Kultur: Adrienne Braun (adr)

„Mit dummen Fragen fängt jede Revolution an“, hat Joseph Beuys einmal gesagt. Eine dieser dummen Fragen könnte lauten: Wozu wird Kunst eigentlich ausgestellt? Bei der traditionellen Präsentation von Museumssammlungen ist das leicht zu beantworten: Man will Kunstgeschichte vermitteln, also Stile und Schulen, Epochen, Genres und Techniken. Selbst wenn hier ein wenig Wandfarbe eingesetzt wird und dort Werke inszeniert werden, bildet der kunsthistorische Kanon den Rahmen. Diese wissenschaftliche Ausrichtung führt dazu, dass das Gros der deutschen Kunstausstellungen rückständig ist – aus Überzeugung. Es werden Bilder an die Wand gehängt und Skulpturen auf Sockel gestellt – fertig. Saaltexte und Audioguides sind die einzigen Zugeständnisse an moderne Ausstellungsgestaltung. Wer je gesehen hat, wie lebendig und vielseitig heute kulturhistorische Ausstellungen gemacht sind, staunt, wie staatstragend und steif die bildende Kunst dagegen zelebriert wird.

 

Aber auch hier werden Diskussionen schnell als Verrat an der hehren Kunst gedeutet – und die traditionelle Ausstellung gilt weiterhin als Maß aller Dinge. Ketzerisch gesagt, unsere Gesellschaft leistet sich Museen, damit die Besucher nachplappern können, dass es Früh-, Hoch- und Spätbarock gibt und sich Symbolismus und Fauvismus als Gegenbewegung zum Naturalismus entwickelt haben. Aber ist es nicht tragisch, „Meisterwerke“, „Schätze“ und „Glanzstücke“ auf den kunsthistorischen Diskurs zu reduzieren? Und darf es sich eine aufgeklärte Gesellschaft heute noch erlauben, nur autorisierten Sprechern das Reden über Kunst vorzubehalten?

Was Aufgabe kultureller Bildung wäre

Die Unesco ist deutlich weiter als manche Akteure der großen Institutionen. Sie geht davon aus, dass kulturelle Bildung hilft, „die sozialen Aufgaben und kulturellen Herausforderungen überall auf der Welt zu bewältigen“. Durch die Beschäftigung mit Kultur könnten sich Menschen bessere Bildungschancen eröffnen. Das meint aber definitiv nicht die Vermittlung von kanonischem Faktenwissen. Kunst ist ein Spielfeld, um eine konstruktive Streitkultur zu befördern. Kunst schärft die Urteils- und Kritikfähigkeit. Es gibt längst Kunstvermittlung, welche die diversen kulturellen Hintergründe und Lebenswelten der Besucher bewusst in die Kunstbetrachtung einbezieht. Die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe begreift Dissenz als entscheidende Grundlage für künftige Gesellschaftsmodelle. Und Kunst hat das Potenzial, den Menschen zu vermitteln, dass das Fremde, Irritierende, Verstörende sogar eine Bereicherung sein kann.

Über bildende Kunst aber wird nicht gestritten. Man beschreibt sie, man fühlt sich ein, man lobt und schätzt sie – oder hält sich notfalls diskret zurück. Aber kontroverse Debatten? Harte Diskussionen, ob dieser Künstler ins Museum gehört oder jenes Werk seinen Preis wert war? Es gibt sie nicht, schon gar nicht öffentlich.

Kritische Auseinandersetzung ist nicht erwünscht

Das hat gute Gründe. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Kunst soll nicht stattfinden, denn sie wäre geschäftsschädigend. Anders als bei Literatur oder Theater geht es in der Kunst um enorme Werte, um Geld. Die einen wollen Werke zu guten Preisen verkaufen, die anderen hoffen auf eine Wertsteigerung ihrer Kapitalanlagen. Das gilt nicht nur für den Markt. Auch Museen könnten schnell unter Legitimationsdruck geraten, wenn die Qualität von Neuerwerbungen oder favorisierten Positionen öffentlich infrage gestellt würde. Ein Museumsdirektor dürfte niemals einräumen, dass die hauseigene Sammlung nur Mittelmaß ist – selbst wenn dem so wäre.

Überall dort, wo es um Kunst geht, ist man redlich bemüht, deren Qualität und Bedeutung herauszustellen – am besten so überzeugend, dass sich kein Widerspruch regt. Das wichtigste Forum, in dem über Kunst gesprochen wird, ist die Führung. Dabei handelt es sich aber keineswegs um ein Gespräch. Der Name sagt es schon: die Teilnehmer werden geführt, geleitet, sie dürfen Fragen stellen, aber es handelt sich nicht um eine Begegnung auf Augenhöhe. Die Meinung des Publikums ist nicht gefragt, sondern ein autorisierter Sprecher führt das Wort. Er gibt vor, wie über die Kunst gesprochen wird. Dieser Diskurs ist selbstverständlich akademisch-kunsthistorisch. Es geht um Stile, Epochen, Jahreszahlen und Ismen, und es werden Fachtermini gebraucht wie Duktus, Sfumato und Kolorit, Inkarnat und Ikonografie.

Dabei könnte alles so inspirierend sein

Sammler erwähnen gelegentlich ihren persönlichen Geschmack, ansonsten wird über Kunst kunsthistorisch gesprochen. Dabei ist das keineswegs zwingend. Die Kunsthalle Karlsruhe hat in der Ausstellung „Unter vier Augen“ Porträts unter anderem von Schriftstellern beschreiben lassen – und diese geistreichen und schönen Kommentare gaben eine Ahnung davon, wie inspirierend Kunstbetrachtung sein kann, wenn sie nicht den autorisierten Sprechern, also den Kunsthistorikern, überlassen wird.

Vernissagenbesucher stören sich zwar häufig an den akademischen und expertenhaften Einführungsreden, aber es hat sich eben eingebürgert, dass der Diskurs über Kunst von den Wissenschaftlern und den Kunstinstitutionen bestimmt wird. Ob auf Messen oder in Kunstvereinen, über Kunst sprechen fast ausschließlich Vertreter des Betriebs – Kunsthistoriker, Kuratoren, Händler, Sammler und Künstler.

Der autorisierte Sprecher lenkt den Blick

Immerhin, es gibt ein Forum, das außerhalb des Betriebs steht und sich mit Kunst befasst: das Feuilleton. Zumindest die Kunstkritik kann – idealiter – unvoreingenommen, ohne die Zwänge von Markt und Interessensvertretern analysieren und kritisieren. Bloß: sie tut es immer seltener, weil der Betrieb sich alle Mühe gibt, auch die Kritiker zu „führen“, auch sie für diesen deskriptiven und affirmativen Duktus zu gewinnen. Es mag wie eine nette Geste wirken, die Presse durch Ausstellungen zu geleiten, aber die Strategie entspricht derjenigen der Besucherführung, indem wiederum ein autorisierter Sprecher den Blick lenkt und dadurch zwangsläufig die Lesart der Ausstellung vorgibt. Kritik ist natürlich erlaubt, unvoreingenommene Urteilsfindung ist so aber gar nicht mehr möglich.

Die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine vergibt einen der wenigen Preise für Kunstkritik. Bemerkenswert ist dessen inhaltliche Ausrichtung. Man will „den bedeutenden Anteil würdigen, den die Kritik an der Vermittlung anspruchsvoller Kunst hat“. Das ist es, was der Betrieb von der Presse erwartet: Sie soll vermitteln zwischen Institution und Publikum, sie soll die Kunst beschreiben und erklären – und zudem die Gedanken der Kuratoren in die Welt tragen. Die Presse wird als Mitstreiter begriffen im Kampf um die gute Sache, also die hehre Kunst. Sie soll Sprachrohr sein.

Private Profite werden gefeiert

Eine vor ein paar Jahren durchgeführte Umfrage der Columbia University in New York brachte heraus, dass ein Großteil der Kritiker selbst auch keine Kritiker sein wollten, sondern sich den Künstlern und Institutionen verpflichtet fühlten. Das kann man bestens an der Berichterstattung über Auktionsergebnisse ablesen, die sich auf Sensationsmeldungen über „Rekord- und Spitzenpreise“ beschränkt. Strom- oder Telefonpreise, Kosten für Neuwagen oder Urlaubsreisen werden in den Medien stets aus Sicht der Kunden kommentiert, bei Auktionsergebnissen wird dagegen der Gewinn der privatwirtschaftlichen Auktionshäuser gefeiert – und unterstellt, dass der Preis eines Werkes ein Garant für seine Qualität sei. Als wäre es eine kulturelle Errungenschaft, dass ein Triptychon von Francis Bacon für 106 Millionen Euro verkauft wird. Aber wäre es nicht eigentlich wünschenswert, dass sich auch das kleinere Museum oder gar jedermann große Kunst leisten könnte?

Dass selbst Kritiker vor scharfen Analysen von Kunst und Kunstbetrieb zurückschrecken, mag auch an der Angst liegen, dass der Markt einen alsbald Lügen strafen könnte. Aber Deutschland hat obendrein ein besonderes Erbe. In einem Land, in dem die künstlerische Avantgarde als „entartet“ diffamiert wurde, ist man vielleicht zurückhaltender mit Kritik. Wobei die Erwartungshaltung, dass Kritiker als Vermittler zu fungieren haben, ausgerechnet im Nationalsozialismus aufkam. Kunstkritik war für die braunen Machthaber ein Beispiel „jüdischer Überfremdung“, weshalb Goebbels 1936 verfügte, an die Stelle der Kritik solle ab sofort der „Kunstbericht“ treten. Nur noch „Kunstschriftleiter“ mit der „Gesinnung der Nationalsozialisten“ durften sich mit der „Darstellung und Würdigung“ der ohnehin staatskonformen Werke beschäftigen.

Kritiker, Netzwerker, Gutachter, Kurator – in einer Person

Es gehört schon Mut dazu, sich zum Beispiel gegen einen Künstler zu positionieren, der im Betrieb bejubelt wird – erst recht, wenn man selbst nicht unabhängig ist. In kaum einer anderen Branche gibt es so viele Interessenkonflikte wie in der Kunstszene. Werner Spies ist ein typisches Beispiel. Als Journalist wahrte er nicht etwa Distanz zu Künstlern und Institutionen, sondern knüpfte Kontakte und Freundschaften. Er schrieb wiederholt über bestimmte Künstler – und machte sich so zum Experten, so dass er bald auch Werkverzeichnisse erstellte und Ausstellungen betreute. Sein Netzwerk wurde immer dichter, schließlich vermittelte er Bilder, stellte Echtheitszertifikate aus, kassierte Provisionen. Durch den Kunstfälscherskandal um Wolfgang Beltracchi kamen Spies’ Fehler ans Licht, die aber der Betrieb selbst zumindest mitverschuldet hat, indem er seine Allmachtsfantasien förderte.

Im Kunstbetrieb gibt es eine Vielzahl von Freiberuflern, die sich durchzuschlagen versuchen und sich daher auf verschiedensten Feldern tummeln: Sie kuratieren Ausstellungen, schreiben Kritiken, forschen und betreiben vielleicht noch eine Galerie. Sie schreiben Katalogtexte für Kollegen, deren Ausstellungen sie gleichzeitig rezensieren. Kritiker seien für ihn „Teil des Betriebs und denken immer vor allem daran, welche Optionen sie sich in der Kunstwelt noch offenhalten können“, meinte ein Londoner Galerist vor einiger Zeit. Viele der Akteure des Betriebs sind diejenigen, die ihn unabhängig analysieren sollten.

Unabhängigkeit wird gar nicht angestrebt

Ganz selbstverständlich hat sich inzwischen die Doppelfunktion von Kritiker und Kurator eingebürgert. Gerade in Berlin tummeln sich viele Kunsthistoriker, die sowohl schreiben als auch Ausstellungen machen. Verständlich, denn in Frankfurt oder an der Ruhr-Universität Bochum wird „Kuratorisches Wissen“ im Verbund mit Kunstkritik gelehrt. In der Ausbildung erscheint das sinnvoll. Nicht nur der Kurator muss in der Lage sein, Inhalte in einer Ausstellung so zu präsentieren, dass sie das Publikum erreichen. Auch der Kritiker muss die wissenschaftliche oder künstlerische Bedeutung der Exponate erfassen, aber eben auch beurteilen können, ob die Ausstellung schlüssig inszeniert wurde. In der Praxis kann diese Doppelfunktion allerdings zu Problemen führen: Denn wie will man die Arbeit von Häusern kommentieren, auf deren Aufträge man angewiesen ist? Nicht nur die Juroren des ADKW-Kritikerpreises, sondern auch viele der Preisträger sind Journalisten und zugleich Ausstellungsmacher – eine scharfe Trennung und Unabhängigkeit wird also offensichtlich nicht angestrebt.

„Niemand fürchtet die Kritiker, das ist ein Alarmsignal für den ganzen Berufsstand“, hat Samuel Keller, der heutige Direktor der Fondation Beyeler in Basel, einmal gesagt. Als er jung war, habe die Kunstkritiker noch eine „Aura von Macht“ umgeben. „Jetzt gleichen sie eher Philosophen – sie werden geachtet, sind aber nicht so mächtig wie Sammler, Händler oder Kuratoren.“ Auch Marc Spiegler, einer der Direktoren der Art Basel, sagt: „Viel zu viel von dem, was heute über Kunst geschrieben wird – vor allem in den Magazinen – ist rein deskriptiv.“

Rückständig aus Überzeugung

„Mit dummen Fragen fängt jede Revolution an“, hat Joseph Beuys einmal gesagt. Eine dieser dummen Fragen könnte lauten: Wozu wird Kunst eigentlich ausgestellt? Bei der traditionellen Präsentation von Museumssammlungen ist das leicht zu beantworten: Man will Kunstgeschichte vermitteln, also Stile und Schulen, Epochen, Genres und Techniken. Selbst wenn hier ein wenig Wandfarbe eingesetzt wird und dort Werke inszeniert werden, bildet der kunsthistorische Kanon den Rahmen. Diese wissenschaftliche Ausrichtung führt dazu, dass das Gros der deutschen Kunstausstellungen rückständig ist – aus Überzeugung. Es werden Bilder an die Wand gehängt und Skulpturen auf Sockel gestellt – fertig. Saaltexte und Audioguides sind die einzigen Zugeständnisse an moderne Ausstellungsgestaltung. Wer je gesehen hat, wie lebendig und vielseitig heute kulturhistorische Ausstellungen gemacht sind, staunt, wie staatstragend und steif die bildende Kunst dagegen zelebriert wird.

Aber auch hier werden Diskussionen schnell als Verrat an der hehren Kunst gedeutet – und die traditionelle Ausstellung gilt weiterhin als Maß aller Dinge. Ketzerisch gesagt, unsere Gesellschaft leistet sich Museen, damit die Besucher nachplappern können, dass es Früh-, Hoch- und Spätbarock gibt und sich Symbolismus und Fauvismus als Gegenbewegung zum Naturalismus entwickelt haben. Aber ist es nicht tragisch, „Meisterwerke“, „Schätze“ und „Glanzstücke“ auf den kunsthistorischen Diskurs zu reduzieren? Und darf es sich eine aufgeklärte Gesellschaft heute noch erlauben, nur autorisierten Sprechern das Reden über Kunst vorzubehalten?

Was Aufgabe kultureller Bildung wäre

Die Unesco ist deutlich weiter als manche Akteure der großen Institutionen. Sie geht davon aus, dass kulturelle Bildung hilft, „die sozialen Aufgaben und kulturellen Herausforderungen überall auf der Welt zu bewältigen“. Durch die Beschäftigung mit Kultur könnten sich Menschen bessere Bildungschancen eröffnen. Das meint aber definitiv nicht die Vermittlung von kanonischem Faktenwissen. Kunst ist ein Spielfeld, um eine konstruktive Streitkultur zu befördern. Kunst schärft die Urteils- und Kritikfähigkeit. Es gibt längst Kunstvermittlung, welche die diversen kulturellen Hintergründe und Lebenswelten der Besucher bewusst in die Kunstbetrachtung einbezieht. Die Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe begreift Dissenz als entscheidende Grundlage für künftige Gesellschaftsmodelle. Und Kunst hat das Potenzial, den Menschen zu vermitteln, dass das Fremde, Irritierende, Verstörende sogar eine Bereicherung sein kann.

Damit die Kunst Teil dieser spannenden gesellschaftlichen Debatten wird, müsste diskutiert statt belehrt werden. Es müsste möglich sein, Werke und Strategien zu hinterfragen. Die Institutionen sollten nicht nur Kritikern ein eigenes Urteil ermöglichen, sondern sogar befördern. Vor allem aber sollten sie die Positionen ihrer Besucher ernst nehmen, selbst wenn diese den akademischen Diskurs nicht beherrschen. Freiheit des Geistes statt fadem Faktenwissen. Denn das hat schon Joseph Beuys gewusst: „Durch Menschen bewegen sich Ideen fort, während sie in Kunstwerken erstarren und schließlich zurückbleiben.“

Stuttgart - Seine Kriminalromane kann man getrost zu Weihnachten verschenken. Sie sind, obwohl auch im Norden angesiedelt, eine schöne Alternative zu den bluttriefenden und gewalttätigen Krimis der zahllosen Autoren aus Schweden, Norwegen oder Finnland. Friedrich Dönhoff findet Gewalt unnötig. „Gewaltszenen in Büchern lenken oft nur davon ab, dass die Geschichte eigentlich nichts Besonderes zu bieten hat. Aber wo Menschen aufeinandertreffen, gibt es automatisch gute Geschichten zu entdecken, wenn man genau hinschaut“, sagt Dönhoff. „ Dann kann man einen spannenden Krimi entwickeln.“ Und der sympathische Schriftsteller hat einen Leserkreis, der beständig wächst.

Drei Krimis hat der 46-Jährige mittlerweile veröffentlicht. Der Untertitel lautet bei allen Büchern „Ein Fall für Sebastian Fink“. Das ist ein junger, moderner und glaubwürdiger Ermittler, der privat in einer ungewöhnlichen Konstellation lebt: in einer WG mit einer Bekannten und deren siebenjährigem Sohn. Man kann Dönhoffs Krimi auch ohne ausgeprägtes kriminalistisches Interesse einzig und allein wegen dieses Helden lesen. Man käme auch dann auf seine Kosten. Oder man kann sie lesen, weil man Interesse an zeitgeschichtlichen oder politischen Prozessen hat.

Das Gespräch über seine Tante Marion ist unvermeidlich

Die Motive von Dönhoffs Mörder sind nicht unbedingt im rein Privaten zu suchen: „Mich interessieren gesellschaftsrelevante Themen“, erklärt der Autor. Liebe, Hass, Eifersucht, klar, das kommt auch vor, diesen Gefühlen gilt aber nicht Dönhoffs Hauptaugenmerk. In seinem neuesten Krimi „Seeluft“ geht es um Umweltverschmutzung auf dem Meer, genauer: um Schiffsemissionen und ihre riesige Zerstörungskraft.

Auch wenn man es vermeiden will, Friedrich Dönhoff auf seine berühmte Großtante Marion Gräfin Dönhoff anzusprechen, spätestens, wenn das Gespräch bei den Themen Politik und Gesellschaft angekommen ist, kommt man nur schwer umhin, nach der Journalistin und langjährigen Herausgeberin der Wochenzeitung „Die Zeit“ zu fragen. Dönhoff erinnert sich lachend daran, wie er früher immer gedacht hatte, er müsse den politischen Teil der Zeitungen gut gelesen haben, bevor er der legendären Tante einen Besuch abstatte. „Sie wollte aber gar nicht immer nur über Politik reden“, erzählt er. „Marion konnte auch ganz locker sein, die Treffen bei ihr waren eher gemütlich und nett, wobei die aktuelle politische Lage schon auch thematisiert wurde.“

Das Biografische liegt ihm

Friedrich Dönhoff hat seine Großtante eigentlich erst in seinem frühen Erwachsenenalter richtig kennengelernt. Zwar in Hamburg geboren, ist er in Kenia aufgewachsen, weil sein Vater dort in der freien Entwicklungshilfe gearbeitet hat. Im Alter von drei bis elf Jahren hat der kleine Friedrich gemeinsam mit seinen beiden Geschwistern und den Eltern auf dem Land nahe Nairobi gelebt. „Als Kind fand ich die weite Savanne und ihre wilden Tiere genauso normal wie die Tatsache, dass die Menschen in der Regel dunkelhäutig sind und nicht weiß.“ Danach ist die Familie nach Bonn gezogen, da gab es „sporadische Kontakte“ zur Gräfin, die als politische Journalistin oft in der damaligen Hauptstadt zu tun hatte. „Sie war eine sympathische Verwandte, aber der Kontakt zur Großmutter mütterlicherseits war zu diesem Zeitpunkt enger“, erinnert sich Dönhoff. Erst als der junge Mann zum Zivildienst nach Hamburg ging und bei der Tante einzog, wurde die Beziehung eng und vertraut. „Ich wollte unbedingt nach Hamburg, wollte erwachsen werden, das Großstadtleben hat dazugehört. An die Tante konnte ich familiär andocken. Das war eine sehr angenehme Mischung.“

Mit dem eigenen, sehr strengen Vater kam Dönhoff nicht so gut zurecht, so bot sich Marion Dönhoff als Bezugsperson an. Vor allem auf dieser gemeinsam verbrachten Zeit in Hamburg in den achtziger Jahren gründet Friedrich Dönhoffs Buch „Die Welt ist so, wie man sie sieht – Erinnerungen an Marion Dönhoff“, das er kurz nach ihrem Tod verfasste. Zuvor hatte er bereits eine Biografie über einen Hafenarbeiter geschrieben. Das Biografische liegt ihm, das merkt man auch an der Ausgestaltung seiner Krimifiguren. Friedrich Dönhoff ist ein neugieriger Mensch, aber ohne jeden Anflug von Penetranz. Er ist ein angenehmer Gesprächspartner, der aufmerksam zuhört und schnell eine behagliche Atmosphäre herstellen kann. Dass Menschen ihm Vertrauen schenken und sich bereitwillig öffnen, das begreift man schnell. Er ist höflich und charmant, in seinen Ansichten allerdings alles andere als beliebig. Auch wenn er mit melodischer und leiser Stimme spricht: weich ist Friedrich Dönhoff nicht, da soll man sich mal nicht täuschen.

Seine jungen Leser kennen die „Zeit“-Herausgeberin nicht

Das wird dann deutlich, wenn er ins Reden über Politik gerät. Nicht, dass er da laut würde oder seinen Gesprächspartner unter den Tisch redete, nein, er befolgt auch hier alle Regeln der geordneten Konversation, in der Sache allerdings hat er seinen Standpunkt. Gleichzeitig verfügt er über die Gabe, dass man sich als Gegenüber nicht dumm fühlt, weil man bestimmte Dinge noch nicht richtig bedacht hat. Man kann aus einer Diskussion mit ihm schlauer herausgehen, als man hineingegangen ist und fühlt sich dennoch nicht als Verlierer. Ob das nun die Gene der Großtante sind, ob er das in den vielen Diskussionen mit ihr gelernt hat oder ob es gar nicht auf Marion Dönhoff zurückzuführen ist – es ist jedenfalls eine sehr angenehme Eigenschaft.

Dönhoff hat es früher nicht gestört, auf seine Tante angesprochen zu werden („Es gibt Schlimmeres“), und es stört ihn auch nicht, dass es heute kaum mehr passiert. „Die Welt der Krimileser ist eine andere. Und die jungen Leute, die kennen Marion nicht mehr. Auf Lesungen kommt es jetzt immer häufiger vor, dass ihr Name gar nicht fällt.“ Das sieht er gelassen, überhaupt scheint Dönhoff ein Beispiel dafür zu sein, dass man an berühmten Verwandten nicht zwangsläufig scheitern muss, auch wenn man etwas Ähnliches macht.