Erst Corona, jetzt der Krieg in der Ukraine: Der russische Verein Unsere neuen Zeiten mit Sitz in Degerloch steht kurz vor der Auflösung. Die ebenfalls russische Künstlervereinigung Neckars geht derweil einen anderen Weg.

Lokales: Armin Friedl (dl)

Das waren Zeiten, als es noch kein Corona gab: Der Verein Unsere neuen Zeiten unter dem Vorsitz des gebürtigen Petersburgers Alexander Reichrudel pflegte das historisch begründete Zusammenwirken von Russland und Baden-Württemberg mit zahlreichen kulturellen Aktivitäten: Der Trompeterchor der Stadtgarde Stuttgart reiste in diesem Kontext in Reichrudels Geburtsstadt, ebenso das Blasorchester der Musikschule Langenargen am Bodensee; dafür kam ein Orchester einer Petersburger Musikschule hierher, es gab ein Musikfestival „Dialog der Kulturen“ in der Liederhalle. Und es wurde mit dem Katharinenfest in Stuttgart stets erinnert an die Beziehungen zwischen den Herzögen von Württemberg und den Petersburger Zaren im 17. und 18. Jahrhundert.

 

Und da vor allem an die Königin Katharina von Württemberg. Zudem war der Verein beim Volksfest präsent und organisierte Veranstaltungen an der Uni Hohenheim, beides Einrichtungen, die einst von Katharina ins Leben gerufen wurden, wenn auch unter völlig anderen Voraussetzungen als heute.

Der Verein steht vor der Auflösung

Alexander Reichrudel steht heute vor den Scherben seines 2008 in Stuttgart gegründeten Vereins. „Der Verein steht quasi vor der Auflösung“, sagt Reichrudel. Der Verein hatte zunächst eine feste Adresse auf dem Fasanenhof, später zog er in wechselnde Räumlichkeiten in Degerloch, jetzt ist noch die Privatadresse des Vereinsgründers geblieben. „Ich habe angefragt bei verschiedenen Ämtern der Stadt und in den Bezirksrathäusern, aber ich bekomme keine Räumlichkeiten“, sagt Alexander Reichrudel.

Die Frage ist natürlich auch, was er dort veranstalten soll. Denn auch da sammelt er von langjährigen Kooperationspartnern nach eigenen Angaben nur Absagen. Reichrudel: „Wir wollten zum Volksfest was machen, aber keine Chance. Die Stadtgarde hat meine Mitgliedschaft gekündigt. Die russische Sprache, die russische Fahne – das will heute niemand mehr sehen und hören.“

Russische Mitbürger in Stuttgart

Mit dieser Erfahrung ist Reichrudel nicht allein. Gari Pavkovic, Leiter der Abteilung Integrationspolitik der Stadt Stuttgart, hat eine Übersicht von russischstämmigen Bürgern, beginnend mit Zwangsarbeitern der Nazizeit bis in die Gegenwart des Ukraine-Kriegs. Er berichtet von der Erwartungshaltung vieler gerade jetzt, dass sich diese Mitbürger zum Krieg äußern sollen. Pavkovic: „Ukrainische Vereine und Initiativen nehmen Stellung zum Krieg etwa durch regelmäßige Kundgebungen. Die anderen Vereine und Religionsgemeinschaften positionieren sich nicht öffentlich zum Ukraine-Krieg, unterstützen aber in vielfältiger Weise die Schutzsuchenden aus der Ukraine.“ Und Pavkovic fügt hinzu: „Vereinzelt wird von Mobbing gegen Jugendliche mit vermeintlichen russischen Background in Schulen und in der Öffentlichkeit berichtet. Davon betroffen sind auch junge Deutsche aus Russland.“ Auch Reichrudel fällt eine Stellungnahme zum Krieg in der Ukraine schwer. Darauf angesprochen, verweist er vor allem auf die historisch-kulturelle Ausrichtung seiner Aktivitäten. Alleingelassen fühlt er sich auch von seinem Heimatland, denn inzwischen ist ja auch das russische Konsulat in Stuttgart geschlossen. Klaus Mangold, lange Honorarkonsul in Stuttgart und einst Mitglied im Vorstand der Daimler-Benz AG, ist von diesem Diplomatenamt zurückgetreten, nach dem er sah, dass er selbst in dieser Funktion keine Möglichkeiten hatte, auf ein sofortiges Ende des russischen Angriffskriegs hinzuwirken.

Keine Illusionen über Putins Politik

Einen anderen Weg geht Elena Konson, seit 2009 erste Vorsitzende der Künstlervereinigung Neckars in Stuttgart. Wie Reichrudel ist auch sie in Petersburg geboren und aufgewachsen. „Die Meldung über den Kriegsbeginn war für mich zunächst so unfassbar wie die Meldung des Terroraktes auf die New Yorker Twin Towers am 11. September. Man registriert das, aber kann es zunächst noch gar nicht so wirklich erfassen“, so Konson, „über Putins Politik hatte ich keine Illusionen. Aber dass er diesen Krieg in die Tat umsetzt, das habe ich nicht für möglich gehalten.“ Ihre Konsequenz daraus: Seitdem engagiert sie sich unermüdlich für die Geflüchteten aus der Ukraine. Sie sammelt Spenden, unterstützt als Übersetzerin, hilft bei Behördengängen und ist geduldige Zuhörerin, wenn die Ukrainer von ihren traumatischen Erlebnissen berichten wollen.

Künstler helfen Geflüchteten

Viel zu viel habe sie sich da zugemutet, dennoch nimmt sie sich auch Zeit für Neckars. „Am Literatursommer des Landes werden wir uns unbedingt beteiligen“, so Konson. Und viele andere Aktionen mit anderen Künstlern lassen sich ja auch mit der Flüchtlingshilfe verbinden, etwa Veranstaltungen für Kinder. Mit diesem Engagement bekommt sie nicht nur Zuspruch von ihren russischen Freunden, Bekannten und Verwandten, sowohl hier als auch in Russland. „Manche Brücke ist seitdem abgebrochen“, so Konson, „und bei manchen bin ich mir sicher, dass sie dann abbrechen, wenn wir uns darüber unterhalten würden.“ Konson fällt es schwer, dies so zu formulieren. Aber dann bekennt sie sich auch: „Uns geht es hier doch vergleichsweise gut, da können und müssen wir doch helfen.“