Nino Welz mit dem Drei-Löwen-Gin: um den Fehler auf dem Etikett zu erkennen, muss man schon genau hinschauen. Foto: /Eberhard Wein
Ein Rechtsanwalt, ein Arzt und ein Pilot destillieren Gin in Waldstetten. Jetzt haben die drei Start-up-Gründer Ärger mit dem örtlichen Landratsamt wegen eines mikroskopisch kleinen Fehlers.
Auch Joachim Bläse (CDU) kann sich über die ausufernde Bürokratie manchmal ärgern. Neulich beim Neujahrsempfang im kleinen Gschwend nahm der Landrat des Ostalbkreises kein Blatt vor den Mund. „In einer temperamentvollen Rede“, so berichtete die Presse hinterher, habe er sich über die heutige „Haftpflichtmentalität“ echauffiert. Immer brauche es schon im Vorhinein einen Schuldigen. Durch „völlig überzogene Standards“ habe man ein strukturelles Problem erschaffen.
Wie Recht Bläse hat! Für ein schönes Beispiel hat seine eigene Behörde jetzt gesorgt. Dieser Tage flatterte ein Schreiben des im Kreishaus angesiedelten Amtes für Veterinärwesen und Lebensmittelkontrolle bei Nino Welz in den Briefkasten. Der 31-jährige Pilot aus Waldstetten bei Schwäbisch Gmünd kann den Inhalt immer noch nicht ganz glauben.
Kai Beschnitt, Nino Welz und Sebastian Carl (von links) präsentieren ihr Sortiment. Foto: privat
Welz ist, was man heute einen „Founder“ nennt. Zusammen mit zwei Freunden, dem Arzt Kai Beschnitt (45) und dem Rechtsanwalt Sebastian Carl (39), hat er eine Gin-Fabrikation gegründet. „Drei Kaiserberge, drei Gründer, drei Löwen-Gin“, lautet der Slogan des Start-ups mit Namen „Stauferspirits“. In der Garage auf dem Grundstück der Eltern von Welz im Waldstettener Hölderlinweg steht ein messingfarbener Brennkessel, in dem die drei Männer nach Feierabend angelieferten Wacholderschnaps zu verschiedenen Sorten destillieren.
Die Geschäfte laufen gut. Mehrere Lebensmittel- und Getränkemärkte und sogar ein Stuttgarter Feinkosthändler haben den Drei-Löwen-Gin im Sortiment. Klar, dass ein solch hochprozentiges Genussmittel, Alkoholgehalt: 45 Prozent, von den Lebensmittelkontrolleuren des Kreises überwacht werden muss. Deshalb war schon im November ein Kreismitarbeiter vorbeigekommen und hatte ein Fläschchen abgeholt. Das Ganze ging zur Kontrolle an das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt in Stuttgart.
Mindestens 1,2 Millimeter muss ein Buchstabe groß sein. Das „e“ ist es nicht. Foto: Wein
Dessen Kontrollergebnis liegt jetzt vor und verheißt nichts Gutes. Es handele sich um eine „farblose Flüssigkeit“, die „vorherrschend nach Wacholder“ schmecke, aber auch eine „deutlich würzig-kräutrige“ und „leicht zitrusartige Note“ aufweise, heißt es im Bericht. „Eigentlich haben wir extra auf Zitrusaromen verzichtet“, sagt Welz. Doch über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Das Problem ist ein anderes: Bei der vorgeschriebenen Angabe der Herstelleradresse auf dem Etikett der Ginflasche sei der Buchstabe „e“ im Wort Hölderlinweg zu klein geraten, stellt der Untersuchungsbericht fest. Laut der „mikroskopischen Prüfung“ fehlen dem „e“ in der x-Achse – nach Abzug der Toleranz – exakt 0,07 Millimeter.
Manche Kunden brauchen Lupen
Mancher dürfte diese Millimeterentscheidung für kleinlich halten, doch über so eine Abweichung kann eine deutsche Behörde offenbar nicht einfach hinwegsehen. Im Landratsamt verteidigt man den Mängelbericht des Veterinäramtes. Man sei an EU-Recht gebunden, zudem könne der Fehler durch neue Etiketten behoben werden. Die in der „Lebensmittelinformations-Durchführungsverordnung“(LMIDV) festgelegten Mindestschriftgrößen hätten durchaus ihren Sinn. Es sei ein Trend, dass Produktkennzeichnungen immer schwerer zu lesen seien, sagt die Sprecherin des Landratsamtes, Katharina Oswald. „Die Erfahrung, im Supermarkt zu stehen und erfolglos die Zutatenliste lesen zu wollen, ist uns allen hinlänglich bekannt.“ Teilweise würden im Einzelhandel deshalb schon Lupen für die Kunden bereitgelegt.
Der Bürokratiebekämpfer Bläse gibt sich derweil auf Anfrage versöhnlich. „Der Ostalbkreis ist eine Verwaltung, die ermöglichen und nicht verhindern will.“ Man sei deshalb im Dialog mit den Beteiligten. Für künftige Chargen hat Welz bereits Etiketten mit größeren „e“-Buchstaben bestellt. Die vorhandenen Restposten hofft er, noch aufbrauchen zu dürfen. „Wir nutzen Ermessen und Abwägen“, verspricht Bläse. Nach Paragraf 68 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs sind Ausnahmen möglich – auf Antrag versteht sich. So viel Bürokratie muss schon sein.