Das Rotlichtviertel ist, was Bars und Laufhäuser betrifft, stillgelegt. Mit Fantasie bringt der Fotograf Lutz Schelhorn Kunst in die Altstadt. Am Samstag startet sein Projekt „Fotos im Fenster“. 25 Locations machen im Ausnahmezustand mit.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Eine analoge Ausstellung mitten im Lockdown? Ohne digitale Übertragung? Geht das? Der Fotograf Lutz Schelhorn will beweisen, wie eine kulturell ausgehungerte Stadt doch noch an Kunst kommt, ohne ins Netz gehen zu müssen. Der 62-Jährige hat sich eine Corona-konforme Art ausgedacht, um seine Werke zu zeigen. In der Pandemie bleibt den Menschen nicht viel. Spazieren darf man in kleinen Gruppen – nun können wir mitten in Stuttgart spazieren und dabei auch noch Kultur erleben.

 

Von den Philharmonikern bis zum Eros-Center

Am Samstag startet das spannende Projekt „Fotos im Fenster“. Die Begeisterung ist groß. Nahezu alle Anwohner der Leonhardsvorstadt, die Schelhorn angesprochen hat, machen mit. „Es gab nur eine einzige Absage“, berichtet der Fotokünstler. Von der Uhu-Bar bis zum Kulturkiosk im Züblin-Parkhaus, von den Stuttgarter Philharmonikern im Sieglehaus bis zum Clubhaus der Hells Angels, von der Table-Dance-Lokal Messalina bis zum Eros-Center Edelweiß – 25 Locations sind dabei, stellen ihre Fenster für insgesamt 45 Werke zur Verfügung. „Sinn des Projekts ist es, Passanten überraschende optische Momente zu gönnen und sie gedanklich aus der Tristesse herauszuführen“, erklärt Lutz Schelhorn, „wie in einem Film im Kopfkino.“

Eröffnungsrede von Joe Bauer im Netz

Der Bezirksbeirat Mitte hat beschlossen, die Corona-gerechte Fotoausstellung zu bezuschussen. Da alle Bilder – in einer Größe von 20 mal 30 Zentimeter bis 100 mal 150 Zentimenter – von der Straße aus betrachtet werden und die Orte große Abstände haben, kann Schelhorn mit seinem Team die behördlichen Vorgaben sowie die geforderten Hygienekonzepte ohne Probleme erfüllen. Der frühere Präsident der Hells Angels Stuttgart zeigt einen Querschnitt seiner umfangreichen Arbeiten, etwa Fotografien vom alten Stuttgarter Hauptbahnhof, Porträts unter anderem von Manfred Rommel (Schelhorn durfte ihn daheim in Sillenbuch in der Jogginghose ablichten), Werke aus der Reihe „Die letzten Krieger“ und vieles mehr.

Ausstellung ist der an Corona verstorbenen Mutter gewidmet

Wie lange die Ausstellung geht? „Bis zum Ende des Lockdowns“, antwortet der Künstler – einen genauen Termin weiß er also nicht. Lutz Schelhorn will in der Pandemie ein Zeichen setzen – und weist gleichzeitig auf das große Leid hin, das die Krankheit bei Tausenden von Familien verursacht. Seine 83-jährige Mutter ist Anfang des Jahres an Corona gestorben. In der vergangenen Woche hat die Familie sie beerdigt. „Wir durften sie nicht im Krankenhaus besuchen“, sagt er. Oft denkt er daran, wie sie ihre letzten Tage allein ohne Kontakte verbringen musste. Das zerreißt ihm das Herz. Die Ausstellung, die am Samstag virtuell mit der Rede von Autor Joe Bauer unter www.lutz-schelhorn.de eröffnet wird, widmet Lutz Schelhorn seiner verstorbenen Mutter.