In Paris wird nach den Plänen des verstorbenen Verpackungskünstlers der Arc de Triomphe verhüllt. Das Projekt entwickelt sich schon vor der offiziellen Eröffnung zum Besuchermagneten.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Paris - Ob Christo das so geplant hatte? Wenn die Sonne am Abend langsam am Horizont verschwindet und die Schatten der Bäume auf den Champs-Élysées immer länger werden, beginnt ein unbeschreibliches Schauspiel der Farben und Formen. Der verpackte Arc de Triomphe beginnt zu schillern, die eben noch mattsilberne Hülle changiert allmählich ins Dunkelblau und hebt sich majestätisch vom abendroten Himmel ab. Die sorgsam gezogenen Falten des Stoffes durchziehen das gigantische Kunstwerk wie helle Adern und geben ihm gleichzeitig Struktur und eine geradezu zerbrechliche Leichtigkeit. Fast andächtig betrachten viele der eben noch rastlos über die berühmte Einkaufsmeile eilenden Menschen in diesen Minuten das Monument, das in dieser Hektik des Alltages eine beruhigende Magie zu entfalten scheint.

 

Ein Moment für die Ewigkeit

„Es ist unglaublich, wie soll man das beschreiben“, sagt Anna Torres, eine Touristin aus Spanien, und macht mit ihrem Smartphone ein Foto. Als sie das Ergebnis sieht rümpft sie allerdings die Nase. Es gibt Momente im Leben, die sich nicht für die Ewigkeit festhalten lassen. „Ich war gestern schon hier“, erzählt Anna, „da waren die Farben ganz anders. Der Himmel war blauschwarz wie dicke Tinte und die die Scheinwerfer haben den Arc de Triomphe angestrahlt. Es ist einfach verrückt, es ist so schön!“

Das Kunstwerk ist schon Tage vor seiner offiziellen Eröffnung am Samstag zu einem Besuchermagneten geworden. Selbst die letzten Zweifler werden nun einräumen müssen, dass die Verhüllung des französischen Wahrzeichens in Paris den Rang eines Jahrhundertkunstwerkes einnimmt. Für 15 Tage, bis zum 3. Oktober, wird der Arc de Triomphe unter 25.000 Quadratmeter Stoff verschwinden, allein diese Vorstellung hat etwas Gewaltiges. Die Planen, ein mit Aluminium beschichtetes Polypropylen-Gewebe, sind mit etwa 3000 Metern roten Seilen verschnürt, sodass der Triumphbogen wie ein überdimensioniertes Geschenkpaket mitten auf dem riesigen Kreisverkehr des Place Charles-de-Gaulle steht.

Selbst der Tod kann die Kunst nicht stoppen

Wirklich einzigartig macht das Projekt aber seine Entstehungsgeschichte. Seit Anfang der 1960er Jahr trugen der Künstler Christo und seine bereits im Jahr 2009 verstorbene Frau Jeanne-Claude die Idee mit sich herum, das französische Wahrzeichen zu verpacken, bevor sie im 2020 verwirklicht werden sollte. Doch dann geschah das Unvorhersehbare: die Corona-Pandemie stoppte die Vorbereitungen nur Wochen vor dem erfolgreichen Abschluss. Das endgültige Aus schien mit der Nachricht vom Tode Christos am 31. Mai gekommen, er war in New York kurz vor seinem 85. Geburtstag gestoben. Doch dann zeigte sich, was wirklich große Kunst ausmacht, die sich von ihrem Erschaffer löst und auf faszinierende Weise weiterlebt.

„Er wäre sehr glücklich gewesen“, sagt Andrey Paounov, ein bulgarischer Filmemacher aus dem Team von Christo, der den Künstler für einen Dokumentarfilm begleitet hatte und derzeit nahezu rund um die Uhr die Verhüllung des Triumphbogens filmt. „Für Christo gab es keine Grenze zwischen Leben und Kunst, es war alles eins.“ Seine Kunst bestehe nicht allein in dem fertig verhüllten Monument. „Alles gehört dazu, die erste Skizze, der Genehmigungsprozess, der Kampf gegen die Bürokratie“, erklärt Andrey Paounov.

Ein verbissener und akribischer Arbeiter

Dieses verbissene, geradezu pedantische Arbeiten an seinen Projekten machte schließlich die posthume Realisierung seines Traumes in Paris erst möglich. Auch in diesem Fall fertige Christo viele Zeichnungen des Kunstwerks an und sicherte so nicht nur den Aufbau, sondern auch dessen Finanzierung. Denn wie immer legte er großen Wert darauf, unabhängig von Sponsoren zu sein. Das nötige Geld in Höhe von rund 14 Millionen Euro kommt über den Verkauf von Drucken und Zeichnungen des Meisters zusammen. Auch dieses profane, aber sehr wichtige Detail dürfte letztendlich dafür gesprochen haben, das Projekt auch nach dem Tode des Künstlers fortzuführen. Die Macher der Verpackung des Arc de Triomphe versichern zudem unermüdlich, dass Christo und dessen Frau Jeanne-Claude immer wieder ausdrücklich geäußert hätten, dass ihre laufenden Kunstaktionen auf jeden Fall fortgesetzt werden sollen.

Christo, der mit seinen Arbeiten nicht immer auf Gegenliebe stieß, hatte in Paris bei den Verantwortlichen mit seiner aktuellen Idee offene Türen eingerannt. Da der französische Präsident Emmanuel Macron zeitgenössische Kunst ebenso schätzt wie bildstarke Aktionen an geschichtsträchtigen Orten, waren die bürokratischen Hürden schnell überwunden. Das war noch ganz anders, als der damals noch nicht zum Weltkünstler gereifte Christo zusammen mit seiner Frau Jean-Claude in den 1980er Jahren mit der Verhüllung der Pont Neuf ihr erstes Mammut-Projekt in Paris realisierten.

Politik und Kunst sind bisweilen eng verknüpft

Seinerzeit mussten sie erkennen, dass Kunst und Politik bisweilen unerträglich eng miteinander verwoben sind. Der damalige Pariser Bürgermeister und spätere französische Präsident Jacques Chirac stand der ganzen Geschichte sehr distanziert gegenüber und wagte es nicht, sich dafür stark zu machen. Der Grund: seine politischen Gegner könnten es ausschlachten. Doch als sich der Erfolg der Aktion abzeichnet, hatte Chirac kein Problem, sich mit Christo im Scheinwerferlicht ausgiebig feiern zu lassen. „Ich habe den Eindruck, die Politiker spielen Pingpong und wir sind die Bälle“, kommentierte die entnervte Jeanne-Claude das ewige Hin und Her. 1985 wurde das Werk schließlich realisiert.

Der Anziehungskraft der Verhüllung des Arc de Triomphe können sich nun selbst jene alteingesessenen Einwohner von Paris nicht entziehen, die um die Touristen-Hotspots in der Regel einen großen Bogen machen und die schillernden Events in ihrer Stadt meist mit einer gewissen gleichgültigen Herablassung kommentieren. Mit eigenen Augen wollen sie sehen, wie sich das protzig-stolze Monument nun präsentiert. „Es wird wie ein lebendes Objekt sein, das sich im Wind bewegt und das Licht spiegelt“, hatte Christo einige Monate vor seinem Tod sein Werk beschrieben, das für zwei Wochen das zentrale Wahrzeichen der Republik verdeckt und gleichermaßen den Blick auf so viele Neues freilegt.

Ein neuer Blick auf Kunst und Geschichte

Im Jahr 1806 hatte Napoleon das Monument zur Erinnerung an die getöteten Soldaten und zur Verherrlichung seiner Siege in Auftrag gegeben. Am Fuße dieses von vielen als „Altar des Vaterlandes“ bezeichneten Bogens züngelt natürlich auch während der Verhüllung der Schein der ewigen Flamme am Grab des unbekannten Soldaten. Die Franzosen werden am Arc de Triomphe nicht nur ein einzigartiges Kunstwerk bestaunen können, für manch einen wird sich vielleicht auch die Sicht auf die französische Geschichte verändern.