Die Wagners aus Harthausen erfreuen sich auf ihrer Terrasse an einem besonderen Schmuckstück: der alten Turmspitze der örtlichen Kirche. Besonders ist die Metallkugel, weil um sie nicht nur Efeuäste ranken, sondern auch ein Gerücht.

Harthausen - Sie ist der Blickfang auf Silke Wagners Terrasse: eine große Metallkugel mit etwa 60 Zentimeter Durchmesser, dekorativ in einem Blumentopf aufgestellt und umrankt von Efeu. Erst beim zweiten Hinsehen fällt auf, dass das kunstvolle Objekt mit der Eisenkette von Einschusslöchern durchsiebt ist. Winzige Öffnungen sind dabei, aber auch richtige Krater, wo Geschosse die Hülle regelrecht zerfetzt haben. Dass diese Kugel einst als Zierde auf dem Kirchturm in Harthausen saß, ist unstrittig. Wer sie aber so demoliert hat, dazu gibt es in Filderstadt zwei Versionen.

 

An die eine glaubt Paul Schurr aus Sielmingen, der mit dem Stadtarchivar Nikolaus Back das Kriegsende aufgearbeitet hat. 1945 marschierten die Franzosen auf den Fildern ein. Nach der Kapitulation der Deutschen folgte tags drauf der Rückschlag. „Es gab sehr viele Tote auf französischer Seite“, sagt Back. Doch statt alles anzuzünden, ließen die Franzosen Gnade ergehen. „Französische Fremdarbeiter hatten sich dafür eingesetzt und Harthausen vor dem Niederbrennen bewahrt“, sagt der Archivar. Auf Betreiben Paul Schurrs ist in dessen Heimatort vor Jahren ein Denkmal auf dem Friedhof enthüllt worden, das den sprichwörtlichen seidenen Faden symbolisiert, an dem das Schicksal des Ortes gehangen hatte.

Die Metallkugel sollte ein Denkmal werden

Ein Ähnliches schwebt dem früheren Stadtrat auch für Harthausen vor – und hier kommt die Kirchturmspitze ins Spiel. Paul Schurr glaubt nämlich, dass beim Kampf gegen die Franzosen Geschosse durch die Kugel gingen. Bereits vor Jahren hat das Duo Schurr-Back den Wagner’schen Metallball beäugt. „Damals wollten wir die Spitze mitnehmen“, sagt Schurr augenzwinkernd. Ein Künstler habe sogar schon eine Zeichnung für ein Denkmal mit Kugel erstellt, „und einen Platz vor der Kirche hatten wir auch schon“. Nur die Kugel fehlt. Oder doch noch mehr?

Das Ganze hat noch einen anderen Haken, und das ist eben diese andere Version. Zeitzeugen nämlich berichten, dass junge Burschen aus dem Ort bei Schießübungen das Ding selbst malträtiert hätten. Nikolaus Back erzählt von einem Gespräch mit einem „alteingesessenen und seriösen“ Harthausener, der seinerseits berichtet habe, dass er sich gut daran erinnere, wie die Dorfjugend mit „Spatzengewehren“ und Steinen auf den Turm gezielt habe.

Das Ehepaar hat sie bei einer Tombola ersteigert

Fakt ist: Die Löcher stammen aus den 1940er Jahren. „Es gibt aber keine Dokumente, die die Herkunft der Löcher eindeutig belegen. Sie ist nicht zu klären“, sagt der Archivar Back. Ob die Kugel zum Sinnbild taugt, ist also mehr als fraglich.

Bis in die 70er, so Nikolaus Back, thronte das Dekor auf der evangelischen Kirche von 1838. Dem Vernehmen nach hat es seither mehrere Gärten geschmückt und auch mal an einem Apfelbaum gebaumelt. Ihre Bestimmung als Terrassenzierde fand die Kugel erst vor 15 Jahren. Silke Wagner ist sie bei einer Keller-Entrümpelungsaktion der Kirchengemeinde ins Auge gesprungen. „Ich fand sie toll und dachte, sie kann doch nicht einfach entsorgt werden“, erzählt die frühere Kirchengemeinderätin. Ihr Ehemann Jörg ersteigerte das Stück schließlich bei der Tombola des Kirchweihfestes als Geburtstagsgeschenk – für wenig Geld, wie er sich erinnert, weil sich sonst niemand für „das alte Glomb“ interessierte. Und seither steht sie als Hingucker hinterm Haus.

Darauf pochen, dass das so bleibt, wollen die Wagners nicht. Sollte jemand den Beweis erbringen, dass die Löcher in der Kugel tatsächlich einen historischen Wert haben, könnten sie sich vorstellen, ihr Schmuckstück herzugeben. Wichtig ist den Eheleuten aber, dass das einstige Geburtstagsgeschenk konserviert und angemessen präsentiert wird. Denn bei einem sind sie sich einig: Wieder in einem Keller soll die Kugel nicht verstauben.