kulturpolitische Sprecher der alten Grünen-Fraktion.

Doch mit Übergangsproblemen wird man in jedem Fall zu kämpfen haben. Beispiel Staatstheater Stuttgart: die Vertragsverhandlungen mit dem Ballettintendanten Reid Anderson wird der alte Minister Peter Frankenberg wohl noch vor dem Ende der Legislaturperiode zu Ende führen. Mit der verlässlichen, diskreten Suche nach einem Nachfolger für den 2012 scheidenden Schauspielchef Hasko Weber aber dürfte es nun dauern - länger, als es einer Personalie von solcher Bedeutung wohltut. Aber auch gute Kulturpolitiker, wenn sie zu Macht gekommen sind, benötigen Einarbeitungs- und Eingewöhnungszeit.

Am Kooperationswillen der Kulturschaffenden ist dabei kaum zu zweifeln "Kultur ist der Lebensnerv einer Gesellschaft. Dies zu gestalten, ist unsere Hauptaufgabe. Dazu sind wir alle bereit", meint beispielsweise Cornelia Ewigleben, die Direktorin des Württembergischen Landesmuseums. Und Peter Spuhler, der designierte Generalintendant des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe sagt: "An vielen Stellen war in der Kulturpolitik des Landes in jüngerer Zeit ein Geist des Miteinanders zu spüren. Das darf auf keinen Fall verloren gehen."

Was Rot und Grün versprochen haben

SPD

Die Sozialdemokraten hatten in ihrem Wahlprogramm für die Kultur zwei Absätze übrig. Der Tenor: "Wir werden Kunst und Kultur verlässlich fördern." Die SPD bekennt sich zur Konzeption "Kultur 2020" der Mappus-Regierung und verspricht ein "sachlich, zeitlich und finanziell geschlossenes Umsetzungsprogramm".

Bündnis 90

Den Grünen war die Kultur im Wahlprogramm immerhin sieben Seiten wert - und eine eigene "Leitidee": "Kulturland Baden-Württemberg". Auch hier steht das Bekenntnis zu "Kultur 2020" am Anfang. Als konkretere Ziele folgen: Förderung der freien Tanzszene, von Baukultur und Denkmalschutz, Erhalt der Künstlersozialversicherung, Ausbau der interkulturellen Projekte und der kulturellen Bildung. Die Landesstiftung soll einen "Kulturfonds für innovative Projekte" einrichten. Weitere Schwerpunkte der Grünen: Kulturausbau im "ländlichen Raum", Filmförderung, Pflege der Gedenkstätten und der Freien Radios.