In der Pandemie geht die bewährte Produktion, in der Laien und Profis zusammenarbeiten, neue Wege – nicht nur was den Spielort angeht. Wie eine künstlerische Performance unter Corona-Bedingungen aussehen könnte, ist aber noch nicht klar.

Digital Desk: Michael Bosch (mbo)

Ludwigsburg - Es gab Zeiten, da waren bis zu 200 Darsteller beim Bürgertheater in Ludwigsburg dabei. In Zeiten von Corona sind solche Massenaufläufe mit Laien und Profis nicht denkbar. Die Macher unter dem Dach der Tanz- und Theaterwerkstatt (TTW) lassen sich davon aber nicht aus dem Konzept bringen, sie haben sich die geltenden Regeln, die die Pandemie mit sich bringt, sogar ein Stück weit zu eigen gemacht. Bettina Gonsiorek, TTW-Chefin und Teil des dreiköpfigen Leitungsteams des Bürgertheaters, hat für sich beschlossen, dass die Pandemie „auch befruchtend“ sein kann.

 

Die Theatermacher sind der Meinung, dass der dringende Bedarf bestehe, gerade in Zeiten der Pandemie, gemeinsame Orte der Begegnungen und des Austausches zu schaffen. Deshalb liegt bei der aktuellen Produktion der Schwerpunkt erst einmal darauf herauszufinden, was Ludwigsburg ausmacht und seine Bürger umtreibt.

Drei Stadtteile machen den Anfang

In Neckarweihingen, Eglosheim und der Oststadt hat sich das Künstlerteam im Rahmen von „Eins-zu-eins-Spaziergängen“ auf die Suche nach spannenden Geschichten und Menschen, nach Verrücktheiten und Möglichkeiten gemacht. Die Bewohner sollen ihre Visionen, Utopien – daher rührt der Titel des Projekts „L’Utopia“ – für das jeweilige Stadtquartier entwerfen. Neben Fragen zum gesellschaftlichen Zusammenleben (Wie kann in der Pandemie Gemeinschaft entstehen? Kenne ich meine Nachbarn überhaupt?) sammelt das Team auch Ideen, wie öffentliche Plätze und Parks zurückerobert werden könnten.

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„Es zeigt sich bereits jetzt, dass die Leute da ganz unterschiedliche Sachen umtreiben“, sagt Bühnen- und Kostümbildnerin Gesine Mahr. So würden sich viele Neckarweihinger nach einem Zugang zum Fluss, wie es ihn früher gab, sehnen. Einige Eglosheimer träumen hingegen von einem Biergarten auf dem Kelterplatz. Ausgehend von den Spaziergängen sollen im nächsten Schritt geführte Touren erstellt werden. Möglich werden die wohl erst einmal nur mit einer App sein. „Aber natürlich soll das, sobald es möglich ist, in ein Live-Event überführt werden“, sagt Regisseur Axel Brauch. Denkbar seien geführte Touren, bei denen die Teilnehmer dann mit Künstlern interagieren.

Niemand wird benachteiligt

Wann das so weit sein könnte? Diese Frage können die Verantwortlichen nicht beantworten. „Wir wissen noch nicht einmal, wo genau das alles hinführt“, sagt Brauch. Zum Abschluss sei in jedem Stadtteil eine Art Aktionswoche angedacht. Auch ohne ein „theatrales Moment“ erhoffen sich Gonsiorek, Mahr und Brauch, dass im Laufe des Projekts trotz der Pandemie und des gebotenen Abstands „Orte der Begegnung und des sozialen Miteinanders“ entstehen.

Die Stadtteilbewohner sollen die Möglichkeit bekommen, „mit künstlerischen Mitteln die Zukunft ihres Orts selbst in die Hand zu nehmen“. An dem Projekt sind 20 bis 30 Profis beteiligt, ob es mehr werden, hänge auch davon ab, wie viel Fördermittel noch bewilligt werden, sagt Bettina Gonsiorek. „Wir haben bislang vor allem an die Künstler gedacht, die ein schwieriges Jahr hinter sich haben“, sagt Brauch.

Die Resonanz auf L’Utopia ist bislang gut. Schon jetzt würden sich Bewohner aus anderen Stadtteilen, in denen das Künstlerteam noch nicht unterwegs ist, melden und darauf hinweisen, dass es auch vor ihrer Haustür Spannendes zu entdecken gibt. Die Theatermacher versprechen aber: Bis 2023 werden sie sich überall in Ludwigsburg umschauen. Zu kurz kommen soll niemand.

Infos

Das Bürgertheater wurde 1988 von Rainer Kittel und Christine Macco gegründet. In den spartenübergreifenden Theaterproduktionen arbeiten seitdem Amateure und Profis zusammen. Die zeitgemäß bearbeiteten Stücke greifen inhaltlich Fragen der Gegenwart und die Vielfalt des städtischen Lebens auf.

Zum aktuellen Projekt wird es bald eine Website mit Informationen, Kontakten, Chaträumen und Terminen geben. Im Mai und Juli finden außerdem verschiedene Online-Workshops zu Themen wie utopischem Schreiben, Tanz und Architektur oder Fotografie statt. Der weiteren Ideenfindung in Kooperation mit Künstlern seien fast keine Grenzen gesetzt, heißt es in der Pressemitteilung zum Projekt. Unter anderem werden Urban Gardening, ein Zirkusprojekt mit Kindern oder Aufnahmen von Klängen des Stadtteils genannt.