Kulturreise in die Emilia- Romagna Muscheln, Meer und Mosaike
Ob Rimini, Ravenna oder Cesenatico: Die Emilia-Romagna entpuppt sich immer mehr als kulturelle Entdeckung.
Ob Rimini, Ravenna oder Cesenatico: Die Emilia-Romagna entpuppt sich immer mehr als kulturelle Entdeckung.
Es sind eher kleine Fische, die in graue Kisten geworfen an diesem Nachmittag bei der Fischauktion übers Laufband rollen. Vor allem Heuschreckenkrebse und Riesengarnelen. „Heute ist ein schwacher Tag“, sagt Paolo Pallini. Der 63-Jährige kennt das Geschäft in Cesenatico. Mit 14 Jahren ist er ohne Schulabschluss hinaus aufs Meer, gegen den Willen seines Vaters. Der warnte von den Gefahren. Schon sein Vater war Fischer.
„Mit den Booten morgens um 4 Uhr raus, das war meine Leidenschaft“, sagt Pollini mit breitem Lachen. Seit 15 Jahren lässt er es etwas langsamer angehen. Er züchtet Miesmuscheln, die seine Taucher ernten. Ihre Fanggründe sind an den Fundamenten der Gasplattformen, von denen es an der Adriaküste nicht wenige gibt.
Rund 60 Großhändler schauen hoch zur großen Anzeigetafel. Auf der schlägt eine Auktionsmeisterin den Kilopreis vor, der etwas über dem Marktpreis liegt. Auf der Tafel stehen mit laufender Nummer zudem die Fischsorte und der Schiffsname. Im Sekundentakt rauscht der Preis nach unten, bis einer der Händler keine Minute später den Zuschlag erhält. 3,83 Euro sind es für die kleinen Fangscherenkrebse statt 4,80 Euro, für die Garnelen am Ende 7,45 statt 8,20.
Noch immer fahren in Cesenatico rund 200 Fischer auf 50 Schiffen von Montag bis Donnerstag hinaus aufs Meer, zwölf Stunden pro Fang. Meist sind es Familienbetriebe. Dazu kommen die Schiffe der 15 Miesmuschelzüchter, zwölf der Venusmuschelfischer und ein paar kleinere Boote. 40 bis 45 Tage um den Monat August herum ist die von der EU verordnete Fangpause.
Cesenatico ist neben seinem sieben Kilometer langen Sandstrand und den Pinienwäldern stolz auf seine maritime Tradition. Und auf seinen Kanalhafen. Im ältestem Abschnitt um die Kirche San Giacomo liegt das Museo della marinera, Italiens einziges Museum zu Wasser. Hier dümpeln unter den farbigen trapezförmigen Segeln jene Kutter, die den kleinen Ort an der Pisciatello-Mündung ab 1314 mit Fischfang und Seehandel wohlhabend machten – bevor der Tourismus in den 1960er Jahren seine Herrschaft antrat: ein Trabaccolo für den Küstenhandel, ein zum Netzeschleppen konstruierter Bragozzo von 1921, dazu Paranza und Battana.
Zwischen den bunten Fischerhäusern sind am Festland Dokumente und Instrumente zu sehen, die seit Römer-Zeiten von Glanz und Elend der maritimen Epochen zeugen. Viele Schiffe sind bunt bemalt und tragen am Bug neben dem Pulizon (einem Schafsvlies ähnlich) zwei Augen.
Auf der Piazzetta delle conserve hinter dem Fischmarkt wurde früher der Fang in eigens dafür in den Sandboden gegrabenen Speichern über Winter aufbewahrt. Und natürlich fehlt nirgendwo der Hinweis, kein Geringerer als Leonardo da Vinci habe 1502 die Hafenschleusen geplant, die den Kanal bis heute vor Stürmen und Versandung schützen – und am 2. August 1849 dem Freiheitshelden Giuseppe Garibaldi auf der Flucht obendrein eine Zwischenstation sicherte, um das von Österreich belagerte Venedig zu erreichen. Dass mit Marco Pantini einer der Großen des Radrennsports in Cesenatico geboren wurde – das kommt bei einer Piadina romagnola und einem Glas Sangiovese obendrauf.
30 Kilometer weiter nördlich steht die Auktionsuhr schon seit den 1990er Jahren still. Seit 2014 ist im alten Fischmarkt von Ravenna Cestha eingezogen, die größte Schildkrötenauffangstation an der Adriaküste. Sieben hauptamtliche Tierärzte und Meeresbiologen schicken hier rund 100 Schildkröten pro Jahr aus den Bassins wieder in die Freiheit, die sich in den Fischernetzen zum Teil schwer verletzt hatten. Einige haben schon über 50 Jahre auf dem Panzer. „Wir haben hier Schildkröten, denen wir eine Flosse amputieren oder Angelhaken aus dem Hals entfernen mussten“, sagt Simone d’Acunto. Auf rund 75 000 Tiere schätzt der Direktor den Bestand in der nördlichen Adria. „Viele gefangene Schildkröten werden von den Fischern da gar nicht erst zu uns gebracht.“
Natürlich kommen Touristen nicht wegen Cestha nach Ravenna, sondern wegen der acht Unesco-Welterbe-Kulturgüter: etwa die achteckige Basilika von San Vitale, der Sternenhimmel im Mausoleum der Galla Placida, das Grab von Dante Alighieri oder die Mosaike von Sant’ Apollinare. Überhaupt die byzantinischen Mosaike: Welche frühe Handwerkskunst hinter den großen Flächen der kleinen Steine steckt, entdeckt man beim Werkstatt-Kurs in Elisa Breghis Lädchen Dimensione Mosaico, wo auch kleine Vierecke ihre Zeit brauchen und am Ende, nennen wir es mal so, unvollkommen aussehen. Das das neue Byron-Museum im alten Palazzo Guiccioli einen Besuch wert ist, bleibe nicht unerwähnt.
Die Emilia-Romagna hat es eben in sich. Selbst der traditionelle Teutonengrill Rimini (seit einigen Jahren in Strandnähe mit einer Promenade gelungen verkehrsberuhigt) bietet längst mehr als Sonne, Strand und Meer. Ein Besuch des mittelalterlichen Ortskerns lohnt, ein paar genussvolle Abende im historischen Fischerviertel Borgo San Giuliano an der über 2000 Jahre alten römischen Tiberiusbrücke sind Pflicht. Vor allem Cineasten werden zudem nicht um eine Visite des Fellini-Museums im Malatesta-Tempel herumkommen, ehe sie sich auf die Spuren des berühmten Sohns der Stadt machen, die er vor allem in seinem autobiografischen Film „Amarcord“ verewigte, der den Faschimus der 1930er beschreibt – und nicht in Rimini gedreht wurde.
Wer in der Emilia-Romagna in einem der vielen schönen Agriturismo-Höfe wie dem La Sabbiona nahe Faenza Quartier sucht, wo es eine vorzügliche lokale Küche inmitten von Weinbergen, Lavendelfeldern und Aprikosenhainen gibt, wird sich endgültig der besonderen Ausstrahlung dieser Landschaft nicht entziehen können. „Wir sind eines der günstigeren Urlaubsgebiete Italiens“, behauptet Alfonso Maini, der Präsident der Hoteliers in Cesenatico. Na ja. Die Tagespreise für einen Strand-Sonnenschirm mit zwei Liegen liegen bei 25 Euro aufwärts. Maini hofft auf eine längere Saison bereits von März bis Ende Oktober. Auch wenn die gebürtige Cannstatterin Helga Schenk, die als Fremdenführerin seit Jahrzehnten in Cesenatico lebt, weiß: „Ein Rentnerparadies ist die Adriaküste im kalten, nebligen Winter nicht.“
Anreise
Mit dem Flugzeug ab Stuttgart mit Swiss über Zürich, www.swiss.com , oder mit Lufthansa über Frankfurt nach Bologna, www.lufthansa.com . Mit dem Zug ab Stuttgart mit dem Nachtzug nach Venedig, dann weiter nach Bologna, www.bahn.de .
Unterkunft
Cesenatico: Das Grand Hotel (vier Sterne) ist ein traditionelles Haus mit nahem hoteleigenen Sandstrand , Doppelzimmer mit Frühstück ab 140 Euro, www.grandhotelcesenatico.com .Faenza: Der von der Familie Mauro Altini seit 1990 geführte Agritourismo La Sabbiona liegt inmitten von Weinbergen, Lavendelfeldern und Aprikosenhainen. Der Bauernhof verfügt über fünf einfache Zimmer und fünf Appartements mit Küche. Großer Pool, hervorragende regionale Küche. DZ/F ab 100 Euro, www.lasabbiona.it .Rimini: Hotel Mercure Lungomare im lebhaften Zentrum mit Blick auf den Strand in erster Reihe (vier Sterne), kleiner Pool zur Straßenseite, DZ/F ab 180 Euro, www.all.accor.com .
Aktivitäten
Mosaik-Kurs, www.dimensionemosaico.it ; www.ravennamosaici.it/en .Byron-Museum, Eintritt zehn Euro pro Person, www.palazzoguiccioli.it .Cesenatico: Museo della Marineria, www.museomarineria.eu .Rimini: Museum Fellini, www.fellinimuseum.it/en .Schildkröten-Hilfe, samstags um 17.30 Uhr geöffnet, Eintritt 18 Euro pro Person, Bootsausfahrt am Morgen 35 Euro pro Person, Anmeldung erforderlich, www.cestha.it .
Allgemeine Informationen
www.visitemiliaromagna.de ; www.visitcesenatico.it/de ; www.riminiturismo.it/en , www.visitrimini.com/de