Die Kurdische Gemeinde wirbt für friedlichen Protest gegen die türkische Intervention in Syrien. Doch kurdische Flüchtlinge in Stuttgart berichten von Spannungen in Unterkünften. Viele fürchten Gewalt.

Stuttgart - Der große Anführer legt auf den Plakaten seine rechte Hand an die Wange wie ein schüchternes Schulmädchen. Das Lächeln des auf einer türkischen Gefängnisinsel im Mittelmeer inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan strahlt gütig. Es ist ein Bild aus dem Jahr 1997, das derzeit auf Plakaten und Fahnen bei kurdischen Veranstaltungen auch in Stuttgart weht. Porträts des Guerillaanführers können illegale Propaganda für die auch in Deutschland verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK sein. Der lächelnde Öcalan, der bei Kurden-Demonstrationen in Stuttgart derzeit allgegenwärtig ist, ist laut Polizei jedoch nicht verboten.

 

In der Lautenschlagerstraße unweit türkischer Banken versammelten sich unlängst Teilnehmer einer Demonstration gegen den türkischen Militäreinsatz in Afrin. Einer von ihnen ist Haci Osman. Er betont, dass hinter den Demonstrationen nicht nur eine kurdische Partei stehen würde. Er erklärt, dass auch Anhänger der im Nordirak starken Kurdenparteien PUK und KDP mit dabei wären.

Kurden seien vereint

Seine Schilderungen zufolge hat der am 20. Januar begonnene Militäreinsatz der türkischen Armee ein kleines Wunder zur Folge. Anhänger verschiedener kurdischer Gruppierungen, die sich bisher in offener Feindschaft gegenüberstanden, zögen nun an einem Strang. Er selbst gehört dem Dachverband Nav-Dem an. Nav-Dem ist Mitglied beim Kongress der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa. Sie gilt der PKK zugeneigt wie auch die im syrischen Afrin gegen die türkische Armee kämpfenden syrisch-kurdischen YPG-Einheiten.

Hussein Mohammed und sein Bekannter Zakaria Kurdi stehen mit anderen Demonstranten zusammen. Sie stammen aus Afrin. Kurdi trägt einen Pullover, auf dem in Englisch der Slogan „Stay tough“ steht – bleib stark. Es scheint die passende Parole zu sein angesichts einer für ihn belastenden Situation. Er habe eine Schwester in Afrin, sagt er. „Es geht den Leuten sehr schlecht. Sie leben nur noch unter der Erde wegen der Bomben“, erzählt Kurdi. Der 36-Jährige berichtet von zunehmenden Spannungen zwischen Kurden, arabischstämmigen Syrern und Afghanen in seiner Flüchtlingsunterkunft. Kurdi sagt, dass er Sunnit sei. Aber die anderen Sunniten, insbesondere Araber aus Syrien, würden ihn nun einen Ungläubigen nennen. „Das ist die türkische Propaganda gegen die Kurden“, wirft Haci Osman ein.

Kurden berichten von Beleidigungen

Auch Hussein Mohammed, wie Kurdi aus Afrin, berichtet von verbalen Auseinandersetzungen zwischen Kurden und den übrigen Sunniten in seinem Heim. „Das ist eine explosive Lage“, meint er. Auf die Frage, ob es nicht ein Anliegen aller sei, im Exil im Frieden zu leben, antwortet Kurdi mit einem historischen Exkurs. Kurden seien in Syrien immer Angriffen der Araber ausgesetzt gewesen. Offenbar geht er davon aus, dass sich daran in Deutschland nichts ändert.

Eine gleichfalls dick eingepackte Frau stellt sich als Halbtürkin vor. Sie arbeite in Stuttgart als Sozialarbeiterin und fürchte, dass die Spannungen zwischen der türkischen und der kurdischen Gemeinde in Stuttgart eskalieren könnten. Haci Osman erklärt, dass es abgesehen von verbalen Angriffen bei Mahnwachen bisher keine Provokationen von Erdogan-Anhängern bei kurdischen Veranstaltungen gegeben habe. Aber die Furcht marschiere mit. „Die Osmanen sind in der Region aktiv und der türkische Geheimdienst auch“, sagt er. Osman verweist auf die türkische Rockerbande, die in Stuttgart immer wieder für Schlagzeilen sorgt. Er will sich nicht fotografieren lassen. „Ich habe Verwandte in der Türkei“, sagt er.

Kurdische Gemeinte wirbt für Gewaltlosigkeit

Turan Tekin, Sprecher der Kurdischen Gemeinde, betont, dass die Kurdische Gemeinde zum Dialog mit türkischen Verbänden bereit sei, um den Konflikt in Afrin von Stuttgarter Straßen fernzuhalten. Er sagt aber auch, dass der Graben zwischen Erdogan-nahen Gruppen und kurdischen Aktivisten noch nie so tief war wie derzeit.