In Berlin präsentiert sich in diesen Wochen aktuelle Kunst aus aller Welt. Darunter ist auch eine riesige Jesusstatute, die schon in Polen für Furore sorgte.

Berlin - Edel sei die Kunst, hilfreich und gut – so wie die 36 Meter hohe Christusfigur mit ausgebreiteten Armen, die der Künstler Miroslaw Petecki auf einen Hügel im polnischen Swiebodzin gestellt hat. Den Bauauftrag habe er direkt von Jesus bekommen, glaubt der örtliche Pfarrer. Das im November 2010 eingeweihte Kitschmonstrum in Sichtweite eines Supermarktes ist rasch zur Touristenattraktion und Pilgerstätte geworden und damit ein machtvoller Wirtschaftsfaktor in der strukturschwachen Grenzregion. Der Künstler allerdings ist mit der Ausführung des aus Spenden finanzierten Monuments nicht zufrieden. Die Berliner Kunst-Werke haben deshalb für ein paar Wochen ein offenes Atelier eingerichtet, wo ihm die Besucher der Berlin-Biennale bei der Arbeit an einem formvollendeten Christuskopf aus Styroporblöcken zuschauen können.

 

Eine Etage tiefer balanciert eine leicht bekleidete Aktivistin der Occupy-Bewegung auf einer gefährlich hohen Leiter, um einen Draht an der Decke weiß anzupinseln. „This is not our museum /This is your action space“, empfängt ein Transparent die Neugierigen. In der Mitte stehen Bierbänke im Kreis für Diskussionen im Plenum. Ein Infostand mit Plakaten fordert zu Unterschriften für ein gesetzliches Verbot der Spekulation mit Nahrungsmitteln auf. Neben einem Solarfahrrad ist eine Werkstatt mit allem aufgebaut, was man für Schablonengraffiti braucht. Ein braunes Zelt im Hintergrund dient als Rückzugsraum und Schlafkabine. Auf die Frage, wer in diesen „Open Space“ der Berlin-Biennale von wem eingeladen worden sei, antwortet ein geschäftiger Aktivist, das wisse er auch nicht so genau. Er sei jedenfalls offen für „alle Menschen, die hier was zum Ausdruck bringen wollen“.

Der Chefkurator der Biennale, Artur Zmijewski, legt Wert darauf, dass es sich beim Spielzimmer für die Occupy-Aktivisten nicht um eine Kunstinstallation handle. Er habe sich vielmehr verpflichtet gefühlt, den jungen Leuten einen unkuratierten und unzensierten Raum für ihre politische Kreativität zur Verfügung zu stellen. „Wir stellen Kunst vor, die tatsächlich wirksam ist, Realität beeinflusst und einen Raum öffnet, in dem Politik stattfinden kann“, fasst Zmijewski die Leitidee seiner Biennale in einem Satz zusammen. Ästhetische Kriterien spielen keine Rolle, ausschlaggebend sind eine klare ideologische Zielsetzung der gezeigten Kunst und ihre praktische Wirksamkeit. So kommt es, dass der volkstümliche Superjesus aus Polen plötzlich an der Spitze zeitgenössischer Kunstproduktion marschiert.

Die Sarrazin-Bücher werden nicht verbrannt

Keinen klar identifizierbaren Schöpfer hat der neun Meter lange und eine Tonne schwere Stahlschlüssel, der aus einem palästinensischen Flüchtlingslager in den Innenhof der Berliner Kunst-Werke verfrachtet wurde. Der angeblich größte Schlüssel der Welt soll die Sehnsucht der Vertriebenen nach einer Rückkehr in ihre Heimat symbolisieren. In Sichtweite hängt ein Werbebanner des ägyptischen Mobilfunkanbieters Mobinil mit einem Foto von Demonstranten gegen das Mubarak-Regime, das dieselbe Firma am Anfang der Proteste im vorigen Jahr durch das Abschalten der Netze noch unterstützt hatte.

Die weißrussische Zeichnerin Marina Naprushkina durfte einen ganzen Raum mit comicartigem Agitprop gegen das Lukaschenko-Regime ausmalen, nebenan laufen auf großen Videowänden gleichzeitig Filme von politischen Straßenprotesten in Griechenland, Palästina und Deutschland. Gruppen wie die „Filmpiraten“ verbreiten via Internet solche Filme als Alternative zu professionellen Medienberichten. Ein Hingucker ist ein Video von Feministinnen in der Ukraine, die als halb nackte Blumenmädchen verkleidet einen Glockenturm besetzen und die Polizei zu brutalem Einschreiten provozieren.

Schon im Januar löste ein Spendenaufruf der Biennale einen Sturm der Entrüstung aus: 60 000 Exemplare von Thilo Sarrazins Einwandererschelte „Deutschland schafft sich ab“ wollte der tschechische Künstler Martin Zet einsammeln und recyceln. Das weckte hierzulande reflexartig Erinnerungen an die nationalsozialistische Bücherverbrennung. Kooperationspartner zogen sich erschrocken zurück, nur ein paar Exemplare wurden gespendet. Gemeinsam mit der Bundesstiftung Flucht Vertreibung Versöhnung erging ein weiteren Aufruf, private Erinnerungsstücke an erzwungene Migration für die künftige Dauerausstellung des „Zentrums gegen Vertreibungen“ zu spenden. Der Ertrag ist dürftig: einige Schlitten und Karren von Heimatvertriebenen, Flüchtlingskleidung von 1945, Fotoalben und Ausweise lohnen kaum den Besuch im Deutschlandhaus.

Umso bombastischer wirkt dort der Werbefilm für ein Spektakel am kommenden Sonntag: Als Rotarmisten und Wehrmachtssoldaten verkleidete Polen spielen im Spreepark die Schlacht um Berlin im April 1945 nach. Im „Reenactment“ nach angelsächsischem Vorbild sehen die Biennale-Kuratoren eine alternative Form der Aneignung von Geschichte. Das musste daher unbedingt noch ins Programm, unbekümmert um die Frage, ob solche Laienschauspielerei dem Thema überhaupt gerecht werden kann.

Der Angriff auf Berlin wird nachgespielt

Hauptsache, es machen bei freiem Eintritt möglichst viele mit! Schinkels klassizistische Elisabethkirche hat der Künstler Pawel Althamer innen rundum mit weißen Wänden ausgekleidet, an der sich jeder zeichnerisch betätigen darf, der sich für berufen hält. Dieser basisdemokratische „Kongress der Zeichner“ ersetzt die kuratorische Ausschau nach professionellen Künstlern, die mit ungewöhnlichen Mitteln etwas zu sagen haben. Und die Kulturstiftung des Bundes fördert alle diese Maßnahmen zur Entwertung des Künstlerberufs mit 2,5 Millionen Euro!

Wie die Occupy-Aktivisten oder die Piratenpartei hoffen die Biennale-Macher auf die Schwarmintelligenz der vielen. Radikale Basisdemokratie soll der institutionalisierten Politik und Kunst auf die Sprünge helfen. Ein paar Wochen lang testet die Biennale unter dem Mutmachermotto „Forget Fear!“ aus, ob das klappt. Große Kunst würde dabei nur stören.