Für das Kunstprojekt „DAU Freiheit“ des russischen Filmemachers Ilja Khrzhanosvky soll demnächst mitten in der Bundeshauptstadt ein Areal abgesperrt werden. Auf diese Weise will er die Erinnerung an die DDR wachrufen und ein Leben wie in der Diktatur nachstellen. Ob das klappt?

Berlin - Die Faszination eines Großprojektes liegt oft nicht nur in der Idee, sondern auch in dessen Kühnheit. Wie soll das denn klappen? Das fragt man sich auch angesichts der Pläne für das mysteriöse Kunstprojekt „DAU Freiheit“, für das nun in Berlin wieder eine Mauer gebaut werden soll: ein bisschen Fake-DDR mitten im geschichtsgetränkten Kern, ein Vorhaben mit Assoziations- und Aufmerksamkeitsgarantie.

 

In Berlin hat man viel Erfahrung mit hochfliegenden, aber flügellahmen Plänen – die Erledigung der Volksbühne steckt vielen in den Knochen. Der Dauereventismus wirkt ebenso ermüdend wie die Benutzung der Stadt als Kulisse für „Dark Tourism“ . Wenn dann einer kommt wie Kai aus der Kiste, mit einer wilden Idee, ein paar Namen und einem russischen Multimillionär als Financier, dann kann man auch anders fragen: wer sagt eigentlich, dass so etwas überhaupt klappen soll?

Ein russischer IT-Millionär spendiert die Spesen

Worum es geht: Vor zwei Wochen wurde die Stadt von der Nachricht überrascht, dass hier bald wieder eine Mauer steht – was eine grobe Verkürzung ist. Für das Kunstprojekt „DAU“ soll vom 12. Oktober bis zum 9. November ein Stück Stadt rund um Staatsoper und Bebelplatz eingemauert und so zu einer abgeriegelten Zone deklariert werden, in der man nur durch Preisgabe von persönlichen Informationen Zutritt erhält. Zu erfahren war das all das nur, weil Medien Wind von der Sache bekamen. Wenn es nach den Wünschen der Macher gegangen wäre, hätte plötzlich über Nacht eine Mauer mitten in Berlin gestanden.

Ebenfalls aus der Zeitung erfuhr man, dass der russische Filmemacher Ilja Khrzhanovsky für das private Projekt verantwortlich zeichne, dass der russische IT-Multimillionär Sergej Adoniev die 6,6 Millionen Euro Kosten privat finanziere und dass die Berliner Festspiele als Veranstalter fungieren, eine Einrichtung des Bundes. Was hinter der Mauer geschieht, das klingt in den dann nachgereichten Informationstexten so: Man wolle einen Erlebnisraum schaffen und gleichzeitig „historische Echoräume“ öffnen für eine Debatte über Freiheit und Totalitarismus, Überwachung, Zusammenleben und nationale Identität. Die Macher sprechen von einem „gesellschaftlichen Experiment“, was logisch erscheint, wenn man dessen Herzstück betrachtet: „DAU“ hat eine mehr als zehn Jahre alte Geschichte. Es ist der Name des komplett ausgeuferten Filmprojekts, in dem es ursprünglich um den Physiknobelpreisträger Lev „Dau“ Landau gehen sollte. Aus der Idee wurde etwas, das man am ehesten als künstlerisches und soziales Experiment bezeichnen kann.

Gefilmt wurde immer, Privatheit gab es nicht

Khrzhanovsky baute nahe Charkow in der Ukraine auf 12 000 Quadratmetern ein geschlossenes Filmset, eine Art Parallelrealität. 400 Laiendarsteller lebten zwischen 2009 und 2011 darin und folgten dem Filmemacher auf eine Zeitreise von 1938 bis 1968. Sie tauchten mit Haut und Haar in diese konstruierte Welt ein. Gefilmt wurde alles, immer, Privatheit gab es nicht. Künstler wie Marina Abramovic und Peter Sellars, Wissenschaftler wie Carlo Rovelli und David Gross beteiligten sich. Über das, was sich am Set ereignet haben soll, gibt es wilde Gerüchte. Seit Jahren heißt es nun, demnächst werde das Werk veröffentlicht. Einige wenige der angeblich intensiven Bilder sind auf einer Website zu sehen.

Aber wie will man 700 Stunden solchen Materials fassen? Vielleicht ist das die Antwort auf die Frage, warum das Berliner Projekt entstanden ist: Den Raum für solche Bilder muss man sich konstruieren. Hinter der Mauer nämlich sollen neben Performances oder Konzerten vor allem erstmals die 13 Kinofilme und Serienformate zu sehen sein, eine „Weltpremiere“. Angedockt wird auch an die soziale Komponente des Werks: Wer das Gelände betreten möchte, muss sich online anmelden und Informationen über sich preisgeben, um ein zeitlich begrenztes Visum zu beantragen. Hinein kommt der Besucher durch eine Tiefgarage. Vor Ort wird das Handy eingesammelt und gegen ein Smartphone ohne Netz getauscht, das jedem Gast befiehlt, was er tun soll. Dazu könnte gehören, dass er zum Beispiel Marina Abramovic begegnet, einen Film schaut, zu einem Zweiergespräch in eine der eingebauten Kabinen geschleust wird. Die Berliner Installation soll Nachfolgeprojekte in Paris und London haben und so einen Dreiklang bilden, der für Freiheit, Brüderlichkeit, Gleichheit steht. Was dort geplant ist? Es gibt viele Fragen zu „DAU“ – und wenige Antworten.

Die Genehmigungsbehörde sieht sich überfordert

Die Festspiele, die mit ihrer Programmplanung bisher nicht als besonders klandestin aufgefallen sind, versuchen inzwischen, Transparenz herzustellen. Ihr Intendant Thomas Oberender sagte unserer Zeitung: „Leider gibt es viele Missverständnisse zu dem Projekt. Schlagzeilen darüber, dass die Mauer wieder aufgebaut werde, polarisieren unvermeidlich, auch wenn sie ja ein Symbol bleibt und die DDR nicht wiederkehrt in dem Projekt.“ Er spricht von einem „narrativen Raum“, in dem Platz sei für „individualisierte Erfahrung.“ Oberender verweist auch darauf, dass das Projekt weder neu noch geheim sei.

„DAU“ sollte ursprünglich schon 2017 rund um die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz entstehen. Es war für die Interimszeit vor dem Beginn der Intendanz von Chris Dercon gedacht – als Anmietung des Theaters. Als die Pläne dort sich zerschlugen, habe der Unterstützerkreis des Projekts nach einem neuen Ort gesucht, so Oberender. Als er gemerkt habe, welche Dimension das Projekt annehme, habe er vorgeschlagen, dass die Berliner Festspiele die Veranstalterrolle übernehmen könnten.

Auch die Antwort auf die wichtigste Frage fehlt noch, einen Monat vor dem Start: Kann das klappen? Dazu bräuchte man die Genehmigung des Bezirks Mitte, der für Sicherheit, Ordnung und Verkehr zuständig ist – und der erst vor kurzem den Antrag überhaupt auf den Tisch bekam. Die Zeit für das Genehmigungsverfahren sei „definitiv zu kurz“, sagte jetzt die zuständige Stadträtin. Offenbar sind auch die Vertragsverhandlungen zwischen Adonievs Phenomen Filmproduktions GmbH und den Berliner Festspielen noch nicht ganz abgeschlossen, worauf interessanterweise die Festspiele selbst auf ihrer Website hinweisen. Dort prangt auch der Hinweis: „In Planung“. Das klingt in Berlin nicht immer wie etwas Gutes.