Das Duo Korpys/Löffler sucht in der Kunsthalle Tübingen nach Herrschaftsstrukturen und landet in einem schlechten Agententhriller.

Tübingen - Dieser Fußball hat es in sich. Er kann der Welt den goldenen Schuss versetzen und sie auslöschen. „Nuclear Football“ nennen Militärs den Koffer, der die verschlüsselte Startvorrichtung für Amerikas Atomraketen enthält. Auf jeder Auslandreise begleitet er den US-Präsidenten. Die Lächerlichkeit dieses Rituals aus dem Kalten Krieg offenbart sich in einem Video des deutschen Duos Korpys/Löffler. Das Sinnbild einer Macht, die stets zum Schlag bereit ist, entpuppt sich als modisch fragwürdiges Herrenaccessoire. Mit seinem gebrochenen Herrschaftspathos entwickelt das Zweigespann in der weitläufigen Ausstellung der Tübinger Kunsthalle eine alternative Bildpolitik.

 

Andree Korpys und Markus Löffler unterrichten als Professoren an der Kunsthochschule Bremen. Überregional bekannt ist besonders ihr filmisches Schaffen. Dabei tun die beiden auf den ersten Blick nur das, was gewöhnliche Fernsehkameras auch tun. Sie begleiten Präsidenten auf Staatsbesuch, filmen Demonstrationen oder berichten über geheimdienstliche Ermittlungen. Doch inszenierte Elemente lenken die sachliche Perspektive ins Ironische um.

Ein Parcours aus Film, Fotografie und Installationen

Wenn in „Nuclear Football“ George W. Bush zu militärischer Marschmusik über den roten Teppich schreitet, schleicht sich eine Mischung aus Neugier und Unbehagen ein, wie man sie in der „Tagesschau“ kaum empfunden hätte. Die Betrachteraugen kennen nur eine Frage: Wo ist der Koffer? Er wird zu einer modernen Büchse der Pandora, deren apokalyptisches Zerstörungspotenzial durch den gesamten Film spukt. Obwohl bereits 2004 entstanden, hat die Arbeit angesichts nordkoreanischer Raketentests und der Unbeherrschtheit des gegenwärtigen US-Präsidenten ihre Aktualität nicht verloren. Allerdings verlangt der Parcours aus Film, Fotografie und Installationen vom Besucher viel Zeit und Bereitschaft, sich in die Hintergründe einzulesen. Nach dem überraschenden Abgang von Kunsthallenchef Holger Kube Ventura im Frühjahr wurde die Gastkuratorin Sabine Maria Schmidt kurzfristig mit der weiteren Organisation der Schau beauftragt. Vielleicht ist das der Grund, weshalb man beim Rundgang die klare Argumentationslinie vermisst.

Nur Andeutungen und offene Fragen

Eine solche wäre aber auch nichts, worauf Korpys/Löffler abzielten. Seit den Anfängen der gemeinsamen Arbeit in den 90er Jahren kreist ihr Schaffen stets um Fragen der Repräsentation von Staatsgewalt, wobei die Künstler das Zentrum absichtsvoll leer lassen. Trotzdem kann die erzählerische Hinhaltetaktik der Andeutungen, der Assoziationsangebote und der verweigerten Auflösungen auf Dauer ganz schön nerven. So fühlt man sich wie in einem misslungenen Agententhriller, bei dem rasch der rote Faden verloren geht.

„Personen Institutionen Objekte Sachen“: Dieser schmucklose Titel einer mehrteiligen Videoinstallation überschreibt auch die gesamte Werkauswahl. Dahinter verbirgt sich der Name einer Datenbank des Bundeskriminalamts, die der legendäre RAF-Jäger Horst Herold begründet hat. Denn nicht zuletzt am Beispiel des Terrorismus rollen die Künstler die Bürokratie der Überwachung auf. Mit einer monumentalen dreiteiligen Videoinstallation etwa drehen Korpys/Löffler den Spieß um: Die Beobachter sind die Beobachteten. Dezent schleicht die Kamera vor dem Architekturmoloch des Bundesnachrichtendienstes umher, dann folgen plötzlich Aufnahmen von Zigarettenstummel, Latexhandschuh und Kreuzworträtsel. Was sich die Fantasie als die Indizien einer Attentatsplanung ausmalt, ist banaler Alltagsabfall – gesammelt im Umfeld des Geheimdienstkomplexes.

Eigens für die Schau recherchierten Korpys/Löffler auch über eine Tübinger Wohnung, die der RAF als Unterschlupf diente. In der peniblen Rekonstruktion eines Bücherregals verstecken sie Textzitate über die dubiose Verflechtung des Terrors mit den Geheimdiensten, wie es sie beim NSU gab. Die Grenzen von Staat und Staatsgegnern verschwimmen.

Film über einen Castortransport

Der Nebel einer rein ästhetischen Zweideutigkeit legt sich dagegen über die ideologischen Gräben in „Atom“. Diese filmische Begleitung eines Castortransports aus dem Jahr 2010 ist der einzige in sich gerundete Beitrag der Ausstellung. Erneut glaubt man anfangs, eine Dokumentation zu sehen. Bis es Nacht wird und die harte Realität in eine bizarre Traumstimmung hinübergleitet. Die Polizisten langweilen sich, einige agieren regelrecht hypnotisch verlangsamt. Als würden die Repräsentanten des Überwachungsstaats gleich vom Schlaf übermannt. Gleichzeitig erscheinen die Folien, die die Atomkraftgegner im Camp zurückgelassen haben, wie verhexte Riesenblumen, die leise im Nachtwind tanzen. Das geräumte Protestcamp im Wendland ist zu einem Märchenwald geworden. Ein Bild, dessen Unschuld verstört.