Die Kunststation „Sanctuarium“ auf dem Pragsattel sollte ein letzter Rückzugsort der Natur sein. Nun wurden die Pflanzen innerhalb der Einfriedung abgeholzt. Nicht nur Künstler Herman de Vries ist empört.

Feuerbach/Nord - Ein eisernes Rund mit vergoldeten Pfeilspitzen, in dessen Inneren die Natur sich selbst überlassen bleibt, so hatte sich der niederländische Künstler Herman de Vries (geboren 1931) seine Kunststation vorgestellt. 1993 hat er sie anlässlich der Internationalen Gartenbau-Ausstellung (IGA) auf dem oberen Ausläufer der Leibfried’schen Gärten errichtet: Ein Areal von elf Metern Durchmesser, in das der Mensch fortan nicht mehr eingreifen sollte. Allein was durch den Zaun nach draußen wächst, sollte gestutzt werden.

 

Künstler de Vries: „Mein Konzept ist damit zerstört“

Doch nun der Schock: Die vormals üppige Vegetation ist weg, nur der Zaun steht noch. Eine der ersten, die den Kahlschlag bemerkt hat, war Künstlerin Dagmar Feuerstein, die das Werk von Herman de Vries sehr schätzt und auf dem Weg zur Arbeit fast täglich an der Kunststation vorbeikommt. Zur Langen Nacht der Museen vergangenes Wochenende hat sie Fotos des leeren Runds mit der Überschrift „Wo ist Herman de Vries?“ in ihrem Feuerbacher Atelier ausgelegt: „Ich mag vor allem seine Arbeiten, in denen er einzelne Blätter eines Baums ausstellt und man erkennt, dass jedes Einzelne von ihnen einzigartig und unverwechselbar ist. Wenn man die kennt, weiß man doch, dass er das so nie gewollt hätte!“, sagt sie aufgebracht.

In der Tat, auch der Künstler spricht von „Frevel“: „Mein Konzept ist damit zerstört“, sagt de Vries auf Nachfrage unserer Zeitung. Sanctuarium bedeute Heiligtum, und entsprechend entrückt hätte auch die Vegetation darin sein sollen: „Wie der Lettner, der in vielen Kirchen den Altarbereich vor der Berührung durch die Gläubigen bewahrt, so beschirmt das Gitter die kostbare Natur. Man darf sie betrachten, aber nicht berühren. Berührung entweiht und zerstört“, hieß es dazu sogar im offiziellen Katalog, den die Stadt zur IGA 1993 herausgegeben hat.

Sein „Sanctuarium“ hatte Herman de Vries bewusst auf der Prag verortet, de facto umgeben von Hauptverkehrsadern und Beton: „. . .auch in dieser giftigen Abgas-Atmosphäre wird sie [die Natur] sich ohne unser Zutun manifestieren“, legte er damals fest. Und: „Ein Endstadium gibt es dabei nicht.“

Stadt wollte „Entwicklung zum Wald“ verhindern

Dem gegenüber steht das „Parkpflegewerk“, das seit 1990 im „Gartendenkmal“ Höhenpark Anwendung findet: „Demnach soll die Entwicklung zum Wald durch regelmäßiges Zurückschneiden der Spontanvegetation auf das Ausgangsstadium verhindert werden“, erklärt Jana Steinbeck von der Pressestelle der Stadt Stuttgart.

Kunst und Wildwuchs auf der einen Seite und Regulierung auf der anderen – das geht nicht zusammen. „Ich vermute, das Ganze hat mit der deutschen Sehnsucht nach Ordnung zu tun,“ sagt de Vries, der in Unterfranken lebt. Allerdings: Sein Münsteraner „Sanctuarium“ blieb freilich unangetastet: Zwar hätten Graffiti-Sprayer die umgebende Backsteinmauer besprüht, „was nicht schön ist, aber man schaut darüber hinweg und die Natur ist da. Das jetzt in Stuttgart ist viel viel schlimmer“. Im Grunde müsse das Konzept nun wieder bei Null beginnen – „aber für wie lange?“

Die Reaktionen auf sein Werk waren 1993 durchaus gespalten, erinnert er sich: „Man weiß schon jetzt, was kommt, haben die Zeitungen damals geschrieben – Unkraut!“ Allerdings: In Zeiten des Baubooms, des Landverbrauchs und der vielfältigen Zerstörung der Natur hat sich die Wahrnehmung seither grundlegend gewandelt: Das „Sanctuarium“ muss heute als visionär gelten. Dass es jetzt abgeholzt wurde, unterstreicht das im Grunde nur.