Die 25-jährige Iris Ebert sprüht Auszüge aus dem Grundgesetz vor öffentliche Orte in Leinfelden. Warum macht sie das? Wir waren dabei und haben ein Video gedreht.

Klima und Nachhaltigkeit: Julia Bosch (jub)

Leinfelden - „Schade, dass der Schriftzug wieder verschwindet“, kommentiert eine Fußgängerin, während sie Iris Ebert beobachtet. Die 25-jährige Studentin sprüht gerade in orangefarbenen Großbuchstaben den ersten Absatz des fünften Artikels aus dem Grundgesetz vor die Leinfeldener Bücherei – wohlgemerkt mit wasserlöslicher Kreide. Kurz danach ist auf dem Boden zu lesen: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Es ist kein Zufall, dass Iris Ebert ausgerechnet diesen Schriftzug vor die Bibliothek sprüht, die Studentin hat sich genau überlegt, wo welcher Artikel des Grundgesetzes hinpasst.

 

Vor dem Leinfeldener Bahnhof steht seit Montag: „Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.“ Vor Briefkästen prangt: „Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.“ Und vor dem Rathaus am Marktplatz stehen die beiden allerersten Sätze aus dem Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“

„Viele hatten das Grundgesetz noch nie in der Hand“

Die Aktion hat nichts mit illegalem Graffiti, sondern mit Kunst und mit Politik zu tun. Iris Ebert, eine gebürtige Leinfeldenerin, studiert Public Interest Design in Wuppertal. In dem Master-Studiengang geht es darum, gesellschaftlich relevante Themen im Stadtraum sichtbar zu verankern. „Zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes ist mir aufgefallen, dass unter anderem viele von meinen Kommilitonen das Grundgesetz noch nie in der Hand gehabt oder gar gelesen haben“, berichtet Iris Ebert. „Und gerade in politisch schwierigen Zeiten ist es wichtig, das Grundgesetz wieder ins Gedächtnis der Menschen zu rufen. Es ist schließlich das Fundament für das Zusammenleben in Deutschland.“ Nach der Ideenentwicklung mit ihren Professoren und Kommilitonen in Wuppertal musste Iris Ebert noch klären, ob sie einfach so Schriftzüge an öffentliche Orte in ihrer Heimatstadt Leinfelden sprühen darf. „Weil ich nicht genau wusste, wie so etwas abläuft und ob ich einen Antrag stellen muss, bin ich mit meinem Freund einfach ins Rathaus in Leinfelden gegangen und habe nachgefragt.“ Bereits nach einem Tag hatte die 25-Jährige eine mündliche Zusage für die Aktion, kurz danach auch die schriftliche.

Drei Tage lang hat Iris Ebert anschließend gebraucht, um die Vorlagen für die sieben Schriftzüge mit einem Plotter auszuschneiden. Außerdem hat sie bei der Landeszentrale für politische Bildung mehrere Ausgaben des Grundgesetztes bestellt; die gibt es kostenfrei. Die Büchlein hat die ehemalige Schülerin des Immanuel-Kant-Gymnasiums neben allen sieben Schriftzügen in Tüten bereit gelegt. „Wer mag, darf sich einfach ein Exemplar mitnehmen“, sagt sie.

Neben den Schriftzügen liegen Grundgesetze für Interessierte

Iris Ebert hofft, dass bei den Menschen, die an den aufgesprühten Schriftzügen vorbeikommen, ein Denkprozess beginnt. „Im Optimalfall überlegen sich die Leute, dass sie sich das Grundgesetz mal anschauen könnten. Oder sie beginnen darüber zu diskutieren“, sagt sie. Bei der Fußgängerin, die der 25-Jährigen vor der Bücherei am Neuen Markt zusieht, hat die Aktion jedenfalls gewirkt. Bevor sie sich verabschiedet, sagt sie zu Iris Ebert: „Das ist eine tolle Aktion. Demokratie gibt es eben nicht gratis.“