Die Kunsthalle Baden-Baden wurde komplett umgebaut für die spannenden Schau „Psyche als Schauplatz des Politischen“. Mal sitzt man im Wohnzimmer, mal steht man am Pool – und in der Gummizelle darf man sich sogar den Frust von der Seele schreien.
Baden-Baden - Bei echten Katastrophen ist der beste Therapeut machtlos. Liz Magic Laser versucht es dennoch. „Spüre deinen Körper“, sagt eine Stimme, „spüre deinen Geist, deinen Atem. Versuche, ganz hier zu sein.“ Dieses Hier ist in der Kunsthalle Baden-Baden, in der die amerikanische Künstlerin zur Gruppentherapie lädt. In ihrer Videoinstallation „Primal Speech“ spielen Schauspieler eine besondere Therapiesitzung nach, bei der sich die Teilnehmer den Frust über die Politik von der Seele reden und schreien können. Und da Laser Amerikanerin ist, geht es bei allen Klienten um einen: Donald Trump. „Es macht mich wütend“, sagt eine Frau, „die Leute unterstützen ihn blind, weil er sagt, was sie hören wollen.“
Das Seelenleben des Einzelnen und die große Politik hängen zusammen, das ist zumindest die These der neuen, höchst sehenswerten Ausstellung in der Kunsthalle Baden-Baden. „Psyche als Schauplatz des Politischen“ nennt sich der Titel, der sperriger klingt als das, was der Kurator Johan Holten und sein Team zusammengetragen haben. Bei der Arbeit von Liz Magic Laser würde man sich am liebsten direkt dazulegen auf den weichen Teppich, sich eines der Polster oder eine Nackenrollen schnappen, atmen, spüren und seine Hilflosigkeit angesichts politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen herauskübeln. Im Mai wird die Künstlerin tatsächlich eine Art Urschreitherapie zur aktuellen politischen Lage fürs Publikum veranstalten.
Die Kunsthalle hat sich verwandelt: man sitzt man im Wohnzimmer oder steht am Pool
Die Kunsthalle Baden-Baden ist nicht mehr wiederzuerkennen – und macht bewusst, wie spröde Ausstellungen oft sind, in denen sich nackte, kalte Ausstellungsräume aneinanderreihen oder man in unwirtlichen schwarzen Videokojen steht. In der Kunsthalle Baden-Baden taucht man dagegen förmlich ein in die Kunst, wandelt durch aufregende Erlebnisräume. Plötzlich steht man in einem Wohnzimmer, setzt sich wie daheim aufs Sofa und schaut fern. Der Film „Spring“ von Omer Fast ist spannend wie ein Krimi und beunruhigend wie ein Thriller, dabei sieht man eigentlich nur ein Paar, das Besuch bekommt vom Sohn, der als Soldat in Afghanistan im Einsatz war. Doch Krieg und Frieden, Weltpolitik und private Abgründe prallen auf spannungsgeladene Art aufeinander.
Dann finde man sich vor einem Swimmingpool wieder, den Samara Golden in die Kunsthalle gebaut hat – und tatsächlich scheint man am Boden des Beckens zu stehen und hinauszuschauen zu den plätschernden Badegästen. Beim Blick nach unten kehrt sich die Perspektive dagegen um, man schaut von oben ins Bad. Verkehrte Welt – und gekonnte Irritation.
Wo Gustaf Gründgens in Therapie ging
Weiter geht es in das Audienzzimmer des Doktor Binswanger, der in der psychiatrischen Heilanstalt Kreuzlingen einst prominente Patienten wie Gustaf Gründgens oder Ernst Ludwig Kirchner therapierte. Die Künstlerin Heidi Bucher hat mit Gaze und flüssigem Latex einen Stoffabdruck der Wände hergestellt – und tatsächlich erkennt man in dem geisterhaften Stoffzimmer die Holztäfelung und ahnt, wie viele Sorgen und Nöte sie gehört hat, ihr quasi eingeschrieben wurden.
Nicht immer lässt sich an den Arbeiten der unmittelbare Zusammenhang von Psyche und Politik ablesen, aber die These ist ein Türöffner zu den Werken und ermöglicht neue Perspektiven. Wenn Jim Shaw Bilder aus seinen Träumen nachbildet zu kuriosen, abgründigen Objekten und in der Luft baumelnden Männerbeinen mit angefressenen Schuhen, so dominiert das individuelle Erleben.
Der Umgang mit der Psyche hängt von Kultur und Religion ab
Zwischen die zeitgenössischen Arbeiten wurden in die Schau aber auch Zeichnungen von Psychiatriepatienten aus der Sammlung Prinzhorn gehängt. Wilhelm Werner hat sich Mitte der dreißiger Jahre nackt und schutzlos dargestellt, während ihn eine Diakonisse bedrängt. Ihre Armbinde mit dem Hakenkreuz wirft bereits ein Licht voraus auf sein Schicksal. Er wurde später in der Tötungsanstalt Pirna Opfer des Euthanasieprogramms der nationalsozialistischen Politik.
So ist die Ausstellung nicht nur extrem sinnlich, die Installationen, Videoarbeiten oder Fotografien ziehen einen ganz unmittelbar in ihren Bann, es eröffnen sich an vielen Stellen auch erhellende Gedanken über die eigene Einschätzung, was Psyche meint. Der französische Künstler Kader Attia hat für seine Videoinstallation „Reason’s Oxymorons“ zahlreiche Interviews geführt mit Imamen, Therapeuten, Historikern und Psychologen. Der Umgang mit dem Seelenleben, so sein Fazit, ist abhängig von Kultur und Religion. So kuriert eine afrikanische Heilerin, die zahlreiche Kräuter und Mittelchen gegen Krankheiten kennt, Depressionen auf besondere Weise: Man müsse ein Tier opfern, das Blut sammeln und dem Depressiven über den Kopf gießen.